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DOI: 10.1055/a-2290-2138
Kommentar zu „Welche Substanz zur chirurgischen Hautdesinfektion?“
Die vorgestellte Studie weist einige Einschränkungen auf, die die Autoren diskutieren: Erstens war das Infektionsrisiko in der Gruppe der Patienten mit offenen Frakturen niedriger als erwartet, was die statistische Aussagekraft beeinträchtigt. Diese niedrigere SSI-Rate ergab sich, weil die Daten von Patienten mit SSI, die nach der 30- und 90-tägigen Surveillance-Zeit auftragen, nicht bewertet wurden. Bei Ausdehnung des Überwachungszeitraums auf 1 Jahr ergab sich das ursprünglich angenommene Infektionsrisiko in der Population mit offenen Frakturen. Der Behandlungseffekt nach 1 Jahr war jedoch ähnlich dem primären Ergebnis und war nicht signifikant unterschiedlich.
Zweitens war den Patienten und ihren Chirurgen die Einteilung in die Studiengruppen bekannt und nur die Bewertungsgruppe war verblindet.
Drittens lag die Adhärenz zum Studienprotokoll in beiden Gruppen zwar insgesamt über 95%, allerdings mit Unterschieden zwischen den Substanzgruppen. Die „As-Treat“-Analyse legt nahe, dass die „Intention-to-Treat“-Analyse den wahren Behandlungseffekt unterschätzt.
Viertens war die Größe der Cluster sehr unterschiedlich, was zu einer prognostischen Unausgewogenheit geführt haben könnte. Der Intracluster-Korrelationskoeffizient war jedoch in der Gruppe der geschlossenen niedrig und in der Gruppe der offenen Frakturen nahezu null, so dass die Autoren dies als vernachlässigbar ansehen.
Die Studie prüft zwei Kombinationen von Alkohol mit einer remanenten Wirksubstanz, namentlich 0,7%ige Jod-Povacrylex-Lösung in 74%igem Isopropylalkohol (Jod-Gruppe) oder 2% Chlorhexidin-Gluconat in 70%igem Isopropylalkohol (Chlorhexidin-Gruppe) und kommt in einer großen Studienpopulation zu einem schwach signifikanten Ergebnis in der Untergruppe der geschlossenen Frakturen. Ob dieser Effekt klinisch relevant und auf andere orthopädische und nicht-orthopädische Operationen übertragbar ist, bleibt fraglich, zumal es beim langfristigen Endpunkt nach einem Jahr keine Unterschiede gab. Leider fehlt eine Kontrollgruppe mit gefärbtem, reinem Alkohol ohne einen remanenten Wirkstoff.
Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) hat in ihrem Kommentar zu Anforderungen an Hautantiseptika zur Prävention postoperativer Wundinfektionen unlängst festgestellt: „Seit dem Erscheinen der KRINKO-Empfehlung zur Prävention von SSI im Jahr 2018 sind weitere Studien zu diesem Thema erschienen, die deutlich darauf hinweisen, dass durch den Zusatz eines remanent wirkenden Antiseptikums zu alkoholischen Formulierungen die SSI-Rate abhängig von der Operationsart signifikant reduziert werden kann. Daher ist im Ergebnis der präoperative Einsatz remanent wirksamer Hautantiseptika nicht mehr nur zu erwägen, wie seinerzeit in der KRINKO-Empfehlung formuliert, sondern ist abhängig von der Operationsart evidenzbasiert indiziert und wird in aktuellen Richtlinien empfohlen. Als remanent wirksamer antiseptischer Zusatz zu alkoholischen Formulierungen werden derzeit folgende Substanzen eingesetzt: Chlorhexidindigluconat (CHG), Povidon-(PVP-)Iod, Octenidindihydrochlorid und Olanexidingluconat. Dabei ist CHG die in Studien am besten untersuchte Substanz. In Deutschland steht derzeit nur ein Alkohol-basiertes Hautantiseptikum mit CHG-Zusatz zur präoperativen Hautantiseptik in Form eines Produkts zum einmaligen Gebrauch mit einem Einwegapplikator zur Verfügung. Die routinemäßige Anwendung von Applikatoren für die Hautantiseptik beurteilt die KRINKO im Sinne der Nachhaltigkeit kritisch, zumal keine Überlegenheit bzgl. der Wirksamkeit durch den Einsatz eines Applikators nachgewiesen werden konnte. Deshalb sind aus Sicht der KRINKO weitere Produkte mit CHG-Zusatz, die auch unabhängig von einem Einwegapplikator angewendet werden können, für die präoperative Hautantiseptik notwendig“ [1].
Damit stellt die KRINKO Krankenhaushygieniker und Operateure vor die schwierige Entscheidung, entweder eine operationsspezifische Auswahl des Hautdesinfektionsmittels zu treffen, was in großen Kliniken und breitem OP-Spektrum organisatorisch nahezu unmöglich erscheint (zumal es zu vielen Eingriffen überhaupt keine Daten gibt), oder eine praktikable „one-fits-all“-Lösung zu finden.
