Laryngorhinootologie 2024; 103(11): 769
DOI: 10.1055/a-2363-9926
Referiert und Diskutiert

Kommentar zu „Akute einseitige Vestibulopathie: Kompensationsstrategien bewertet“

Contributor(s):
Silke Helbig

**** Die prospektive Studie von van Laer und Co-Autoren untersucht detailliert die Kompensationsstrategien nach akuter einseitiger Vestibulopathie. Die Arbeit ist von klinischem Interesse, da das Krankheitsbild häufig ist und die betroffenen Patienten sehr unterschiedliche Erholungstendenzen zeigen. Die Arbeit gibt Hinweise auf die Ursachen, was wiederum die individuelle Beratung optimieren könnte.

Methodisch gehen die Autoren sehr sorgfältig vor und konnten mit klar definierten Einschlusskriterien eine größere Gruppe von 62 Patienten in die Studie einbeziehen. Zu hinterfragen wäre allenfalls, ob es sinnvoll gewesen wäre, Patienten mit vollständiger Deafferenzierung von vornherein auszuschließen, auch wenn dieses Vorgehen in der bisher vorliegenden Literatur nicht unüblich ist [1]. So stellt z.B. der Zustand nach Neurektomie eines vestibulären Schwannoms eine Differenzialdiagnose zur akuten einseitigen Vestibulopathie dar [2]. Bei Studieneinschluss und nach 10 Wochen, in denen die Patienten zu viel Bewegung und 2-mal täglich zu Schwindelübungen angehalten wurden, erfolgte die Kontrolle mittels einer ebenfalls klar definierten Testbatterie. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt somit auf frühen Kompensationsmechanismen der vorliegenden Pathologie, die durch Bewegung unterstützt werden.

Die verschiedenen Kompensationsmechanismen Restitution, Adaptation und Habituation werden verständlich erläutert. Für die Überprüfung von Restitution und Adaptation wurden entsprechende Tests zugeordnet, deren Auswahl durch die zitierte Literatur belegt wird. Die Autoren erheben keinen Anspruch auf eine rein objektive Bewertung der Kompensationsmechanismen oder auf die Anwendung aller verfügbaren Gleichgewichtstestungen, sondern haben eine klinisch praktikable Auswahl getroffen. Erklärtes Ziel war es, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, inwieweit sich eine unzureichende Kompensation in den untersuchten Teilbereichen auf die Beschwerden der Betroffenen auswirken kann. Eine Aussage über den Einfluss der Gewöhnung wird von den Autoren nicht getroffen, wobei der Beobachtungszeitraum für eine solche Beurteilung auch eher knapp bemessen erscheint.

Die Ergebnisse sind klar dargestellt und zeigen, dass weniger als die Hälfte der Patienten eine Erholung der Vestibulopathie zeigten. An dieser Stelle muss nochmals auf die Einbeziehung iatrogener und traumatischer Pathologien hingewiesen werden, die diesen Wert mit hoher Wahrscheinlichkeit nach unten korrigieren. Umso interessanter ist die Tatsache, dass 58,1–86,9% der Patienten nach 10 Wochen adäquate Kompensationsstrategien zeigten, die sich einzelnen Teilbereichen zuordnen ließen.

Prospektive Studien zur unilateralen Vestibulopathie sind selten und konzentrieren sich meist auf Diagnostik und Rehabilitation. Insbesondere zur Kompensation und den zugrunde liegenden Strategien, die letztlich zu einer Linderung der Symptome führen, liegen kaum Ergebnisse vor. Insofern stellt die Arbeit von van Laer et al. einen wertvollen Beitrag dar, und weitere Arbeiten zu diesem Thema wären wünschenswert.

Fazit

Zusammenfassend kann der in der Schwindelabklärung tätige Arzt aus der vorliegenden Arbeit wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der nach akuter einseitiger Vestibulopathie einsetzenden Kompensation und der Testverfahren gewinnen. Dabei kommt dem untersuchenden Schwindeldiagnostiker zugute, dass die notwendige apparative Ausstattung heute etabliert und somit mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits im Inventar vorhanden ist. Studien wie die hier vorgestellte eröffnen die Möglichkeit, Patienten mit einseitiger Vestibulopathie, die nur zögerlich kompensieren, individuelle Aufklärung und Hilfe durch eine speziell auf das Patientenproblem ausgerichtete Therapie anzubieten.



Publication History

Article published online:
04 November 2024

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