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DOI: 10.1055/a-2446-4921
Bedeutung ambulanter und stationärer onkologischer Daten im Kontext von umfassender Versorgung und Forschung
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Onkologische Erkrankungen sind in Deutschland meldepflichtig (BGBl. 2013 I Nr. 16). Die zunächst epidemiologisch angelegte Krebsregistrierung wurde 2013 um die Erfassung klinischer Daten erweitert. Diese erfolgt bundesweit einheitlich nach dem onkologischen Basisdatensatz (www.basisdatensatz.de/datensatz.php). Krebsregisterdaten bilden seither eine flächendeckende Basis für klinische Auswertungen und die Qualitätssicherung in der onkologischen Versorgung. Um eine möglichst vollständige Datenbasis zu gewährleisten, meldet jede onkologisch tätige Einrichtung ihre selbst erbrachten Leistungen zu Diagnosen, Therapien und Nachsorgen an das für das jeweilige Bundesland zuständige Krebsregister [1]. Aufgaben der klinischen Krebsregistrierung liegen im Wesentlichen in der Bereitstellung von Daten zu wissenschaftlichen Fragestellungen, in der Qualitätssicherung onkologischer Behandlungen und einem Beitrag zur Verbesserung der onkologischen Versorgung. Ein großer Vorteil dieser flächendeckend und sektorenübergreifend erhobenen Daten ist, dass beispielsweise Fragen zu Nutzen und Risiken bestimmter Krebstherapien schnell und kostengünstig beantwortet werden können [2]. Damit Krebsregister diese Aufgabe erfüllen können, ist das Vorliegen von vollzähligen, vollständigen, korrekten und aktuellen Daten notwendig [1]. Diese Anforderungen führen zu erhöhtem Arbeitsaufwand bei den Meldenden, um diese zu unterstützen und zu entlasten hat das Krebsregister Rheinland-Pfalz im Institut für digitale Gesundheitsdaten eine Vielzahl an Maßnahmen ergriffen. So wurden mit Beginn der klinischen Krebsregistrierung verschiedene Schulungen angeboten und im Jahr 2019 ein umfassendes Meldermonitoring sowie im Jahr 2020 der Außendienst eingeführt. Diese Maßnahmen verzeichnen bereits beachtliche Erfolge [3]. Wichtig ist, dass hierbei neben den stationären auch die ambulanten Einrichtungen mit einbezogen werden, da dort ein erheblicher Teil der onkologischen Versorgung erfolgt. Laut Onkologie Report der AOK werden ca. 20% der Krebspatientinnen und -patienten rein stationär behandelt, ca. 40% sowohl ambulant als auch stationär und weitere ca. 40% rein ambulant [4]. Zudem wird in den nächsten Jahren der onkologischen Versorgungsbedarfs steigen. Dies wird neben einer verstärkten Einbindung von medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und kommunalen Krankenhäusern, auch zu einer Zunahme der Versorgung im ambulanten Sektor führen [5]. Hierzu trägt unter anderem die derzeit geplante Umstrukturierung im Krankenhaussektor bei. Diese wird Auswirkungen auf das gesamte Gesundheitssystem in Deutschland haben. So wird beispielsweise die Auflösung der Sektorentrennung von ambulanter und stationärer Versorgung empfohlen, um Behandlungen, die derzeit in Krankenhäusern erfolgen, zukünftig in den ambulanten Bereich verlagern zu können [6]. Diese Entwicklung ist eine große Chance für den ambulanten Sektor, führt dort aber auch zu einer höheren Auslastung. Anhand von Krebsregisterdaten kann dieser Trend aufgezeigt und damit die politische Gesundheitsplanung unterstützt werden. Um den außerordentlichen Beitrag der ambulanten Einrichtungen an der vollständigen Erfassung der flächendeckenden Krebsregisterdaten zu demonstrieren, wurde in den hier vorliegenden Auswertungen für Rheinland-Pfalz der Anteil an Meldungen aus dem ambulanten und dem stationären Bereich nach Meldeanlässen für sämtliche meldepflichtigen Entitäten miteinander verglichen. Zudem wurden diese Anteile am Beispiel des Prostatakarzinoms nochmal detaillierter analysiert.
