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DOI: 10.1055/a-2412-3070
In Memoriam Prof. Dr. med. Jürgen Meier-Sydow
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Prof. Dr. Jürgen Meier-Sydow ist am 4. Juli 2024 nach einem erfüllten Leben im hohen Alter kurz nach seinem 96. Geburtstag friedlich entschlafen.
Meier-Sydow wurde am 18. Juni 1928 in Lüneburg als Sohn eines Landarztes geboren. Kurz nach dem Krieg begann er 1949 sein Medizinstudium in Marburg; nach einem Semester in Genf setzte er 1952 sein Studium in München bis zum Staatsexamen fort. Die Ausbildung in Innerer Medizin begann er 1955 in Hamburg im Krankenhaus St. Georg. Dabei hatte er Gelegenheit, sowohl Herzkatheter als auch Lungenfunktion zu erlernen.
Bevor ihn dann sein Weg 1961 nach Frankfurt an die Klinik der Goethe-Universität (früher Johann Wolfgang von Goethe-Universität) führte, hospitierte er bei dem weltberühmten „Atmungs“-Physiologen A. A. Bühlmann in Zürich. In Frankfurt ließ er sich schon früh von dem damaligen Leiter der Inneren Medizin, Prof. Dr. Frey, für die Physiologie und Pathophysiologie der Lunge begeistern. Prof. Frey übertrug ihm den Aufbau einer pneumologischen Sektion. Unter dem Dach im alten Klinikgebäude konnte er 1961 das Lungenfunktionslabor einrichten. Damit war auch der Weg zu seiner Habilitation auf dem Gebiet der Atemmechanik vorgezeichnet. Es war ihm aufgefallen, dass die meisten Menschen bei der forcierten Ausatmung, bei Kranken teils auch bereits bei Ruheatmung, einen logarithmischen Kurvenverlauf hatten. Dies machte er dann auch zu seinem Habilitationsthema mit dem Titel „Die exspiratorische Atemgeschwindigkeit bei Bronchialobstruktion – Untersuchungen an Gesunden und Lungenkranken“. Die Ursache für dieses Phänomen war damals noch nicht bekannt; in Gedanken hatte er jedoch bereits eine Ahnung, dass es mit einer mechanischen Behinderung der Ausatmung zu tun haben müsse. Dieses Thema war auch bei dem wohl berühmtesten Institut für Atemmechanik, den Meakins-Christie-Laboratories der McGill University in Montreal, ein vorrangiges Forschungsthema. Hier wurde in den 60er-Jahren das Konzept der exspiratorischen Flusslimitierung entwickelt und schaffte damit Klarheit. MS war also mit seinem Thema an vorderster wissenschaftlicher Front.
Dies alles war noch zu einer Zeit, in der die „Lungenheilkunde“ sich vornehmlich mit der Tuberkulose befasste. Im Klinikum der Universität Frankfurt gab es noch ein „Infektionshaus“, das zur Behandlung der Tuberkulose diente und Herrn Meier-Sydow zugeordnet wurde. Herrn Meier-Sydow war jedoch bereits damals ganz klar, dass Pneumologie ein Teilgebiet der Inneren Medizin ist. Als dann 1970 das Zentrum für Innere Medizin gegründet wurde, hatte er bis zu seiner Emeritierung 1993 wesentlichen Anteil an der Begründung der universitären Pneumologie in Deutschland. 1981 bekleidete er den Posten des Prodekans des Fachbereichs Humanmedizin (bis 1985) und des stellvertretenden Geschäftsführenden Direktors des Zentrums der Inneren Medizin (bis 1987). 1982 gründete er den Frankfurter Arbeitskreis für Pneumologie und Allergologie (FAPA) und blieb bis 1997 dessen Vorsitzender. 1986 war er Vorsitzender der Frankfurter Medizinischen Gesellschaft.
Die in der Bevölkerung weit verbreiteten Atemwegskrankheiten wurden zunehmend Schwerpunkt seiner Tätigkeit, wobei er sich auch intensiv mit der Allergologie befasste. Die selteneren und bis dato wenig beachteten interstitiellen Lungenkrankheiten wurden dann Gegenstand seiner Publikationen. Enge Kontakte hatte er mit Margret Turner-Warwick vom Royal Brompton Hospital of University of London und Ronald G. Crystal, National Institut of Health der USA, später Cornell-Universität New York, den damals führenden internationalen wissenschaftlichen Fachleuten auf diesem Gebiet. Weitere international berühmte Wissenschaftler wie Arend Bouhuys, Kimishige Ishizaka, Jay Nadel, Paul Sadoul oder auch John Widdicombe zählten zu seinen engeren Bekannten. Über die Aerosolforschung hatte er nahe Kontakte mit dem Institut für biophysikalische Strahlenforschung der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung in Frankfurt, im Besonderen mit den Herren Stahlhofen und Heyder.
