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DOI: 10.1055/a-2381-8629
Kommentar zu: Pedikelschrauben-Positionierung mittels Nahinfrarot-Raman-Spektroskopie

Die intraoperative Navigation zur optimalen und sicheren Platzierung von Pedikelschrauben ist in der modernen Wirbelsäulenchirurgie nicht mehr wegzudenken [1]. Surface matching Systeme, 3D-Bildverstärker und intraoperative CT-Bildgebung sind heutzutage weit verbreitet. Diese Verfahren sind jedoch mit einer nicht unerheblichen prä- oder intraoperativen Strahlenexposition für die Patienten sowie hohen Anschaffungskosten für die Kliniken verbunden [1]. Die intraoperative Kalibrierung der Instrumente und die sterile Abdeckung der verwendeten Systeme sind nicht nur zeitintensiv, sondern auch mit einer gewissen Lernkurve für die Anwender verbunden, was in der heutigen Zeit mit Fachkräftemangel und nicht selten wechselndem Leasingpersonal in den Krankenhäusern eine echte Herausforderung darstellt.
Kosik et al. stellen mit der Raman-Spektroskopie ein innovatives, nicht invasives Verfahren zur intraoperativen Navigation von Pedikelschrauben vor, welches gänzlich ohne Strahlenbelastung auskommt und eine Echtzeit-Differenzierung zwischen Knochen und umgebenden Strukturen (Knorpel, Fettgewebe, Ligamente, Muskel und Myelon) im OP-Situs geben kann. Auf diese Weise können Pedikelschrauben präzise platziert und gefährdete Gewebe, wie beispielsweise Myelon und Nervenwurzeln, sicher geschont werden. Durch die Anwendung der Raman-Spektroskopie in Kombination mit maschinellen Lernalgorithmen konnte die Gruppe aus Kanada vielversprechende Ergebnisse vorweisen. Trotz potenzieller Einschränkungen durch Störsignale und Fluoreszenzinterferenzen im Rahmen der in-situ-Messungen lag die Differenzierbarkeit zwischen den sechs genannten Gewebetypen bei über 96%. Knochen und Weichteilgewebe, hier insbesondere das Myelon, konnten mit dieser modernen Methode zu 100% unterschieden werden. So wurden intraspinale Fehlbohrungen beim Pedikulieren in vivo sicher erkannt.
In der Studie wurde ein mobiles Raman-Spektroskop mit einer handgehaltenen Sonde verwendet. Für die intraoperative Anwendung im klinischen Alltag müssten die gängigen Instrumente (Pfriem, Ahle, Schraubensetzinstrument) in der Zukunft mit einer integrierten oder integrierbaren Raman-Spektroskop-Sonde ausgestattet werden. Die aktuell teilweise noch langen Messzeiten im Rahmen der Echtzeit-Datenerfassung und -interpretation (teilweise mehrere Sekunden) sind für den intraoperativen Workflow sicherlich auch noch zu lang [2]. Durch die Verwendung noch Licht-sensitiverer Spektroskope, stärkerer Laser und die Identifikation der relevanten Peaks für die zu differenzierenden Gewebetypen ist eine Echtzeit-Analyse der unterschiedlichen Gewebe in wenigen Millisekunden technisch bereits heute möglich [3]. Ob es bei diesem Verfahren durch die Laserexposition zu einer relevanten Gewebeerwärmung mit möglicher Zellschädigung kommen kann, muss kritisch bewertet werden [4]. Die Robustheit von Machine Learning Modellen in realen Szenarien ist von der Qualität und Variabilität der Trainingsdaten abhängig. Während Kosik et al. in der Studie eine beträchtliche Menge an Daten für das Training und die Validierung verwenden, könnten die reale Variabilität in der menschlichen Anatomie sowie pathologische oder degenerative Veränderungen der Gewebe die Dateninterpretation erschweren. Kontinuierlich lernende Modelle, die sich an neue Daten und Szenarien anpassen können, könnten dieses Problem lösen [2]. Weitere Studien werden die Ergebnisse der Raman-Spektroskop-geführten Navigation mit den bisher etablierten Verfahren zur Präzision der Pedikelschraubeninsertion vergleichen müssen. Gleichzeitig stellt dieses Verfahren aufgrund seiner hohen Spezifität eine potenzielle Alternative zu den bisher etablierten Navigationsverfahren dar. Der Anwendungsbereich der Raman-Spektroskopie reicht zudem weit über die Navigation hinaus. Durch die spektroskopische Gewebedetektion können beispielsweise die Knochenqualität bei Osteoporose und Tumorgewebe bei malignen Erkrankungen intraoperativ hochpräzise und in Echtzeit differenziert werden [5]. Kosik et al. liefern mit dieser „proof-of-principle Studie“ einen wertvollen Beitrag über die Anwendbarkeit der Raman-Spektroskopie für die intraoperative Bildgebung. Zukünftige Forschung sollte sich auf die Optimierung der Auswertung, die Durchführung umfassender klinischer Studien und die Erforschung der Integration der Raman-Spektroskopie im operativen Umfeld konzentrieren [2].
Publication History
Article published online:
21 October 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Karkenny AJ, Mendelis JR, Geller DS. et al. The role of intraoperative navigation in orthopaedic surgery. JAAOS-Journal of the American Academy of Orthopaedic Surgeons 2019; 27: e849-e858
- 2 Wurm LM, Fischer B, Neuschmelting V. et al. Rapid, label-free classification of glioblastoma differentiation status combining confocal Raman spectroscopy and machine learning. Analyst 2023; 148: 6109-6119
- 3 Fosca M, Basoli V, Della Bella E. et al. Raman spectroscopy in skeletal tissue disorders and tissue engineering: present and prospective. Tissue Engineering Part B: Reviews 2022; 28: 949-965
- 4 Puppels G, De Mul F, Otto C. et al. Studying single living cells and chromosomes by confocal Raman microspectroscopy. Nature 1990; 347: 301-303
- 5 Morris MD, Mandair GS. Raman assessment of bone quality. Clinical Orthopaedics and Related Research 2011; 469: 2160-2169