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DOI: 10.1055/a-2346-4165
Roman – Krüppelpassion
Schon der Titel irritiert. Ist das Wort Krüppel nicht altmodisch und diskriminierend?
Und Passion? Das klingt nach einem Leidensweg. Beides ist natürlich vom Autor
bewusst eingesetzt, denn beide Wörter sind Teil dieses Buches. Das Wort „Krüppel“
wird hier als Kunstgriff verwendet, das der Autor verwenden „darf“, da er ein
Betroffener ist. Seit vielen Jahren ist er an MS erkrankt. Jan Kuhlbrodt ist aber
eben auch Schriftsteller – die Leser*innen bekommen daher eine Stimme zu hören, die
die eigenen Erfahrungen auf literarische Art und Weise umsetzt. Welche Worte, welche
Bilder findet der Autor, um sich auszudrücken? Es handelt sich daher bei
Krüppelpassion um mehr als einen reinen Erfahrungsbericht. In fragmentarischen,
tagebuchartigen Texten greift der Alfred-Döblin-Preisträger von 2023 verschiedene
Themen auf (seine Erkrankung, seine Jugend in der DDR, seine Zeit in der Volksarmee,
die Erkrankung seiner Mutter, mit der er die Diagnose teilt). Das Buch ist
anstrengend und hart zu lesen. Es ist keine entspannte Sofalektüre. Hier geht es ums
Ganze: den Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper, die Verarbeitung sowie den
Umgang mit einer progredienten Erkrankung und mit der Vergänglichkeit, die Ohnmacht
gegenüber strukturellen Hindernissen. Die kurzen Texte sind berührend und regen zum
Nachdenken an. Besonders impressiv sind Textpassagen wie: „Ich kann mich heute nicht
mehr daran erinnern, wie es ist, zu gehen. Natürlich weiß ich, wie es aussieht. Ich
sehe ja die anderen, sehe sie gehen […], aber ich weiß nicht mehr, wie es sich
anfühlt.“
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
27. August 2024
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