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DOI: 10.1055/a-2418-6683
Langzeitergebnisse Frühgeborener im internationalen Vergleich: sind sie wirklich aussagekräftig?
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Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Langzeitergebnisse von sehr unreifen Frühgeborenen sind für den Neonatologen von großer Bedeutung: sie erlauben es, das Handeln des eigenen Teams kritisch zu hinterfragen, die eigenen Ergebnisse mit den publizierten Daten Anderer - die meist auch noch „prominent“ erscheinen – zu vergleichen, und Eltern vor der Geburt möglichst objektiv zu beraten. Dazu reichen uns die Daten unserer eigenen Perinatalerhebung mit ihrer kurzen Nachbeobachtungsdauer meist nicht aus. Doch gute Studien zu diesem Thema sind Mangelware. Der Grund: sie sind schwer durchzuführen, da, gerade in Deutschland, die Bereitschaft von Eltern, ihre ehemaligen Frühgeborenen aufwändig nachuntersuchen zu lassen, eher gering ist. Das zeigt bereits die hohe „Ausfallquote“ bei der Nachuntersuchung mit korrigiert 24 Monaten im Rahmen der obligatorischen Perinatalerhebung der Bundesländer in Deutschland. Diese ist zwar für die Kliniken verpflichtend, nicht jedoch für die Eltern! Noch schwieriger wird es dann, wenn Nachuntersuchungen bis ins Schul- oder sogar Erwachsenenalter vorgesehen sind: zu groß ist vermutlich doch die Angst der Eltern, mit einem ungünstigen Testergebnis konfrontiert zu werden.
Langzeitdaten aus internationalen Studien könnten uns da weiterhelfen, aber taugen sie wirklich zum Vergleich?
Zwei Beiträge in dieser Ausgabe von Neonatologie Scan sind in diesem Zusammenhang Ihrer besonderen Aufmerksamkeit empfohlen.
Die Studie von Marks et al. aus Australien (Beitrag 43) untersuchte die neurokognitiven, sensomotorischen und „Schulfähigkeiten“ von 501 ehemaligen Frühgeborener im Alter von 8 Jahren. Die Autoren fanden zwar signifikante Unterschiede beim Vergleich von Frühgeborenen der Schwangerschaftswoche (SSW) 22 und 23 mit ehemals reif Geborenen, die Unterschiede zu den SSW 24/25 und 26/27 erreichten aber nicht einmal das gewählte Signifikanzniveau. Erstaunlich im Übrigen: selbst in der SSW 22/23 waren 2 von 3 ehemaligen Frühgeborenen ohne schwere bleibende Behinderungen - immerhin sind diese Patienten vor 20 bis 35 Jahren geboren!
Wichtig sind diese Daten zunächst deshalb, weil sie erkennen lassen, dass individuelle Ergebnisse von Patienten über einen relativ breiten Bereich zwischen SSW 22 und SSW 28 nicht vorhersehbar sind, und dass der individuelle Krankheitsverlauf in der akuten NICU-Phase, aber auch andere Faktoren, wie das Geschlecht – siehe britische EPICURE-Studie –, einen größeren Effekt haben, als eine definierte einzelne Schwangerschaftswoche; ganz zu schweigen von dem Einfluss der mütterlichen Cortisonspritze, aber auch des elterlichen Bildungs- und Sozialstatus. Das macht die Beratung werdender Eltern vor der Geburt nicht einfacher!
Aber inwieweit sind internationale Daten überhaupt auf unsere Verhältnisse übertragbar?
Die Publikation von Loth et al. (Beitrag 45) beschäftigt sich mit dem frühen Outcome von 238 Frühgeborenen der SSW 24–31 und den bleibenden Behinderungen der Überlebenden mit 5 Jahren. Rekrutiert wurden Patienten mit intraparenchymaler Hirnblutung aus 11 europäischen Ländern.
Die intraparenchymale Hirnblutung entspricht dem Stadium IV nach Papile, bzw. nach der deutschen Nomenklatur der DEGUM einem „Grad III plus“, also dem schlimmsten Schweregrad der Hirnblutung des Frühgeborenen.
Während die durchschnittliche Mortalität über alle Länder hinweg bei 59% lag, hatten Frankreich, Dänemark und die Niederlande die höchste Mortalität. Allerdings resultierte diese im Wesentlichen aus Behandlungsabbrüchen – nämlich in 69% der Fälle –, deren Anwendung jedoch zwischen den Ländern ebenfalls sehr stark variierte. Diese in einzelnen Ländern hohe Bereitschaft zum Wechsel auf eine palliative Behandlung beim Eintreten einer parenchymatösen Hirnblutung kontrastiert stark zu den Ergebnissen der Überlebenden mit 5 Jahren: 2 von 3 Frühgeborenen hatten nach Angaben der Eltern nur leichte oder gar keine neurosensorischen Einschränkungen, nur ein Viertel der Kinder bot Verhaltensauffälligkeiten. Daneben wird ein Problem evident: wo in großem Maßstab auf nicht-kurative Behandlung gewechselt wird, müssen späte Outcomedaten eigentlich zwangsläufig besser ausfallen.
Die Studienautoren selbst regen an, angesichts dieser Ergebnisse die in einigen europäischen Ländern noch immer weit verbreitete Beendigung der Intensivtherapie bei Diagnosen, deren Auswirkungen offenbar beim Eintreten der Schädigung noch nicht sicher abzuschätzen sind, zu überdenken.
Diese Studie belegt jedoch auch einmal mehr, dass internationale Vergleiche von Langzeitergebnissen zwar wichtig sind, jedoch nur vor dem Hintergrund ethischer und juristischer Unterschiede in der Handhabung von Therapiebegrenzung in den einzelnen Ländern wirklich aussagekräftig sind. Dies setzt zumindest voraus, dass immer auch sowohl die frühe als auch die späte Mortalität bei Outcomedaten dieser Art ausgewiesen sein müssen.
Publication History
Article published online:
25 February 2025
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