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DOI: 10.1055/a-2298-8015
Stellungnahme der European Respiratory Society zu neuartigen Nikotin- und Tabakprodukten, ihrer Rolle bei Tabakkontrolle und „Harm Reduction“[*]
European Respiratory Society statement on novel nicotine and tobacco products, their role in tobacco control and “harm reduction”Neuartige Nikotin- und Tabakerzeugnisse und „Harm Reduction
Was sind neuartige und aufkommende Nikotin- und Tabakerzeugnisse?“
In den letzten Jahren ist eine wachsende Zahl neuer Tabak- und Nikotinerzeugnisse auf den Markt gekommen, die besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen beliebt sind. Diese Produkte werden unter der Bezeichnung „neuartige und aufkommende Nikotin- und Tabakerzeugnisse“ [1] [2] zusammengefasst und umfassen elektronische Zigaretten, erhitzte Tabakprodukte und Nikotinbeutel.
Elektronische Zigaretten (E-Zigaretten oder Vapes), einschließlich elektronischer Nikotinabgabesysteme (electronic nicotine delivery systems, ENDS) oder elektronischer nikotinfreier Abgabesysteme (ENNDS), verwenden eine Batterie, um eine E-Liquid-Lösung zu erhitzen, die Aromen, Zusatzstoffe und – mit Ausnahme von ENNDS – Nikotin enthält [3]. Insbesondere Einweg-E-Zigaretten haben in letzter Zeit erheblich an Beliebtheit gewonnen, insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen [4]. Die meisten der auf dem Markt erhältlichen E-Zigaretten enthalten eine hohe Konzentration an Nikotin, das ein Suchtpotenzial besitzt [5]. Infolgedessen hat ihr Konsum unter jungen Menschen in vielen Ländern ein epidemisches Ausmaß erreicht [3] [4].
Erhitzte Tabakerzeugnisse (heated tobacco products, HTP), auch bekannt als „heat-not-burn“-Produkte, verwenden elektrische Geräte, um Tabakstäbchen zu erhitzen, wodurch nikotinhaltige Aerosole ohne Verbrennung entstehen [6]. Im Gegensatz zu E-Zigaretten enthalten diese Produkte Tabak und weisen eine Vielfalt an Heizgeräten und Tabakarten auf. Ähnlich wie E-Zigaretten weisen HTPs jedoch neuartige Merkmale und Designs auf, um die Nutzer anzulocken, und ähneln dem Raucherlebnis traditioneller Zigaretten.
Ein weiteres neuartiges Produkt sind Nikotinbeutel, die ursprünglich aus Skandinavien stammen, aber bei den Konsumenten in Europa und darüber hinaus immer beliebter werden [7]. Diese Beutel ähneln den in Schweden verwendeten Tabakbeuteln (Snus) und werden unter die Oberlippe gelegt, wo sie Nikotin abgeben. Im Gegensatz zu Snus, von dem bekannt ist, dass er negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat, einschließlich der Entwicklung bestimmter Krebsarten [8], enthalten Nikotinbeutel keinen Tabak, sondern Nikotinpulver, Salze, Aromen und Süßstoffe, was sie besonders für jüngere Menschen attraktiv macht [9] [10]. Es ist nicht bekannt, ob sich diese Unterschiede in unterschiedlichen Risikoprofilen niederschlagen werden. Darüber hinaus ermöglichen Nikotinbeutel einen diskreten Gebrauch, der Nichtraucher und Jugendliche anspricht [9]. Einige Nutzer greifen zu Nikotinbeuteln, um die Vorschriften für rauchfreie Zonen zu umgehen [10]. Derzeit unterliegen Nikotinbeutel nicht den EU-Vorschriften für Tabakerzeugnisse, sodass sie ohne Verpackungsvorschriften oder Gesundheitswarnungen vermarktet werden können [7] [10]. Die Werbung zielt auf jüngere Bevölkerungsgruppen ab, was Bedenken hinsichtlich der Beliebtheit von Nikotinbeuteln bei Jugendlichen aufkommen lässt [11].
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Was ist die sog. „Harm Reduction“-Strategie der Tabakindustrie?
Das Konzept der „Harm Reduction“ stammt ursprünglich aus dem Bereich des Drogenkonsums [12] und trägt der Tatsache Rechnung, dass eine vollständige Abstinenz nicht immer möglich ist. Stattdessen wird vorgeschlagen, den Menschen beim Übergang zu weniger schädlichen Alternativen zu helfen [13]. Die Tabakindustrie machte sich dieses Konzept jedoch zunutze und vermarktete neuartige Nikotin- und Tabakerzeugnisse als weniger schädlich als herkömmliche Zigaretten [7]. Diese Produkte ermöglichen es der Tabakindustrie jedoch, ihre Gewinne zu halten, obwohl die Prävalenz des Rauchens zurückgeht [1] [14]. Im Mittelpunkt der laufenden wissenschaftlichen und gesetzgeberischen Debatten stehen die Bedenken hinsichtlich der langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen und der Sicherheit dieser Produkte [7] [14]. Derzeit gibt es keine ausreichenden wissenschaftlichen Beweise, um das von der Tabakindustrie behauptete geringere Risiko für diese neuartigen Produkte im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten schlüssig nachzuweisen.
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Welche gesundheitlichen Auswirkungen haben neuartige Nikotin- und Tabakerzeugnisse?
