Zeitschrift für Palliativmedizin 2024; 25(05): 231-236
DOI: 10.1055/a-2359-7115
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Doppelkopf: Veronika Schönhofer-Nellesen und Christian Blau

Veronika Schönhofer-Nellesen

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Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

In den Ausbildungsjahren hatte ich mich, nach einigen Semestern Katholische Theologie (bis einschließlich Vordiplom), doch nochmal zu einem Wechsel und Quereinstieg in das Studium der Sozialpädagogik entschieden. Dem war ein inneres Ringen vorausgegangen. Mein Verständnis einer gelebten Glaubensgemeinschaft kollidierte mit der Erfahrung von Zuschreibungen aufgrund von Geschlechterrollen innerhalb der Kirche. Die Entscheidung, Sozialpädagogik zu studieren, hatte etwas mit meinem Grundverständnis von sinnerfülltem Leben auch im beruflichen Kontext zu tun. Neben der sogenannten Verkündigung gibt es die Diakonie als berufliche Beauftragung innerhalb der Kirche – die mit anderen Worten die reale Umsetzung des Glaubens ins Leben hinein ausdrückt. Genau das fand ich in meinem zweiten Studium und vor allem in der beruflich weit gefächerten Möglichkeit des professionellen Einsatzes.Nach einer therapeutischen Zusatzausbildung arbeitete ich in den ersten Berufsjahren in einer Beratungsstelle für Familien. Zu dieser Zeit heiratete ich und als das erste Kind unterwegs war, ging ich in Elternzeit, blieb aber nebenberuflich immer in der Erwachsenenbildung mit dem Fokus auf Frauenarbeit. Hier habe ich die Freude an ganzheitlicher Bildung kennenlernen und umsetzen dürfen.Ich war mit meinem Leben – unsere drei Kinder gemeinsam mit einem Mann willkommen zu heißen, ein gemeinsames Nest aufzubauen, plus nebenberuflicher Tätigkeit und ehrenamtlichem Engagement in der eigenen Pfarre – sehr zufrieden. Zu dieser Zeit drohte meinem Mann, der als Pädagoge beim Bistum Aachen angestellt war, jedoch aus Spargründen, wie vielen anderen Pädagog*innen ebenfalls, die Kündigung. Deshalb begann ich mich wieder zu bewerben und erhielt 2005 die Möglichkeit, unter dem Dach des Bildungswerks Aachen (vom Land NRW zertifizierte gemeinwohlorientierte Weiterbildungseinrichtung für berufliche Bildung) die Leitung der Servicestelle Hospiz zu übernehmen. Mit der Geschäftsführung des regionalen Palliativen Netzwerks für die Region Aachen e. V., das 2008 gegründet wurde, wuchs meine Stelle bis 2009 zu einer vollen Stelle heran. Die großen Gestaltungsmöglichkeiten auf regionaler, Landes- sowie Bundesebene waren und sind bis heute eine große Freude und darüber hinaus ging der Wunsch auf, genau hier ein sinnerfülltes berufliches Tätigkeitsfeld gefunden zu haben. Heute arbeite ich inmitten eines großen Teams aus 70 verschiedenen Einrichtungen der Region Seite an Seite mit Prof. Roman Rolke (Lehrstuhlinhaber für Palliativmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen) als 1. Vorsitzenden des Palliativen Netzwerks für die Region Aachen e. V. sowie den beiden Koordinationsstellen für Mobile Ethikberatung als auch für Kinder- und Jugendtrauer mit so inspirierenden Menschen wie Christian Blau, der visionär sowie leidenschaftlich engagiert nicht nur Projekte entwickelt, sondern sie mit uns gemeinsam auch umsetzt und verstetigt.

Was wäre eine berufliche Alternative?

Der Umgang mit Tieren, Gartenarbeit und Gartengestaltung haben mir immer viel Freude gemacht. Die Arbeit auf einem gemeinnützigen Bauernhof inklusive Hofladen, einem Café als Ort der Begegnung mit einem Buchladen, womöglich auf einem historischen Gutshof innerhalb einer lebendigen genossenschaftlichen Gemeinschaft, ist ebenfalls ein beruflicher Traum von mir gewesen. Tiere waren tatsächlich viele Jahre Wegbegleiter*innen in meinem Leben. Was den Garten angeht, teilen mein Mann und ich diesen Traum einer naturnahen Gartengestaltung und verbringen hier viel Freizeit und laden sehr gerne Familie und Freund*innen zur Begegnung, Erholung und zum Verweilen ein.

