Im OP 2024; 14(04): 161
DOI: 10.1055/a-2291-6939
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Tobias Weimer

Ethik in der Pflege vs. retrospektive (rechtliche) Verantwortung?

Professionen, deren Angehörige mit schwierigen Bewertungen und praktisch folgenreichen Entscheidungen für existenzielle Belange (beispielsweise in Bezug auf vulnerable Patienten) konfrontiert sind, tun gut daran, sich über die zentralen Wertprinzipien und Grundhaltungen verbindlich zu verständigen. Im Gesundheitswesen ist dies jüngst ein besonderes Anliegen der Pflege(fach)berufe. Hier geht es im Kern um Pflege- und Sorgebeziehungen, aber auch um Verantwortungsbewusstsein zum Wohl der situations- und lebensweltbezogenen Bedarfe der jeweils individuell zu Pflegenden innerhalb von adäquaten Versorgungsstrukturen. Das am 1.1.2020 in Kraft getretene Pflegeberufegesetz setzt die Ausrichtung der Berufstätigkeit „auf Grundlage einer professionellen Ethik“ (§ 5 Abs. 2) sogar als ausdrückliches Ausbildungsziel fest. Diese besondere Sensibilität für die Notwendigkeit spezifisch pflegeethischer Kompetenz zwecks Ermöglichung einer hohen Pflegequalität steht in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart auch in der Erkenntnis, dass ungelöste moralische Konflikte und Widersprüche im beruflichen Handeln und Erleben auf Dauer schwerwiegende Belastungen bei den Health Care Professionals („moral distress“) zur Folge haben können. In der Tat hat die „ethische Kompetenz“ der Pflegefachpersonen infolge der gewachsenen Komplexität ihrer Aufgaben innerhalb der Versorgungsprozesse und der bestehenden organisatorischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine hohe Bedeutung erlangt. Allerdings zählt zu den Faktoren der gesteigerten Komplexität und Herausforderung auch der rechtliche Rahmen, den eine ethische Selbstvergewisserung niemals ersetzen, sondern nur mehr ergänzend und horizonteröffnend erweitern kann. Dabei kommt dem Verantwortungsprinzip besondere Bedeutung zu. Postuliert wird hiermit nämlich eine Rechenschaftspflicht aufgrund (in der Regel) zugeschriebener negativer Ereignisse und Kausalverläufe, sei es retrospektiv („Haftung“) oder prospektiv zwecks präventiver Risikovermeidepflichten. Rechtliche Verantwortlichkeit und Ethik sind damit niemals voneinander losgelöst zu betrachten; genauso wenig wie Haftungsrecht in der Pflege nur retrospektiv, sondern eben als Bestandteil des Qualitäts- und Risikomanagements immer auch prospektiv gedacht werden muss.

Tipp: Lernen Sie aus der Vergangenheit. Nehmen Sie Vorkommnisse zum Anlass, prospektiv die Patientenversorgung zu verbessern.



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Article published online:
20 June 2024

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