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DOI: 10.1055/a-2318-7143
Physical Literacy: Grundlage für eine lebenslange Aktivierung zur Bewegung
Die „World Physiotherapy“ versteht Physiotherapie als eine Dienstleistung, „die maximale Bewegungs- und Funktionsfähigkeit der Menschen entwickelt, aufrechterhält und wiederherstellt. Mithilfe der Physiotherapie wird Menschen in jeder Lebensphase geholfen, die in der Bewegung und Funktion durch Alterung, Verletzungen, Krankheiten, Störungen, Bedingungen oder Umweltfaktoren bedroht sind“ [1]. Wenn es jedoch um Entscheidungen geht, Menschen ein gesundes Leben zu ermöglichen, benötigt es mehr als nur das Wissen über Bewegung und Funktion.
Mit Blick auf die Lehrpläne in deutschsprachigen Ländern fehlen dort oftmals Lehrinhalte, die Menschen dazu befähigen „relevante Gesundheitsinformationen zu finden, diese zu verstehen, zu beurteilen und gezielt im Sinne einer Krankheitsbewältigung oder Prävention oder Gesundheitsförderung anwenden zu können“ [2] oder die Kompetenzen für einen aktiven Lebensstil zu fördern [3]. Sowohl Forschende als auch Praktiker*innen suchen nach Konzepten, die Menschen bei der langfristigen Akzeptanz eines körperlich aktiven Lebensstils unterstützen. Hier sind zum einen „Health Literacy“ (Gesundheitskompetenz) [4] [5] und zum anderen „Physical Literacy“ (d. h. etwa die körperliche Grundbildung) [6] zu nennen. Dieses Editorial fokussiert sich auf „Physical Literacy“, welche die gleichzeitige Betrachtung von physischen, emotionalen, kognitiven und sozialen Faktoren für lebenslange Bewegung in den Blick nimmt.
Perspektivisch kann die Ausbildung und Profession „Physiotherapie“ durch eine Orientierung an „Physical Literacy“ aufgrund des Ziels einer lebenslangen Aktivierung gestärkt werden. Margaret Whitehead [7] gilt als die Begründerin des modernen Physical-Literacy-Konzepts, das innerhalb der letzten 20 Jahre starke Verbreitung gefunden hat. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO 2018) hat „Physical Literacy“ als ein bedeutendes Konzept für die bewegungsbezogene Gesundheitsförderung in der Gesellschaft aufgewertet [8]. Inwiefern kann die Physiotherapie von „Physical Literacy“ profitieren? Ihre Sichtweise ist holistisch auf personale Voraussetzung und Kompetenzen in Bewegung und Sport ausgerichtet [9]. Gerade diese holistische Sichtweise ermöglicht es, traditionelle Konzepte zu erweitern, indem Trainingsansätze um wissensbezogene, planerische sowie motivationale Faktoren ergänzt werden. Dementsprechend können Interventionen und Praktiken um Methoden und Inhalte angereichert werden, die eine langfristige Bewegungsförderung begünstigen und gleichzeitig die Bedarfe von Menschen aufgreifen. Beispielsweise sollte die therapierende Person gemeinsam mit der behandelten Person Barrieren im Alltag identifizieren oder konkrete Pläne zur Aktivitätsdurchführung entwickeln [10] [11].
Das Zielbild von „physically literate individuals“ setzt eine interprofessionelle Betrachtungsweise voraus. Eine Zusammenführung physischer, emotionaler, kognitiver und sozialer Faktoren für lebenslange Bewegung beruht auf der Integration von Erkenntnissen aus den Feldern Bewegungswissenschaft, Physiotherapie, Gesundheitsbildung, Sportmedizin und Sportpsychologie. Die verschiedenen Professionen müssen eng miteinander zusammenarbeiten und passfähige Konzepte für die Praxis entwickeln, um dem ganzheitlichen Anspruch einer „aktivierenden Therapiegestaltung“ Rechnung zu tragen. Zudem sollten befähigende Konzepte wie Physical Literacy in die Praxis und Physiotherapieausbildung integriert werden.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
06. August 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 World Physiotherapy, Hrsg. What is physiotherapy (Ressources). Im Internet: https://world.physio/resources/what-is-physiotherapy (Stand: 07.04.2024)
- 2 Jordan S. Gesundheitskompetenz/Health Literacy. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Hrsg. Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden. Köln: 2023. DOI: 10.17623/BZGA:Q4-i065-3.0
- 3 Carl J, Bryant AS, Edwards LC. et al. Physical literacy in Europe: The current state of implementation in research, practice, and policy. J Exercise Science & Fitness 2023; 21: 165-176
- 4 Sørensen K. Defining health literacy: Exploring differences and commonalities. In: Okan O, Bauer U, Levin-Zamir D. et al. International handbook of health literacy. Policy Press; 2019: 5-20 DOI: 10.51952/9781447344520.ch001
- 5 Sørensen K, Van den Broucke S, Fullam J. et al. Health literacy and public health: a systematic review and integration of definitions and models. BMC Pub Health 2012; 12: 1-13
- 6 Cairney J, Dudley D, Kwan M. et al. Physical literacy, physical activity and health: Toward an evidence-informed conceptual model. Sports Med 2019; 49: 371-383
- 7 Whitehead M. The concept of physical literacy. Euro J Phys Edu 2001; 6: 127-138
- 8 World Health Organization. Regional Office for Europe, Hrsg. Health literacy in the context of health, well-being and learning outcomes the case of children and adolescents in schools: the case of children and adolescents in schools. World Health Organization. Regional Office for Europe. 2021
- 9 Holler P, Jaunig J, Fink S. et al. Physical Literacy. Holistik der Bewegungsförderung. Praxishandbuch. Wien: Österreichische Gesundheitskasse; 2021
- 10 Streber R, Peters S, Pfeifer K. Systematic review of correlates and determinants of physical activity in persons with multiple sclerosis. Archives of physical medicine and rehabilitation 2016; 97: 633-645
- 11 Zalewski K, Alt C, Arvinen-Barrow M. Identifying barriers to remaining physically active after rehabilitation: differences in perception between physical therapists and older adult patients. J Orthopaedic & Sports Phys Ther 2014; 44: 415-424