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Ich starte den Morgen in der Regel sehr früh mit einem kurzen stillen Gebet, anschließend aktiviere ich in der Regel meine Lebensgeister durch eine Runde Sport. Danach beginne ich mit einer Tasse Tee oft eine erste Arbeitseinheit am Computer. Nachdem ich mich herzlich von meinem Mann verabschiedet habe, fahre ich zur Arbeit.

Leben bedeutet für mich …

Spiritualität – damit meine ich die innerliche Offenheit, in jeder Begegnung das Bedeutsame dahinter zu erspüren; das Unsterbliche, Wahre, Ewige über die Zeiten hinaus wahrzunehmen und darin die Verbindung mit allen Menschen, Tieren, der Natur und Kunst zu suchen. Ich glaube, dass es eine Urkraft des Lebens gibt, die eine Idee mit uns verbindet, über dieses Leben hinaus und es Sinn macht, hier und jetzt da zu sein. Das trägt mich und ist der rote Faden in meinem Leben. Das kommt meiner Persönlichkeit sehr entgegen, weil ich sehr, sehr neugierig bin und Geheimnisse zu entdecken und wenn möglich zu entschlüsseln, ist Lebenselixier für mich.

Sterben bedeutet für mich …

in eine neue Dimension einzusteigen. Hinter den Vorhang zu schauen, vielleicht sich frei und unbeschwert zu fühlen und sich aufmachen in eine neue Heimat. Aber davor gibt es noch eine große Hürde und den Brief mit den sieben Siegeln: Der Verlust von liebsten Menschen bzw. mich zu verabschieden von meinen Liebsten. Das wird mir das Herz brechen, das weiß ich jetzt schon. Gleichzeitig hoffe und vertraue ich darauf, dass das Leben, das uns ganz will, mit Haut und Haar, mir das zutraut, was ich schaffen werde und wenn dieses Leben dann zu Ende geht, mir die Kraft gibt, die es benötigt, um die Geburt des Sterbens zu bewältigen.

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Mit ganzer Kraft mich einzusetzen, da wo ich Wirkungsmöglichkeit habe, die Krisen, die die gesamte Menschheit betreffen, zum Guten zu wenden. Das bedeutet für mich, dass Caring Community auf regionaler, Landes- und Bundesebene mit einem politischen Rahmen versehen wird. Menschen soll es möglich sein, sich für das Gemeinwohl einzusetzen trotz einer vollen Berufstätigkeit. Eine Vision könnte sein, ohne finanziellen Verlust, sich freiwillig innerhalb des Berufes für 2–5 Stunden in der Woche ehrenamtlich zu engagieren, ob im Gesundheitswesen, in der Bildung von Kindern oder bei der Integration von benachteiligten Gruppen. Diese Modellprojekte gibt es schon jetzt in den Niederlanden und der finanzielle Verlust wird über Steuergelder refinanziert. Da, wo ich lebe, liebe oder arbeite, übernehme ich Verantwortungsbeziehung mit den Menschen in meinem Lebens- und Wohnumfeld. Leitend dabei ist die Frage: Was bedeutet gutes Leben für alle Menschen und was kann ich dazu beitragen? Eine Teilumsetzung und Weiterentwicklung dieser Vision liegt mir sehr am Herzen. Genau das erlebe ich in der Vernetzung und Begegnung mit Christin Blau. Uns verbindet das Interesse am Gemeinwohl aller Menschen. Wir alle gemeinsam versuchen dies in Projekten, in Kooperation mit den Fachgesellschaften, Gesprächen mit Politik sowie Entscheidungsträger*innen und Fachtagungen voranzubringen.

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben?

