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DOI: 10.1055/a-2447-5190
Jeder Mensch hat das Recht, in Würde zu sterben – auch in der Notaufnahme!

Notaufnahmen werden gemeinhin als Orte der Lebensrettung betrachtet. Diese Wahrnehmung gilt natürlich für alle Patient*innen, die dort behandelt werden, und deren Angehörige, gleichwohl aber auch für jene, die in der Notaufnahme tätig sind. Letztere eint zumeist der Wille zum Leben retten und die Leidenschaft für invasive Maßnahmen.
Allerdings kommt es immer wieder vor, dass Patient*innen in der Notaufnahme versterben; manchmal, weil unsere umfangreichen Maßnahmen im Schockraum erfolglos bleiben, aber in anderen Fällen auch, weil die Patient*innen in einem Stadium ihrer Erkrankung vorstellig werden, in dem der Sterbeprozess bereits begonnen hat und nur noch eine rein supportive Therapie indiziert ist, oder aber weil die Patient*innen lebensverlängernde Maßnahmen explizit ablehnen.
Wissenschaftliche Daten und Studien zum Versterben in der Notaufnahme oder gar Zahlen zur Häufigkeit von Todesfällen in deutschen Notaufnahmen sind bisher nur spärlich vorhanden: In einer Befragung unter Ärzt*innen in Notaufnahmen gaben mehr als die Hälfte der Befragten an, dass in ihrer Notaufnahme mindestens einmal im Monat ein*e Patient*in stirbt, bei 7% war dies sogar mehr als einmal pro Woche der Fall [1]. In einer weiteren Befragung gaben Notaufnahmeleitende an, dass etwa 0,1% der stationär aufgenommenen Patient*innen noch in der Notaufnahme verstarben [2].
Für uns alle ist die Vorstellung auf einer Trage im Gang der Notaufnahme zu versterben schrecklich. Nicht nur wird den Sterbenden so in den letzten Lebensminuten die Würde genommen, auch das Personal, das diese Situation miterleben muss und nicht verhindern konnte, wird hierunter leiden. Folgen dieser Missachtung der eigenen Ansprüche können Burn-Out und Moral Injury sein; auch besteht langfristig das Risiko des Rückzugs aus der Arbeitswelt. Deshalb dient die Berücksichtigung der Bedürfnisse sterbender Patient*innen und ihrer Angehörigen nicht nur deren Wohl sondern sie erhält auch die moralische Integrität des in der Notaufnahme tätigen Behandlungsteams, und damit all jener, die die Patient*innen auf ihrem letzten Lebensweg betreuen.
Leider verfügen Notaufnahmen bisher nur selten über geeignete räumliche Ressourcen. Dezidierte „Palliativzimmer“ für die Finalphase sind bisher die Ausnahme und nur 3% der Befragten gaben eine entsprechende Räumlichkeit im eigenen Haus an [1]. Die Zimmer der Notaufnahmestation könnten jedoch mit wenigen Mitteln optisch angemessener gestaltet werden, ohne die Multifunktionalität der Räume einzuschränken. So können bewegliche Wände oder Paravents technische Geräte wie Monitore und sonstige Apparate verdecken, und wo das Deckenlicht nicht dimmbar ist, kann eine Stehlampe mit gedämpftem indirektem Licht vorgehalten werden ([Abb. 1]). Nach dem Tod kann ein Verabschiedungsraum den Angehörigen die Möglichkeit bieten sich in Ruhe vom Verstorbenen zu verabschieden. Ob Familienangehörige dies wahrnehmen, bleibt deren Entscheidung, sollte aber unsererseits aktiv als Möglichkeit angeboten werden. Doch auch Abschiedsräume stehen bisher nur in Ausnahmefällen in Notaufnahmen zur Verfügung [1] und eine Verlagerung in Prosekturen oder Leichenhallen ist für die meisten Angehörigen befremdlich. Umso erfreulicher ist es, dass die aktuelle Empfehlung zur Struktur und Ausstattung von Notaufnahmen der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) und der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) einen Verabschiedungsraum für Notaufnahmen der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung vorsieht [3].


