intensiv 2024; 32(05): 229
DOI: 10.1055/a-2346-7298
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Tobias Weimer

Triage auf der Intensivstation

Triage und Übertherapie sind aktuelle Themen der Intensivmedizin. Ob ein Patient gegebenenfalls Gefahr läuft, übertherapiert zu werden oder in den Abwägungsprozess einer Triage-Entscheidung einbezogen werden darf, sollte oder gar müsste, sind wichtige Fragen, die im Zeitalter von Pandemien zumindest außerhalb von akuten Krisenzeiten behandelt werden sollten. Deshalb ist von Bedeutung, dass verschiedene Gruppen von Intensivmedizinern gegen § 5c IfSG (Triage) Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht (u. a. unter Aktenzeichen 1 BvR 2284/23) erhoben haben. Gegenstand der Verfassungsbeschwerden ist das Zuteilungsverfahren bei nicht ausreichend vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten aufgrund einer übertragbaren Krankheit, das in § 5c IfSG geregelt ist. Es wurde im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzes mit Gesetz vom 08.12.2022 (BGBl. I S. 2235 (Nr. 49), in Kraft getreten am 14.12.2022, eingeführt.

Die Intensivmediziner rügen nun, im Kern durch die Vorgaben des Zuteilungsverfahrens in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG (ärztliche Berufsfreiheit), Art. 4 Abs. 1 (Gewissensfreiheit) sowie Art. 3 Abs. 1 (Anspruch auf Gleichbehandlung) und Art. 103 Abs. 2 GG (Bestimmtheitsgebot) verletzt zu sein. Die in der Verfassungsbeschwerde benannten Eingriffsdimensionen gewinnen dabei ihre besondere Eingriffstiefe durch den Umstand, dass eventuelle Gesetzesverstöße jedenfalls mit standesrechtlichen, aber – mindestens hinsichtlich des Verbots der sogenannten Ex-post-Triage – womöglich auch mit strafrechtlichen Sanktionsfolgen verbunden, in jedem Fall aber gravierende berufliche und soziale Negativfolgen im Falle von disziplinarischen, berufsrechtlichen, approbationsrechtlichen oder gar strafrechtlichen Ermittlungen zu erwarten sind. Darüber hinaus erachten die Autoren der Verfassungsbeschwerde das Gesetz bereits für formell verfassungswidrig. Schon der Umstand, dass sich die Träger der Kliniken bisher nicht imstande sahen, die gesetzlich verlangte Verfahrensordnung zur Operationalisierung der Triage-Entscheidung in den Kliniken umzusetzen, zeigt sehr deutlich, dass die gesetzlichen Vorgaben bereits auf ein faktisch unmögliches Tun ausgerichtet sind.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
04. September 2024

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