„Dass es am Ende immer gut wird und wenn es noch nicht gut wird, dann ist es noch nicht zu Ende.“ (Oscar Wilde) – Für mich bedeutet das, getragen zu sein von einem Urvertrauen ins Leben und das heißt nicht, naiv optimistisch durchs Leben zu gehen, sondern bei allen Rückschlägen, Höhen und Tiefen in jedem Leben, am Ende die Zuversicht nicht zu verlieren.„Es braucht sehr lange, jung zu werden“ (Pablo Picasso). Die innere Freiheit zu erlangen, die Öffnung in einen unbegrenzten Raum hinein zu erleben und darin Phantasie, Gestaltungsmöglichkeiten, Spiel sowie Gedankenfreiheit wie Kinder und Künstler*innen im eigenen Inneren zu entdecken – so verstehe ich dieses Zitat von Picasso und die Weisheit, die darin steckt.Beides sind wichtige Lernerfahrungen für mich. Das erste Zitat hat mich schon früh begleitet und das zweite ist eine wunderschöne Vision auch ins Alter hinein.

Was würden Sie gerne noch lernen?

Cello spielen, Malen mit Farben und noch mehr Sprachen. Darüber hinaus interessiere ich mich für die grundsätzlichen Fragen an das Leben. Ich möchte gerne noch mehr über Politik, Philosophie, Geschichte und alte Geschichte sowie Archäologie lernen. Ornithologie interessiert mich und ich liebe es sehr, im Chor zu singen und das alles gerne zu vertiefen. Es gibt noch mit anderen Worten so vieles, was ich lernen möchte und am liebsten bis zum letzten Atemzug …

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Die Kraft für die Arbeit kommt auch häufig aus der Arbeit mit ihren vielen Bezügen zurück. Vor allem aus den Begegnungen mit den Kolleg*innen in meinem Team, im Netzwerk, auf Fortbildungen (ein großer Schwerpunkt meiner jetzigen Arbeit) und Veranstaltungen. Die Kraft für das gesamte Leben habe ich schon im Rahmen der ersten Frage beantwortet. Die Menschen, die ich liebe, spielen in meinem täglichen Leben eine zentrale tragende Rolle. Durch sie ist die Lebensfreude zur fundamentalen Lebensqualität geworden. Da ich aus einer lebendigen Großfamilie komme, mit der wir einmal im Jahr eine Woche Urlaub immer im selben Park an der Nordsee mit 60 bis 70 Menschen seit 35 Jahren verbringen, verbinde ich mit Familie auch noch eine andere Dimension. Dieser Urlaub ist nicht wirklich erholsam, aber er gibt Kraft für Monate.

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Auch da gäbe es viele, die mich sehr reizen würden. Am Ende meiner Überlegung musste ich mich dann zwischen Platon, Hildegard von Bingen, Søren Kierkegaard und Hannah Arendt entscheiden, für alle empfinde ich eine tiefe Bewunderung. Am Ende entscheide ich mich dann doch für Platon, dessen Ausstrahlung über Jahrhunderte hinweg uns noch erreichen kann. Nicht nur die Ideenlehre auch seine Vorstellung zur Seelenwanderung, die Frage, wie führe ich ein gutes Leben oder wie kann eine ethisch gute Staatsform aussehen und wie versteht er Freundschaft und Liebe, würde mich im Gespräch mit ihm sehr interessieren.

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

Tiere in der Natur beobachten, die sonst vor mir weglaufen würden. Ich könnte sehr nah ran und mich vielleicht sogar zwischen ihnen bewegen und zwischen ihnen sein, ohne dass ich ihnen einen Schrecken einjage und sie flüchten. Das stelle ich mir sehr schön vor.

Wie würden Sie Christian Blau beschreiben?

Er ist ein Phänomen!! Er ist enorm begeisterungsfähig und inspirierend zugleich. Er arbeitet als Chefarzt partizipativ mit seinem Team, er ist ein liebevoller Vater und Ehemann und ein sehr kompetenter Kardiologe, Intensivmediziner, Notfallmediziner, Palliativmediziner plus Ethikberater. Was ich auch besonders an ihm schätze, dass er groß denken kann, er ist handlungs- und lösungsorientiert, zugleich ein Herzensmensch. Er ist in keiner Weise verführt, narzisstische Neigungen zu entwickeln, ist immer kooperativ, kreativ und mit einem Wort einfach liebenswert! Es ist ein Glücksfall für mich persönlich, mit ihm in mehreren Projekten eng zusammenzuarbeiten, ihn als Mensch kennenlernen zu dürfen und Zeit miteinander zu teilen. Er ist ein Geschenk des Himmels!