Die würdevolle Begleitung von Sterbenden erfordert neben Räumlichkeiten auch Personal: die Betreuung sollte durch eine Bezugspflegekraft erfolgen, um sowohl bei den Patient*innen als auch den Angehörigen eine Kontinuität zu schaffen und Vertrauen herzustellen. Aber auch die wichtige Kommunikation mit den Angehörigen, die Nachsorge und das Debriefing im Team sind personalintensiv. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben sollte zukünftig in den Stellenschlüsseln der Notaufnahmen berücksichtigt werden.
Da der Tod unserer Patient*innen zwar regelmäßig vorkommt, trotz allem aber glücklicherweise ein seltenes Ereignis ist, fehlt zumeist die persönliche und institutionelle Routine. Standard Operating Procedures (SOPs) – wie in der letzten Ausgabe der Notaufnahme up2date vorgestellt [4] – können helfen, indem sie lokal angepasste Empfehlungen zur Symptomkontrolle enthalten und einen Überblick über durchzuführende und zu unterlassende Maßnahmen geben. Sicherheit und angepasstes kommunikatives und medizinisches Verhalten kann durch SOPs einerseits vermittelt und andererseits eingefordert werden.
Die Verantwortung für unsere Patient*innen endet nicht mit deren Tod, denn durch den Umgang mit den Hinterbliebenen und deren empathische Begleitung haben wir nachhaltigen Einfluss darauf, wie deren Trauerphase abläuft. Das Überbringen von schlechten Nachrichten ist ein Skill im notfallmedizinischen Repertoire, das ebenso trainiert werden kann und muss, wie alle anderen Fertigkeiten auch. Die Mitteilung sollte im Idealfall durch ein Zweierteam aus Ärztin/Arzt und (Notfall-)Pflegekraft erfolgen, die auch bei der Versorgung involviert waren [5]. Diese Pflicht sollte keinesfalls an das unerfahrenste ärztliche Teammitglied delegiert werden!
Die Versorgung von Patient*innen am Lebensende wird vor dem Hintergrund einer zunehmenden Überalterung der Gesellschaft sowie einem Rückgang verfügbarer ambulanter Ressourcen auch zukünftig ein wichtiger (und finaler) Aspekt unserer Arbeit in der Notaufnahme sein. Es ist also unsere Verpflichtung, unser Anspruch und es liegt in unserer Verantwortung, dass alle in der Notaufnahme tätigen Berufsgruppen über palliativmedizinische Kenntnisse zur Symptomkontrolle und zur Gesprächsführung bei Patient*innen am Lebensende verfügen. Daher sollte palliativmedizinische Versorgung als relevanter Anteil der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Notfallmediziner*innen und (Notfall-)Pflegekräften aufgefasst werden.
Publication History
Article published online:
08 January 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Böhm L, Schwartz J, Michael M. et al. Befragung zum Vorhandensein palliativmedizinischen Wissens sowie palliativmedizinischer Strukturen in deutschen Notaufnahmen. Die Anaesthesiologie 2023; 72: 863-870
- 2 Wallstab F, Greiner F, Schirrmeister W. et al. German emergency department measures in 2018: a status quo based on the Utstein reporting standard. BMC Emergency Medicine 2022; 22: 5
- 3 Brod T, Bernhard M, Blaschke S. et al. Empfehlungen der DGINA und DIVI zur Struktur und Ausstattung von Notaufnahmen 2024. Notfall Rettungsmedizin 2024; 27 (Suppl. 03) 1-18
- 4 Böhm L, Willms A, Diehl-Wiesenecker E. SOP Versorgung am Lebensende in der Notaufnahme. Notaufnahme up2date 2024; 6: 340-344
- 5 Dehina N, Neukirchen M, Diehl-Wiesenecker E. et al. Versorgung sterbender PatientInnen in der Notaufnahme. Med Klin Intensivmed Notfmed 2024; 119: 97-104