Auf der Versammlung der von Paul Sadoul 1960 gegründeten „Unité de Recherche de Physio‐Pathologie Respiratoire“ in Nancy hatte er Vorträge auf Französisch gehalten! Durch diese Kontakte war er an der Gründung der SEPCR (Societas Europaea Physiologiae Clinicae Respiratoriae) in Prag beteiligt, die dann später in die heutige „European Respiratory Society“ übergegangen war. 1976 hatte er als Präsident das 9. Kolloquium der Bad Reichenhaller Forschungsanstalt für die Erkrankungen der Atmungsorgane geleitet, 1978 war er Präsident der Süddeutschen Gesellschaft für Pneumologie und Tuberkulose, die ihn zum Ehrenmitglied ernannte. 1972–1975 war er für Deutschland „Governor“ des „American College of Chest Physicians“. Gründungsmitglied war er bei der Bochumer Gesellschaft für Lungen- und Atmungsforschung und organisierte dort 1988 die Jahrestagung.
1972–1975 war er Schriftleiter der Deutschen Gesellschaft für Allergie-Immunitätsforschung und von 1987–1992 Mitherausgeber der Zeitschrift „Pneumologie“. 1990 wurde er zum Präsidenten der DGP gewählt. In seine Amtszeit fiel die Wiedervereinigung Deutschlands und er nutzte mit großer Freude die Gelegenheit, die ihm bekannten Kollegen aus den osteuropäischen Ländern zu dem von ihm 1992 geleiteten Kongress der DGP einzuladen: Dabei waren u. a. die Präsidenten der russischen, tschechoslowakischen und ungarischen Gesellschaften. Unvergessen war sein Festredner Marcel Reich-Ranicki, der für seinen Vortrag über Thomas Mann „standing ovations“ erhielt. Die Gesellschaft ehrte Meier-Sydow für seine Verdienste mit der Ehrenmitgliedschaft. Die „Respirartory Medicine“ hatte ihn in ihr International Advisory Board aufgenommen.
Ein besonderes Anliegen war Meier-Sydow die Notfallversorgung in der Klinik. Wir erinnern uns noch an seine Bemühungen, alle Assistenten der Klinik im EG des damals noch alten Klinikgebäudes durch regelmäßige Demonstrationen mit dem Respirator „Bird“ vertraut zu machen; die Assistenten wurden zu diesem Zweck jeweils per Notruf „zusammengetrommelt“. Prof. Meier-Sydow war ein Vorbild in der Benutzung von Checklisten; diese sollten sicherstellen, dass man bei komplexen Krankheitsbildern nichts Wichtiges übersehen konnte. Er hat sich die Mühe gemacht, für alle Assistenten schriftliche Kurzdarstellungen der wichtigsten pneumologische Krankheitsbilder zu verfassen. Damit hat er für seine Abteilung die später allgemein in der Medizin üblich gewordenen Leitlinien vorweggenommen.
Herr Prof. Dr. Jürgen Meier-Sydow führte seine Abteilung mit ästhetischer Gelassenheit und Zurückhaltung. Er drängte sich nie in den Vordergrund, er war kein lauter Aktivist, sondern agierte eher bescheiden im Hintergrund. Typisch ist für ihn, dass er in einer Übersicht über seine berufliche Tätigkeit zu seinem 80. Geburtstag nicht seine Verdienste hervorhob, sondern für sich das Fazit zog: „Glück gehabt“. Mit seinen Mitarbeitern hatte er ein etwas hanseatisch distanziertes aber immer ein mitfühlendes, zugewandtes Verhältnis. Er interessierte sich in sehr positivem Sinne für die privaten Lebensumstände seiner Mitarbeiter. 10 Assistenten führte er zur Habilitation.
Jürgen Meier-Sydow war für uns ein durchgeistigter, sehr gebildeter, wissenschaftlich engagierter liebenswerter Chef. Gemeinsam mit seinen zahlreichen Wegbegleitern werden wir ihn in hochverehrter Erinnerung behalten.
Prof. Dr. Rainer Dierkesmann
Publication History
Article published online:
18 October 2024
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