Die Datenbank des Krebsregisters Rheinland-Pfalz ist Grundlage der vorliegenden Auswertung. Rheinland-Pfalz hat etwa 4 Millionen Einwohner, für die die ursprüngliche Krebsregistrierung auf der Basis epidemiologischer Daten 1998 initiiert wurde. Im Jahr 2016 wurde die rein epidemiologische Krebsregistrierung in die klinisch-epidemiologische Registrierung überführt. Schwerpunkt ist seitdem die Erfassung umfassender Daten zu Diagnose, histo-pathologischen Tumormerkmale sowie die Behandlung und Nachsorge von Krebspatientinnen und -patienten, die in Rheinland-Pfalz wohnhaft sind und/oder behandelt werden [7]. Die hier durchgeführte Untersuchung umfasst sämtliche qualitätsgeprüften Meldungen der Meldeanlässe Diagnose, Operation, Strahlentherapie, Systemtherapie und Verlauf, welche im Zeitraum 01.01.2016 bis 31.12.2023 an das Krebsregister Rheinland-Pfalz übermittelt wurden. Diese Meldungen wurden je nach meldender Einrichtung in ambulante, dazu zählten auch MVZ, und stationäre Einrichtungen aufgeteilt. Eine entsprechende Auswertung wurde zudem für die Entität Prostatakarzinom (ICD-10-GM C61) durchgeführt. Hierbei erfolgten zudem weitere Detailauswertungen zu Meldungen von Urologinnen und Urologen und anderen Fachrichtungen. Die Auswertungen beruhen auf dem Stand der Krebsregisterdatenbank vom 01.06.2024. Sämtliche Analysen erfolgten mit R (RStudio, Boston, MA, USA, https://www.rstudio.com).
Insgesamt wurden 987 875 Meldungen aus den Jahren 2016–2023 in die Analyse eingeschlossen. Es zeigte sich, dass diese Meldungen jeweils etwa zur Hälfte von ambulanten und stationären Einrichtungen übermittelt wurden ([Tab. 1]). Beim Vergleich der einzelnen Meldeanlässe wurde deutlich, dass Diagnosen mit 67% und Operationen mit 87% überwiegend aus dem stationären Bereich gemeldet wurden. Alle anderen Meldeanlässe, 65% der Strahlentherapien, 65% der Systemtherapien und 69% der Verläufe, wurden dagegen häufiger aus dem ambulanten Bereich gemeldet. Im Gesamtvergleich des Meldeaufkommens aus dem ambulanten und stationären Sektor zeigt sich, dass mit 53% etwas mehr Meldungen von ambulanten Einrichtungen an das Krebsregister gemeldet wurden ([Tab. 1]). Auswertungen zu Meldungen zum Prostatakarzinom zeigten ebenfalls, dass Diagnosen und Operationen öfter von stationären Einrichtungen gemeldet wurden und alle anderen Meldeanlässe häufiger von ambulanten Einrichtungen ([Abb. 1]). Die erweiterte Analyse machte deutlich, dass alle Meldeanlässe, bis auf die Strahlentherapie, am häufigsten von Urologinnen und Urologen gemeldet wurden ([Abb. 1]).
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Meldeanlass |
Meldungen von ambulanten Einrichtungen N (%) |
Meldungen von stationären Einrichtungen N (%) |
---|---|---|
Diagnose |
76 534 (33%) |
152 198 (67%) |
OP |
16 577 (13%) |
113 163 (87%) |
Strahlentherapie |
42 668 (65%) |
23 479 (35%) |
Systemtherapie |
84 682 (65%) |
44 672 (35%) |
Verlauf |
299 872 (69%) |
134 030 (31%) |
Diagnose |
76 534 (33%) |
152 198 (67%) |
Summe |
520 333 (53%) |
467 542 (47%) |
Krebsregister liefern mit ihrer einzigartigen flächendeckenden Datensammlung zuverlässige und unverzerrte Informationen zur Qualität der onkologischen Versorgung. Diese Informationen und die darauf basierenden Auswertungen sind nicht nur für Kostenträger und Politik interessant, sondern auch für Patientinnen und -patienten sowie Mitarbeitende in der onkologischen Versorgung und Forschung [8]. Neben Transparenz und Qualität können Krebsregister auch wesentlich zur Nutzungsbewertung von onkologischen Wirkstoffen oder Therapieansätzen beitragen sowie zur Beantwortung von wissenschaftlichen Fragestellungen. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag im dynamisch lernenden Gesundheitsforschungssystem [2]. Die Vollständigkeit und Vollzähligkeit der Krebsregisterdaten ist Voraussetzung für diese Aufgaben. So könnten beispielsweise fehlende oder verkürzte Informationen zu Nachbeobachtungen einen Einfluss auf die Schätzungen der Überlebenszeiten haben [1]. Diese höchst relevanten Meldungen zu Nachsorgeuntersuchungen liegen, neben anderen, vornehmlich in der Verantwortung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Dies zeigen die hier präsentierten Zahlen aus Rheinland-Pfalz nachdrücklich. Der überwiegende Teil der Nachsorgemeldungen erfolgt, neben System- und Strahlentherapien, im ambulanten Sektor ([Tab. 1]). Auch wenn der Anteil an Meldungen zu Diagnosen und Operationen im Vergleich zum stationären Sektor geringer ausfällt, würden dem Krebsregister in diesen beiden Bereichen über 40% der Meldungen fehlen, wenn der ambulante Sektor vernachlässigt würden. Es wird deutlich, dass ambulante Einrichtungen unverzichtbare Partner der Krebsregister sind. Bei Betrachtung der häufigsten Krebserkrankung der Männer in Deutschland, das Prostatakarzinom, wird die Relevanz der ambulanten Meldungen noch deutlicher. Aus dem ambulanten Sektor werden mehr als 40% der Diagnosen und mehr als 85% der Nachsorgen gemeldet ([Abb. 1]). Dieser hohe Anteil an Meldungen unterstreicht die bedeutende Rolle der ambulanten Urologie in der flächendeckenden Patientenversorgung.
