Zeitschrift für Palliativmedizin 2024; 25(04): 182-185
DOI: 10.1055/a-2323-4034
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Doppelkopf: Torsten Haferlach und Rainer Ordemann

Torsten Haferlach

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Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

Vorab: Nach dem Studium war mein Plan, mich als Allgemeinarzt ausbilden zu lassen und dann eine Praxis in der Nähe von Kiel, zum Beispiel in Gettorf, zu haben. Ich hatte dafür zwei Weiterbildungsangebote an Kliniken in Kiel. Was ich nie werden wollte, war: Internist, Hämatologe; mein Ziel war es damals auch nicht, Oberarzt zu werden, ich wollte mich nicht habilitieren oder meine Heimatstadt Kiel verlassen. Als ich dann nach Göttingen ging, war nicht absehbar, wie es weitergehen würde. Dann in München an der LMU war mein Plan nicht, die Alma Mater zu verlassen. Mein jetziges Tätigkeitsfeld entstand also mehr aus, „was alles nicht mein Plan war und alles mein Plan wurde“. Man kann auch andersrum sagen: Rückwirkend sieht alles geplant aus, straight forward, aber wenn man von Anfang an erneut auf heute gucken würde: dann hat das berufliche Leben sehr viele Wendungen genommen, die so nie geplant waren.

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Ich habe mich immer schon für Germanistik, Literaturwissenschaften, auch Philosophie interessiert, und sehr viel für klassische Musik. Deswegen auch das Zweitstudium zum Dr. phil. mit Promotion über mittelalterliche Literatur. Also eine interessante Alternative wäre sicher gewesen, geisteswissenschaftlich tätig zu werden.

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Um 5:45 Uhr, mit Tee und Müsli, Orangensaft, und dann ab 6:45 Uhr gerne ein paar noch ruhigere Minuten im Labor arbeiten, bevor es rundgeht.

Leben bedeutet für mich …

die Zeit zu nutzen, die einem gegeben ist, sehr wohl wissend, dass man die Zeitspanne nicht kennt. Das macht es anspruchsvoll, liebenswert, aufregend und hat mich immer wieder bisher dazu gezwungen, die gegebenen Zeiten, möglichst vielfältig, intensiv, erfüllend und voller Perspektiven und Ideen zu nutzen. Ein wenig davon, Leben und mehr Zeit, auch für meine Patienten zu ermöglichen, und damit indirekt die eigene Zeit zu vermehren: welch eine Möglichkeit, diesen Beruf ausüben zu dürfen.

Sterben bedeutet für mich …

Aus Norddeutschland stammend, würde ich mich nicht als besonders gläubig bezeichnen, was auch immer das für andere sein mag, denen ich großen Respekt zolle. Gerade deswegen, oder, umso mehr sehe ich das Sterben als einen anderen Zustand des Daseins an. Schon seit Jahrzehnten tröste ich mich immer wieder, wenn andere – Angehörige, Freunde und viele Patienten – vor mir gehen, mit dem berühmten Gedicht von Friedrich Rückert aus seinen Kindertotenliedern, das Gustav Mahler so kongenial vertont hat, mit der berührenden Zeile: „… Sie sind uns nur vorausgegangen …“ Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegangen,
Bald werden sie wieder nach Hause gelangen,
Der Tag ist schön, o sei nicht bang,
Sie machen nur einen weitern Gang.

Jawohl, sie sind nur ausgegangen,
Und werden jetzt nach Haus gelangen,
O sei nicht bang, der Tag ist schön,
Sie machen den Gang zu jenen Höhn.

Sie sind uns nur voraus gegangen,
Und werden nicht hier nach Haus verlangen,
Wir holen sie ein auf jenen Höhn
Im Sonnenschein, der Tag ist schön.


F. Rückert, 1872 posthum erstmals gedruckt

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

An einem Abend, bei einem gepflegten Essen und einem Glas Rotwein, feststellen zu dürfen: meine To-do-Liste ist kürzer geworden, und das, was noch draufsteht, ist jetzt Kür und nicht mehr Pflicht … Ich bin nicht sicher, ob ich das je erreichen werde, aber man braucht solche Ziele!

