Zeitschrift für Palliativmedizin 2024; 25(06): 315-326
DOI: 10.1055/a-2305-3634
CME-Weiterbildung

Trauer – ein letztlich hilfreicher Prozess

Mourning – an Ultimately Helpful Process
Monika Müller

Trauer ist eine natürliche Reaktion auf einen Verlust. Trauer umfasst eine Vielzahl von Emotionen wie Traurigkeit, Wut und Verzweiflung. Jeder trauert anders – es gibt kein festes Muster. Trauer ist ein individueller Prozess, der Zeit braucht und durch Unterstützung von Familie, Freunden oder professionellen Beratern erleichtert werden kann.

Abstract

The path of grief and grief counselling is paved with numerous myths that prevent people from embarking on their grief journey in the first place or from supporting each other in situations of loss. Myths about grief relate to the way in which grief should be mourned and only then becomes acceptable, but also to what and who can be mourned at all, the time within grief must be ended or processed and when it is no longer normal or even becomes pathological. Many obstructions and insecurities relate to the superstitions surrounding the topic of loss, they make people feel lonely and marginalised or allocate grieving people a place that is stressful and overwhelming for everyone involved.

Grief is also a life force that ultimately releases energy. This may contribute to a more relaxed relationship between the grieving person and the helpers.

Fallbeispiel

„Die Menschen, die ihre letzte Lebenszeit bei uns verbringen, tragen einen Rucksack voller Lebensverluste mit sich. Und nun sind sie auch noch dabei, ihre Gesundheit, ihre Zukunft, ihre Rollen, ihre Fertigkeiten, ihre Hoffnungen abzugeben. Wir sind doch da, um Symptome zu lindern, Schmerzen einzustellen. Wie sollen wir aber denn mit diesem immensen Trauerschmerz umgehen? Wie können wir diese Verlustsymptome lindern? Wie ihnen die Trauer nehmen?“

So klagte eine Ärztin auf einer Palliativstation. Und fuhr fort:

„Im Umgang mit der Symptomkontrolle wie der Linderung von physischen Schmerzen sind wir gefestigt, aber für die Trauerbewältigung haben wir nichts in der Hand.“ [1]

Fallbeispiel

Die eingangs zitierte Ärztin sagt weiter:

„Und dann noch unsere eigene Trauer … Wissen Sie, bei uns verlässt kaum ein Patient die Station lebend. Das bedeutet: Wir lernen jemanden kennen, gewöhnen uns etwas an ihn, gewinnen ihn vielleicht sogar lieb, und dann … heißt es schon wieder Tschüss, Abschiednehmen. Das hält doch keiner lange aus. Manchmal frage ich mich: Für die Angehörigen wird Trauerbegleitung angeboten, aber wohin mit unserer eigenen Trauer um das Ableben der Patienten?“

Kernaussagen
  • Den Weg der Trauer und auch der Trauerbegleitung pflastern zahlreiche Mythen, die es verhindern, dass ein Mensch seinen Trauerweg überhaupt erst antritt oder dass Menschen einander in Verlustsituationen beistehen.

  • Mythen über Trauer beziehen sich auf die Art und Weise, wie getrauert werden sollte und dann erst akzeptierbar wird, aber auch darauf, um was und wen überhaupt getrauert werden darf, innerhalb welcher Zeit Trauer beendet oder verarbeitet zu sein hat und darauf, wann sie nicht (mehr) normal ist oder gar pathologisch wird.

  • Viele Hemmungen und Unsicherheiten beziehen sich auf den Aberglauben um das Thema Verlust, sie lassen vereinsamen und grenzen aus oder weisen trauernden Menschen einen Platz zu, der alle Beteiligten anstrengt und überfordert.

  • Trauer ist auch eine Lebenskraft, die letztendlich Energie freisetzt, dass die sogenannte Trauerarbeit tatsächlich leistbar ist, meist sogar ohne therapeutische Hilfe. Dies mag zu einem entspannteren Verhältnis der Helfenden zu diesem Thema und der Zielgruppe beitragen und ein liebevolles, aber auch zu-trauendes Kümmern ermöglichen.



Publication History

Article published online:
04 November 2024

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