Arthritis und Rheuma 2024; 44(04): 276-278
DOI: 10.1055/a-2342-5181
Kasuistik Kinderrheumatologie

Türkischstämmiger Patient mit rezidivierendem Fieber und Arthralgien

Antje Klaumünzer
,
Boris Hügle

Fallbericht

Ein zum Zeitpunkt der Diagnosestellung 13-jähriger Jugendlicher stellte sich mit einer langjährigen Geschichte mit Arthralgien und rezidivierenden Fieberepisoden vor.

Seit dem Alter von 3 Jahren klagte der Patient über Arthralgien beider Sprunggelenke und des rechten Hüftgelenks. Unter einer Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) waren die Arthralgien zwar rückläufig, sistierten aber nie. Im Alter von 5 Jahren trat erstmalig eine Fieberepisode über 3 Wochen mit zervikalen Lymphknotenschwellungen, Arthralgien und einem flüchtigen Exanthem auf. Außerdem wurde eine transiente GOT- Erhöhung über dem 3-Fachen der Norm sowie ein erhöhtes CRP gemessen. Das Fieber persistierte trotz einer Therapie mit Antibiotika. Infektiöse und maligne Ursachen des Fiebers wurden ausgeschlossen. Nach Steroidgabe kam es regelmäßig zu Entfieberung. Eine genetische Untersuchung zum damaligen Zeitpunkt konnte eine Mutation im MEFV-Gen in 4 Exons ausschließen. Die Arthralgien persistierten. Eine eindeutige Arthritis der Gelenke konnte nicht diagnostiziert werden.

10 Monate nach der ersten Fieberepisode traten nun erneut Fieber und nun auch Bauchschmerzen auf. Im Rahmen dieser Episode war der Junge erstmalig in unserem Haus vorstellig. Bei ebenfalls vorhandenen Stippchen auf den Tonsillen wurden ein Antibiotikum und Colchicin gegeben. Der Patient entfieberte. Unter der Verdachtsdiagnose eines familiären Mittelmeerfiebers ohne Mutationsnachweis wurde der Patient die folgenden Jahre mit Colchicin behandelt (1 mg/Tag im Verlauf bis max. 2,5 mg/Tag). Außerdem nahm er bei weiterhin persistierenden Arthralgien und Bauchschmerzen Methotrexat (13 mg/qm KOF/Woche) ein. Er war die folgenden 6 Jahre nicht mehr in unserer Behandlung. Während dieser Zeit persistierten die Arthralgien auch unter der Medikation mit Methotrexat und Colchicin. Es kam zu weiteren Fieberschüben. Das Methotrexat wurde nach einer insgesamten Therapiedauer von 5 Jahren abgesetzt.

10 Jahre nach Beginn der Arthralgien und 7 Jahre nach dem ersten Fieberschub wurde der nun 13-jährige Jugendliche erneut bei uns vorstellig. In den vergangenen 3 Monaten hatte er 3 dokumentierte Fieberepisoden (38–39 °C) über 7 bzw. 13 und 14 Tage Dauer mit Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Arthralgien durchgemacht. Klinisch konnten eine Hepatosplenomegalie und axilläre bzw. zervikale Lymphknotenschwellungen festgestellt werden. Laborchemisch lagen im Fieberschub eine Transaminasenerhöhung bis maximal GOT 310 U/l bzw. GPT 700 U/l sowie erhöhte Entzündungsparameter vor. Anamnestisch waren in den Jahren zuvor einzelne orale Aphthen aufgetreten, aber keine Exantheme. Die bekannten Arthralgien in Sprunggelenken und der rechten Hüfte persistieren auch über die Fieberepisoden hinaus. Ein Auslöser der Fieberepisoden war nicht zu eruieren.

Die Familie des Jugendlichen ist türkischstämmig, die Eltern nicht konsanguin. Es gibt keine weiteren Familienmitglieder mit rezidivierendem Fieber. Anamnestisch war bei einer Großmutter ein systemischer Lupus diagnostiziert und eine Arthritis bei einer Tante. Der ältere Bruder des Patienten war gesund.

In der klinischen Untersuchung im fieberfreien Intervall sahen wir keine Auffälligkeiten, insbesondere keine Aphthen, Exantheme oder Arthritis. Laborchemisch waren die Entzündungsparameter und Transaminasen erhöht: CRP: 2,5 mg/dl (< 1), BSG: 26/60 mm/h, Protein S100 A8/A9: 9040 ng/ml (< 2940), Serum-Amyloid A: 54 mg/l (< 10), GOT: 65 U/l, GPT: 125 U/l mit einem Anstieg im Verlauf auf GOT: 240 U/l, GPT: 366 U/l. Sonografisch lag eine Hepatomegalie und eine grenzwertige Splenomegalie vor. Eine aktive oder chronisch aktive Hepatitis A, B, C sowie Parvovirus B19-, CMV- oder EBV-Infektion konnten wir serologisch ausschließen.

Wir wiederholten eine genetische Untersuchung mittels Next Generation Sequencing in multiplen Genen mit Assoziation zu autoinflammatorischen Erkrankungen mit rezidivierendem Fieber [1].

Hier zeigte sich eine bis dato nicht in der Literatur beschriebene heterozygote Mutation im NLRP12-Gen (c.733_736delGATT; p.Asp245Ilefs*10). Die Mutation unseres Patienten führt zu einer Frameshift-Mutation. Damit kommt es zu einem verfrühten Stopp-Codon und wahrscheinlich zu einem vorzeitigen Abbau des Transkriptes. Mutationen im NLRP12-Gen sind assoziiert mit dem familiären kälteinduzierten Autoinflammatorischen Syndrom Typ 2/NLRP12- assoziierten Autoinflammatorischen Syndrom (FCAS2/NLRP12-AID; OMIM-Referenz 611762).

Wir begannen eine Therapie mit Anakinra (100 mg/Tag). Dies führte zu weitgehendem Rückgang der Symptome einschließlich der Arthralgien, die Behandlung mit Colchicin konnte beendet werden. Aus Gründen der Handhabbarkeit wurde nach 18 Monaten eine Umstellung auf Canakinumab (150 mg/8 Wochen) vorgenommen. Dies führte zu einer weiteren Besserung der Symptome. Da eine fortführende Kostenübernahme durch die Krankenkasse leider nicht genehmigt wurde, musste die Therapie nach einem Jahr wieder auf Anakinra umgestellt werden. Unter dieser Therapie ist er aktuell weitgehend beschwerdefrei, mit unauffälligen Laborbefunden.



Publication History

Article published online:
06 September 2024

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  • Literatur

  • 1 Praxis für Humangenetik Tübingen. Panel „Autoinflammatorische Erkrankungen – periodische Fiebersyndrome: MEFV, NLRP3, MVK, TNFRSF1A, NLRP1, NLRP12, SLC29A3, NLRC4, OTULIN, IL36RN, TMEM173, CECR1, PLCG2”
  • 2 Wang HF. NLRP12-associated systemic autoinflammatory diseases in children. Pediatr Rheumatol Online J 2022; 20 (01) 9 PMID: 35123508; PMCID: PMC8817530
  • 3 Demir F, Sözeri B. NLRP12-associated autoinflammatory disease: much more than the FCAS phenotype. Clin Exp Rheumatol 2023; 41 (10) 2115-2121 Epub 2023 Oct 9. PMID: 37877365