Wie beenden Sie ihren Tag?

Fast so, wie ich ihn beginne: Manches Mal muss ich nochmal an den Schreibtisch nach dem Abendessen. Danach brechen mein Mann und ich oft gemeinsam zu einem Abendspaziergang auf, in dem wir neben den Reflexionen über den Tag oft die Abendstimmung in der Eifel aufnehmen und genießen. Wir spielen beide gerne verschiedenste Spiele, zu zweit sind es dann oft Brettspiele, die wir vor allem im Sommer noch im Garten spielen. Auch zur Nacht spreche ich ein stilles Gebet und nach einem kurzen herzlichen Abschied in die Nacht von meinem Mann, schlafe ich dann wieder ein.

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Ja, „wie finden Sie das Doppelkopfformat in dieser Fachzeitschrift?“Ich finde es spritzig, kreativ, überraschend! Es hat mich selbst zur Selbstreflexion angeregt. Ich freue mich, dass ich dazu noch einen besonderen Kollegen ebenfalls dazu einladen durfte. Tolles Format – herzlichen Dank für diese Gelegenheit!

Zur Person

1983 Abitur St. Michael Gymnasium, Monschau

1983–1986 Theologiestudium an der Rheinisch-Westfälischen Universität, Bonn

1986–1989 Studium der Sozialpädagogik an der Katholischen Hochschule, Aachen

1987–1989 Therapeutische Zusatzausbildung Psychodrama

1989–1990 Einjähriges Berufspraktikum in der Beratungsstelle für Lebensmüde

1990–1996 Familienberatung SKF- Aachen

1996–2005 Unsere drei Kinder werden geboren und Elternzeit zu Hause/Nebenberuflich: Erwachsenenbildung bei unterschiedlichen Trägern

2005 Leitung Servicestelle Hospizarbeit, das bedeutet Aufbau von Fortbildungen, Beratung am Hospiztelefon, Unterstützung eines Netzwerks, Organisation und Durchführung der Aachener Hospizgespräche

2006 erste bundesweit ausgerichtetes Aachener Hospizgespräch mit der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt

2008 Gründung eines gemeinnützigen Vereins: Palliatives Netzwerk für die Region Aachen e. V.

Ab 2008 Geschäftsführung des Palliativen Netzwerks; Implementierung von Palliative Care in Institutionen des Gesundheitswesens; Erweiterung des Netzwerks – Verbund aus Regelversorgung und spezialisierter Versorgung

2011 Gründung der Hospizstiftung für die Region Aachen; Vorstandsarbeit

2015 100. Aachener Hospizgespräch – Gemeinsame Moderation mit Prof. Roman Rolke

2015–2016 Universitätslehrgang Ethik in Organisationen – Kooperation von Universitäten Instituten in Wien, München und Zürich

Ab 2018 Durchführung der Weiterbildung Gesundheitliche Versorgungsplanung (§ 132 g SGBV)

Ab 2018 Coaching von regionalen Netzwerken bundesweit

Ab 2020 Leitung des Bildungswerks Aachen, eine vom Land NRW zertifizierte gemeinwohlorientierte Einrichtung für berufliche Bildung

Ab 2020 Durchführung der Weiterbildung Ethikberatung im Gesundheitswesen

2022 Aufbau Projekt Mobile Ethikberatung

2023 Aufbau Projekt Kinder- und Jugendtrauer

2024 Kongresspräsidium gemeinsam mit Roman Rolke beim 15. DGP-Kongress in Aachen

Darüber hinaus Mitarbeit u. a. in:

  • Deutschen Palliativstiftung,

  • Arbeitsgruppe innerhalb des Konsensprozesses der Charta zur Betreuung schwerkranker und sterbender Menschen

  • Wissenschaftlicher Beirat Hospizzeitschrift

  • Aktuell Arbeitsgruppe um die Koordinierungsstelle für Hospiz- und Palliativversorgung zum Thema Caring Community auf Bundesebene

  • Wissenschaftlicher Beirat beim internationalen Kongress in Bern 21.–25.10.2024 zum Thema Caring Community



Publication History

Article published online:
02 September 2024

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