Die besprochene Studie zeigt dabei deutlich die Schwierigkeiten einer eingriffsspezifischen Auswahl auf, zumal das verwendete Alkohol/Jod-Präparat derzeit in Deutschland nicht erhältlich ist, so dass derzeit nur die Wahl zwischen einer gefärbten Lösung mit Alkohol/Chlorhexidin oder einer ungefärbten Lösung mit Alkohol/Octenidin bliebe.
Dass die Färbung grundsätzlich bei der suffizienten Benetzung der Hautoberfläche eine Rolle spielt, zeigt die Arbeit von Fink et al. [2]: 52 Freiwillige unterzogen sich einer chirurgischen Hautdesinfektion (104 Beine; je 52 mit farbloser bzw. gefärbter Lösung). Die Zahl der unvollständig desinfizierten Beine war in der Gruppe mit farblosem Desinfektionsmittel signifikant höher als in der Gruppe mit farbigem (38,5% [n = 20] gegenüber 13,5% [n = 7]; p = 0,007). Unabhängig vom Desinfektionsmittel schnitten die Fachärzte besser ab als die Assistenzärzte. Bei der Verwendung eines farbigen Desinfektionsmittels desinfizierten die Assistenzärzte das Bein in 23,1% (n = 6) unvollständig, verglichen mit 57,7% (n = 15) bei Verwendung eines farblosen Desinfektionsmittels (p = 0,023). Demgegenüber desinfizierten Fachärzte, die farbige Desinfektionsmittel verwendeten, das Bein in 3,8% (n = 19) unvollständig, verglichen mit 19,2% (n = 5] bei farblosen Desinfektionsmitteln (p = 0,191).
Diese Studie zeigt aber vor allem auch die notwendige Erfahrung bei der chirurgischen Hautdesinfektion, unabhängig von der Farbe der Lösung. Insofern wäre es wünschenswert, wenn Lagerung und Hautdesinfektion immer entweder durch den Hauptoperateur oder einen erfahrenen Assistenten bzw. unter deren direkter Anleitung erfolgen. Bei Verwendung einer farblosen Lösung erscheint dies obligat.
Berechtigterweise nimmt die KRINKO hier die Hersteller in die Pflicht und fordert eine preiswerte, praktische Bereitstellungsform gefärbter Lösungen zur Hautdesinfektion mit Remanenz. In der Schweiz ist ein entsprechendes Alkohol/Chlorhexidin-Präparat erhältlich.
In Deutschland erhältliche Octenidin-haltige Lösungen werden ungefärbt angeboten, da Octenidin mit vielen auf dem Markt befindlichen Farbstoffen nicht kompatibel ist. Insofern kann ein Wirkverlust durch die nachfolgende Einfärbung des mit Alkohol/ Octenidin desinfizierten Hautareals mit einem anderen, gefärbten Alkoholpräparat nicht ausgeschlossen werden.
Der Hersteller von Octenidin macht Angaben zur möglichen Eigenherstellung einer gefärbten Lösung in Eigenherstellung. Die Herstellung und Abgabe solcher Rezepturarzneimittel erfolgt in eigener Verantwortung der Apotheke als pharmazeutischer Unternehmer. „Für die Einfärbung von octeniderm eignet sich nach unseren Erfahrungen Patentblau V (E131). Für andere Farbstoffe liegen uns keine Untersuchungsergebnisse vor“ (Schülke, 29.04.2014).
Die Eigenherstellung der gefärbten Octenidermlösung wäre also eine Möglichkeit, besser wäre aber auch hier ein herstellerseitiges Angebot.
Die Einführung eines neuen Hautdesinfektionsverfahrens sollte daher im Konsens unter Berücksichtigung der Vor- und Nachteile erfolgen und setzt eine gründliche Schulung mit praktischer Übung aller Beteiligten im neuen Verfahren voraus.
Eine nachhaltig gute Lösung, im wahrsten Sinne des Wortes, muss jedoch von den Desinfektionsmittelherstellern angeboten werden und idealerweise würden die dann verwendeten Substanzkombinationen in großen Registerstudie z.B. im KISS bei einer Vielzahl unterschiedlicher Eingriffe miteinander verglichen.
Publication History
Article published online:
22 May 2024
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Georg Thieme Verlag KG
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Literatur
- 1 Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention. Kommentar der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) zu Anforderungen an Hautantiseptika zur Prävention postoperativer Wundinfektionen. Epid Bull 2024; 6: 3-5 DOI: 10.25646/11910.
- 2 Fink K, Örgel M, Baier C. et al. Quality of lower limb preoperative skin preparation using colorless versus colored disinfectants-results of an experimental, randomized study in a close to reality setting. PLoS One 2023; 18: e0282662 DOI: 10.1371/journal.pone.0282662.