CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitswesen
DOI: 10.1055/a-2320-2740
Originalarbeit

Die zukünftige Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung aus kommunaler Perspektive

Ensuring Future Primary Care from a Municipal Perspective
Philip Schillen
1   Institut für Allgemeinmedizin, Universität Duisburg-Essen, Medizinische Fakultät, Essen, Germany
,
Jürgen in der Schmitten
1   Institut für Allgemeinmedizin, Universität Duisburg-Essen, Medizinische Fakultät, Essen, Germany
,
Johanna Bolland
1   Institut für Allgemeinmedizin, Universität Duisburg-Essen, Medizinische Fakultät, Essen, Germany
,
1   Institut für Allgemeinmedizin, Universität Duisburg-Essen, Medizinische Fakultät, Essen, Germany
› Author Affiliations
Fördermittel Bundesministerium für Gesundheit — http://dx.doi.org/10.13039/501100003107; 2521FEP100 LOCALHERO

Zusammenfassung

Hintergrund Die Gewährleistung eines wohnortnahen Zugangs zur (haus-)ärztlichen Versorgung erhält in Anbetracht des fortschreitenden Hausärztemangels auch für die Kommunen eine immer größer werdende Bedeutung. Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Perspektive der Kommunen in Nordrhein-Westfalen (NRW) auf die gegenwärtige und zukünftige Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung zu eruieren und daraus Hinweise für die zukünftige gesundheitspolitische Ausgestaltung einer wohnortnahen, bedarfsgerechten Primärversorgung abzuleiten.

Methodik In einer Online-Umfrage im Frühjahr 2023 wurden in Kooperation mit dem Städte- und Gemeindebund NRW, dem Landkreistag NRW sowie dem Städtetag NRW die Bürgermeister*innen bzw. Gesundheitsdezernent*innen aller 427 Kommunen (396 Städte und Gemeinden, 31 Kreise) in NRW zu ihrer kommunalen Perspektive auf die (künftige) hausärztliche Versorgung befragt. Die Fragebogen-Items (n=28) wurden in Anlehnung an zwei Erhebungen zur ärztlichen Versorgung in Niedersachsen und in Baden-Württemberg, mit jeweils kommunalpolitischer Zielgruppe, entwickelt und in wiederholten Pretests optimiert.

Ergebnisse An der Befragung nahmen 192 Kommunen teil (Rücklauf: 45,0%). Die Mehrheit der Kommunen (86,6%) schätzt die Versorgung vor Ort in den nächsten 10 Jahren als (eher) nicht sichergestellt ein. Die Kommunen äußern den Wunsch nach mehr eigenen Einflussmöglichkeiten (79,5% ja bzw. eher ja). Gleichzeitig erachten sie ein stärkeres Engagement, insbesondere der Kassenärztlichen Vereinigungen (85,4%), sowie eine Intensivierung landespolitischer Verantwortungsübernahme (72,4%) für die Sicherstellung der Versorgung als notwendig.

Schlussfolgerung Die Befragung verdeutlicht ein großes Problembewusstsein der kommunalen Ebene für zukünftige hausärztliche Versorgungsdefizite vor Ort. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Kommunen angesichts zunehmender Versorgungsenpässe die Kassenärztlichen Vereinigungen sowie das Land in der Pflicht sehen und künftig stärkeren politischen Druck ausüben werden. Die kommunale Perspektive ist ein wesentlicher Baustein bei den Überlegungen, wie in Zukunft die hausärztliche Versorgung sichergestellt werden kann. Die Kommunen sollten daher von den verantwortlichen Akteuren stärker als bislang in die Planungen und Maßnahmen zur Sicherung der hausärztlichen Versorgung einbezogen werden.

Abstract

Background In view of the continuing shortage of general practitioners, ensuring access to (primary) medical care close to home is also becoming increasingly important for local authorities. The aim of the present study was to analyse the current and future provision of primary care from the viewpoint of the municipalities in North Rhine-Westphalia (NRW). From the results, it should be possible to derive future health policy design of a needs-based primary care close to home.

Methods In an online survey in spring 2023, we surveyed the mayors or representatives of health departments of all 427 municipalities (396 cities and communities, 31 districts) in NRW in cooperation with the NRW Association of Cities and Municipalities, the NRW Association of Counties and the NRW Association of Cities. The items of the questionnaire (n=28) were developed on the basis of two other surveys on medical care in Lower Saxony and Baden-Württemberg, each with a municipal policy target group. They were tested in repeated pretests.

Results In total, 192 municipalities participated in the survey (response rate: 45.0%). The majority of the municipalities (86.6%) considered the local provision of primary care to be (rather) not ensured within the next 10 years. The municipalities expressed the wish for more opportunities to exert their own influence (79.5% yes or rather yes), but nevertheless considered a stronger commitment, especially of the Associations of Statutory Health Insurance Physicians (85.4%), as well as an intensification of assumption of responsibility by the federal states (72.4%) to be necessary for ensuring primary care.

Conclusion The survey shows that municipalities are quite aware of the problem of future deficits in the supply of general practitioners at the local level. The results also indicate that, in view of increasing supply shortfalls, the municipalities see obligations for the Associations of Statutory Health Insurance Physicians and the federal states to take responsibility and to exert greater political pressure in the future. The municipal perspective is an essential building block in considerations of how primary care can be ensured in the future. The responsible stakeholders should therefore involve the municipal level in the planning and measures to secure primary care more closely than in the past.



Publication History

Accepted Manuscript online:
06 May 2024

Article published online:
21 June 2024

© 2024. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

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