neuroreha 2024; 16(03): 152
DOI: 10.1055/a-2346-4165
Buchbesprechung

Roman – Krüppelpassion

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J. Kuhlbrodt. Krüppelpassion – oder vom Gehen. Berlin: Gans Verlag 2023, 240 S., 30,00 €, ISBN: 978-3-946392-34-7

Schon der Titel irritiert. Ist das Wort Krüppel nicht altmodisch und diskriminierend? Und Passion? Das klingt nach einem Leidensweg. Beides ist natürlich vom Autor bewusst eingesetzt, denn beide Wörter sind Teil dieses Buches. Das Wort „Krüppel“ wird hier als Kunstgriff verwendet, das der Autor verwenden „darf“, da er ein Betroffener ist. Seit vielen Jahren ist er an MS erkrankt. Jan Kuhlbrodt ist aber eben auch Schriftsteller – die Leser*innen bekommen daher eine Stimme zu hören, die die eigenen Erfahrungen auf literarische Art und Weise umsetzt. Welche Worte, welche Bilder findet der Autor, um sich auszudrücken? Es handelt sich daher bei Krüppelpassion um mehr als einen reinen Erfahrungsbericht. In fragmentarischen, tagebuchartigen Texten greift der Alfred-Döblin-Preisträger von 2023 verschiedene Themen auf (seine Erkrankung, seine Jugend in der DDR, seine Zeit in der Volksarmee, die Erkrankung seiner Mutter, mit der er die Diagnose teilt). Das Buch ist anstrengend und hart zu lesen. Es ist keine entspannte Sofalektüre. Hier geht es ums Ganze: den Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper, die Verarbeitung sowie den Umgang mit einer progredienten Erkrankung und mit der Vergänglichkeit, die Ohnmacht gegenüber strukturellen Hindernissen. Die kurzen Texte sind berührend und regen zum Nachdenken an. Besonders impressiv sind Textpassagen wie: „Ich kann mich heute nicht mehr daran erinnern, wie es ist, zu gehen. Natürlich weiß ich, wie es aussieht. Ich sehe ja die anderen, sehe sie gehen […], aber ich weiß nicht mehr, wie es sich anfühlt.“



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Article published online:
27 August 2024

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