Es ist zu beachten, dass das, was im Kontext der Krebsregistrierung als Meldung bezeichnet wird, in der Realität nutzbare Real-World-Versorgungsdaten sind, die neben der Forschung und Qualitätssicherung einen direkten Nutzen für Kliniken, pathologischen Einrichtungen und Arztpraxen haben. So können beispielsweise für Prostatakarzinompatienten sämtliche gemeldeten PSA-Werte von allen mitbehandelnden Ärztinnen und Ärzte im Krebsregister abgerufen werden. Zudem kann von allen Mitbehandelnden über das Melderportal des Krebsregister Rheinland-Pfalz die onkologische Patientenakte (oPA; www.krebsregister-rlp.de/fuer-melder/onkologische-patientenakte-opa) eingesehen werden. Die oPA ist eine chronologische, strukturierte Zusammenfassung der im Krebsregister vorliegenden Informationen zur Diagnose, Therapie und dem Verlauf jeder Krebserkrankung. Die oPA ist damit auch eine nützliche Informationsquelle für Tumorkonferenzen oder klinische Studien.
Insgesamt kann eine Verbesserung der onkologischen Versorgung nur durch Transparenz gewährleistet werden. Eine flächendeckende Transparenz, die sämtliche Sektoren der onkologischen Versorgung einbezieht, wird allein über die klinischen Krebsregister abgebildet [9]. Aus diesem Grund ist es unabdingbar, dass jede onkologisch tätige Einrichtung zeitnah an das jeweils im Bundesland befindliche Krebsregister meldet. Dabei können die unterstützenden Angebote der Krebsregister jederzeit in Anspruch genommen werden. Zusammenfassend zeigen unsere Auswertungen, dass Meldungen aus dem ambulanten und dem stationären Sektor gleichwertig zur Vollständigkeit der Datenerfassung in den Krebsregistern beitragen. Beide Bereiche sind somit unverzichtbar für qualitätsgesicherte Daten und den darauf basierenden onkologisch relevanten Auswertungen.
Publication History
Article published online:
15 January 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
-
Literatur
- 1 Kropf S, Burger E, Radinski I. et al. Vollständigkeit und Qualität der Basisdaten und der Nachbeobachtung im Krebsregister. Eine Untersuchung am Beispiel des kolorektalen Karzinoms. Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: e106-e113
- 2 Richter-Kuhlmann E. Medizinische Register: Der ungehobene Datenschatz. Dtsch Arztebl 2022; 119 A-1622 / B 1354
- 3 Plachky P, Lange HC, Bergner D. et al. Benefits of the Introduction of a Monitoring Program and Field Crew Service in Cancer Registration in Rhineland-Palatinate. In: 36. Deutscher Krebskongress. Fortschritt gemeinsam gestalten, 21.–24. Februar 2024, Berlin: ABSTRACTS. Oncols Res Treat 2024; 47: 157
- 4 AOK Rheinland/Hamburg. Onkologie-Report 2021. Analysen zur Versorung krebskranker Patientinnen und Patienten im Rheinland und in Hamburg. https://www.aok.de/pk/magazin/cms/fileadmin/pk/rheinland-hamburg/pdf/onkologie-report-2021.pdf; Stand: 20.05.2024
- 5 nec/aerzteblatt.de. Massive Zunahme des onkologischen Versorgungsbedarfs (Mai 2019). https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/103308/Massive-Zunahme-des-onkologischen-Versorgungsbedarfs; Stand: 17.05.2024
- 6 Deutscher Bundestag. Vergleich von ambulanter und stationärer Versorgung in ausgewählten Ländern. https://www.bundestag.de/resource/blob/946330/32530aaa7b57fe59f76ea5d43c95aa37/WD-9-017-23-pdf-data.pdf; Stand: 17.05.2024
- 7 Schirrmacher R, Rieger B, Justenhoven C. Behandlung in zertifizierten Lungenzentren (DKG) – Entscheidungsfaktoren von Patienten mit Lungenkrebs. Pneumologie 2022; 76: 547-551
- 8 Bundesministerium für Gesundheit. Nationaler Krebsplan. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/nationaler-krebsplan; Stand: 15.05.2024
- 9 Kempe S. Onkologische Versorgungsstrukturen: Optimierung beginnt mit Transparenz. best practice onkologie 2022; 17: 494-501