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

Die meisten Menschen und Dinge sind viel spannender, als man vorher wissen kann. So muss ich mich nicht auf die Suche nach der verlorenen Zeit aufmachen, die sich nicht gelohnt hätte, um etwas auszuprobieren oder zu besprechen oder zu tun, jemanden zu treffen. Das gibt es glaube ich für mich nicht: alles Denken, Fühlen und Handeln wird zu einem Sediment hinabsinken, das im besten Sinne und Falle die gesammelte Lern- und Lebenserfahrung beinhaltet.

Was würden Sie gern noch lernen?

Nicht nur ein Labor zu „dirigieren“, sondern ein Orchester, wo das gemeinsam Erschaffene nicht nur lesbar oder sichtbar, sondern auch in einem einzigen großen Kunstwerk hörbar wird.

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Aus dem immer Neuen, Unerwarteten, den vielen Freunden, Kolleginnen und Kollegen und der Hoffnung, einen kleinen Unterschied mitgestalten zu dürfen.

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Anspruchsvolles längeres Gedankenspiel, sehr wohl wissend, wie klitzeklein ich wäre: Gustav Mahler, Siegmund Freud, Albert Einstein und Leonard Bernstein. Thema des Abends: Wie rette ich die Welt?

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

zuhören und -schauen wollen, wie Kirill Petrenko mit den Wiener Philharmonikern Mahlers 9. Symphonie einstudiert, speziell den letzten Satz.

Wie können Sie Herrn Prof. Ordemann beschreiben?

Ein Weltbürger, der mit dem Zug von Köln bis nach Hongkong fuhr, mit Lebenszeiten u. a. in Bonn und Dresden, als da Geschichte geschrieben wurde. Sehr mutig, nach Jahrzehnten an Unis in leitenden Funktionen den Neustart im MLL zu wagen. In München fest angekommen und von der Stadt eingenommen. Als Arzt über Jahrzehnte erfahren, im MLL ein verlässlicher Anlaufpunkt für Patienten, Mitarbeiter und immer der wichtigen Sache verschrieben. Wissen weitergeben wollend und dies auch sehr gut können.

Wie beenden Sie Ihren Tag?

Bisweilen mit einem Glas Rotwein und in freudiger Erwartung auf den nächsten Tag voller unerwarteter Erfahrungen.

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Würdest Du dir wünschen, ewig zu leben?

Zur Person

Prof. Dr. med. Dr. phil. Torsten Haferlach war zunächst als Mediziner und Hämatologe an der 2. Medizinischen Universitätsklinik Kiel (1984–1996) tätig und studierte parallel Germanistik, Literaturwissenschaften und Geschichte der Medizin (1984–1991). Er wechselte dann nach der Habilitation nach Göttingen (1996–1998) und später an das Universitätsklinikum München (LMU) (1998–2005), wo er sowohl als Oberarzt der Medizinischen Klinik und Poliklinik III für Innere Medizin als auch als Leiter des Labors für Leukämiediagnostik fungierte.

Im Jahr 2005 gründete er zusammen mit drei KollegInnen aus komplementären Disziplinen das MLL Münchner Leukämielabor (www.mll.com). Heute bearbeitet das Labor über 130 000 Blut- oder Knochenmarkproben pro Jahr. Das MLL hat aktuell 332 Mitarbeitende und ist ein zentrales Referenzlabor, das diagnostische Dienstleistungen für Deutschland, weitere europäische Länder und auch für internationale Studien in der Hämatologie erbringt. Seit Ausbruch des Krieges 2022 wird auch die gesamte hämatologische Spezialdiagnostik der Ukraine im MLL für die Patienten der Ukraine kostenlos erbracht. Das Methodenspektrum des MLL spannt sich von der Zytomorphologie, Zytogenetik, FISH, Immunphänotypisierung und Molekulargenetik bis zu WGS und WTS. Seit der Gründung des Labors wurden mehr als 760 Artikel in hochrangigen, medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht. Prof. Haferlach ist Autor oder Mitautor von mehr als 700 peer-reviewed Artikeln und auch Mitautor der neuen WHO-Klassifikation 2022. In der angeschlossenen Praxis MLL MVZ werden mehr als 5000 Patienten/Jahr behandelt.



Publication History

Article published online:
28 June 2024

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