Trotz ihrer unterschiedlichen Formen enthalten viele neuartige Produkte einen hohen Gehalt an Nikotin und toxischen Substanzen, was Risiken birgt und dazu beiträgt, dass junge Menschen mit dem Konsum beginnen und abhängig werden [15]. Die Exposition gegenüber Nikotin, das stark süchtig macht und die Gehirnentwicklung bis zum Alter von 25 Jahren beeinträchtigt [16], kann in der jüngeren Bevölkerung zu Sucht und Abhängigkeit führen [17]. E-Zigaretten sind zwar in erster Linie für die Abgabe von Nikotin konstruiert, geben aber unabhängig von ihrem Nikotingehalt schädliche Dämpfe ab, die aus Hunderten von Chemikalien bestehen, darunter auch Toxine mit ungewisser Wirkung [17] [18]. In einer australischen toxikologischen Untersuchung wurden 243 einzelne Chemikalien, darunter bekannte Gifte und verbotene Stoffe, in nikotinfreien E-Zigaretten-Liquids ermittelt. Darunter Carbonylverbindungen wie Formaldehyd, Acetaldehyd und Acrolein, die mit gesundheitsschädlichen Auswirkungen in Verbindung gebracht werden [19]. Darüber hinaus haben Studien Bedenken geäußert, dass der Konsum von E-Zigaretten mit einer erhöhten Anfälligkeit für COPD, Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einer erhöhten Exposition gegenüber schädlichen Chemikalien und Karzinogenen verbunden sein könnte [20] [21]. Eine kürzlich durchgeführte umfassende Überprüfung von Studien liefert eindeutige Beweise dafür, dass das Dampfen von E-Zigaretten akute (kurzfristige) Lungenschädigungen, Vergiftungen, Verbrennungen, Krampfanfälle und unerwünschte Atembeschwerden verursachen kann, insbesondere bei Jugendlichen [17] [22]. Vor wenigen Jahren hat in den USA ein enormer Zuwachs an jungen Patienten, die aufgrund von E-Zigaretten oder einer durch E-Zigaretten verursachten Lungenschädigung (EVALI) [23] ins Krankenhaus eingeliefert wurden, die potenziellen Risiken für die öffentliche Gesundheit deutlich gemacht.
HTPs erhitzen den Tabak, anstatt ihn zu verbrennen, was nach Angaben der Tabakindustrie den Gehalt an schädlichen Stoffen reduziert, die bei der Verbrennung von Tabak entstehen [24]. Ähnlich wie beim Dampfen von E-Zigaretten können die Nutzer von HTPs jedoch weiterhin anderen potenziell schädlichen Substanzen ausgesetzt sein [1] [25]. Eine geringere Exposition gegenüber Schadstoffen in diesen Produkten bedeutet nicht unbedingt ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen [26]. Dies ist auf die nicht-lineare Beziehung zwischen Exposition und Auswirkungen zurückzuführen, bei der die Dauer und die Höhe der Exposition eine wichtige Rolle spielen [27]. So wurden bspw. HTP trotz geringerer Emissionen im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten mit erhöhter Herzfrequenz, erhöhtem Blutdruck, arterieller Gefäßsteifigkeit, vaskulärer endothelialer Dysfunktion und Lungenschädigung in Verbindung gebracht [28] [29], was auf eine Verschlechterung der kardiovaskulären und Lungengesundheit hindeuten könnte [30]. Da HTPs noch relativ neu auf dem Markt sind, sind ihre langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen und Risiken noch unklar [31]. Obwohl HTPs als sicherere Alternative zum herkömmlichen Rauchen vermarktet werden, sind sie nicht risikofrei und stellen ein neues Problem für die öffentliche Gesundheit dar.
Nikotinbeutel werden von der Tabakindustrie ebenfalls als Alternative zur „Harm Reduction“ für Konsumenten von Zigaretten und oralen Tabakerzeugnissen vermarktet [9] [15]. Diese Beutel enthalten Nikotinsalze, die im Vergleich zu den meisten rauchlosen Tabakerzeugnissen einen höheren Nikotingehalt aufweisen [32]. Die Sicherheit dieser neuen Produkte ist jedoch aufgrund begrenzter veröffentlichter Forschungsergebnisse nach wie vor unklar. Bedenken ergeben sich aus neuen Erkenntnissen, die auf alarmierend hohe Nikotingehalte in bestimmten Beuteln hinweisen, insbesondere im Hinblick auf ihre möglichen Auswirkungen auf die Mundgesundheit [33] [34]. Darüber hinaus haben krebserregende Substanzen in Nikotinbeuteln nachweislich genotoxische Wirkungen, die zum Tumorwachstum beitragen können [33].
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass E-Zigaretten, HTPs und Nikotinbeutel im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten relativ neu auf dem Markt sind. Mit Ausnahme von ENNDS machen sie jedoch aufgrund ihres Nikotingehalts süchtig, und obwohl die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen dieser Produkte noch nicht vollständig geklärt sind, deutet die neuere Literatur auf mögliche Gesundheitsrisiken für alle diese Produkte hin.
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* Disclaimer Acknowledgement: This translated material has not been reviewed prior to release; therefore the European Respiratory Society may not be responsible for any errors, omissions or inaccuracies, or for any consequences arising there from, in the content. Reproduced with permission of the ERS 2024. Tzu-Hsuan Chen D, Grigg J, Filippidis FT et al. European Respiratory Journal 63 (2) 2301808. DOI: 10.1183 /13993003.01808-2023 Published 22 February 2024.
** Prof. Stefan Andreas hat die englische Publikation für die Veröffentlichung in der „Pneumologie“ übersetzt.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
26. April 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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