Suchttherapie 2025; 26(01): 7-9
DOI: 10.1055/a-2500-3234
Der interessante Fall

Pornografie-Nutzungsstörung: Symptomdarstellung und Behandlungsüberlegungen anhand einer Kasuistik – Einblicke in die klinische Praxis

Klaus Wölfling
1   Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinik Mainz
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Einführung

Die Pornografie-Nutzungsstörung (Onlinesexsucht) beschreibt die exzessive und unkontrollierte Nutzung von pornografischem Material, die das psychische Wohlbefinden, soziale Beziehungen und Alltagsfunktionen beeinträchtigen kann. Anhand einer Fallbeschreibung wird hier aufgezeigt, wie sich die Suchterkrankung im Leben Betroffener äußert und welche Behandlungsbestandteile in der Therapie eingesetzt werden können.

Es wird über einen 39-jährigen Patienten berichtet, der aufgrund seines exzessiven Konsums von pornografischem Material im Internet und einem damit verbundenen hohen Leidensdruck mit der Frage vorstellig wurde, ob er süchtig nach Pornografie sei. Im Vorfeld hätten vor allem ausgeprägte Konflikte in der Beziehung zu seiner Partnerin dazu geführt, dass er in der Suchtambulanz vorstellig wurde und im Verlauf auch das störungsspezifische, gruppentherapeutische Angebot in Anspruch nahm.

Diagnose nach ICD-10 F63.8 (G): Internetnutzungsstörung (Pornografie-Nutzungsstörung, ersatzweise verschlüsselt als Sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle)

Symptombild

Hintergrund des Erstgesprächs war ein bereits seit dem sehr frühen Jugendalter (Erstkontakt etwa im zehnten Lebensjahr) des Patienten bestehender und seither anhaltender Konsum pornografischen Materials. Dieser habe in den letzten Jahren immer wieder zu Konflikten mit seiner Partnerin (-4) geführt. Der Patient berichtete im diagnostischen Erstgespräch, dass der Konsum onlinepornografischen Materials im Laufe der Zeit zunehmend exzessive Züge angenommen habe, denen er kaum bremsend begegnen könne. Obwohl es ihm schon seit langer Zeit bewusst sei, dass ihm die exzessiv ausartenden Nutzungsepisoden psychisch wie physisch nicht guttun würden, fühle er sich in diesen Phasen außerstande, den Konsum zu steuern oder zu vermeiden. Ihm sei zudem bewusst, dass er durch das fortgesetzte Konsumverhalten auch die Beziehung zu seiner Partnerin gefährde und das Weiterbestehen der Beziehung akut in Frage gestellt sei. Dies ängstige ihn einerseits – andererseits könne er den Konsum auch unter dieser drohenden Gefahr nicht stoppen. Er erlebe sich in den Phasen der Nutzung „emotional anfällig“, ausgelaugt, schwermütig, dysphorisch und antriebsgemindert. Auf körperlicher Ebene habe der Patient zudem feststellen müssen, dass er im intimen, zwischenmenschlichen sexuellen Kontakt zunehmend Schwierigkeiten hinsichtlich der eigenen körperlichen Erregung erlebe (Zeichen von erektiler Dysfunktion). Der Patient fühle sich zunehmend hilflos, da es ihm einfach nicht gelingen wolle, den Konsum dauerhaft zu reduzieren. Gleichzeitig trage er Vorwürfe und Sorgen in sich, da ihm die Beziehung zu seiner Partnerin sehr wichtig sei und er diese nicht länger aufs Spiel setzen wolle. Zusätzlich berichtete der Patient von innerer Unruhe und unzähligen gescheiterten Versuchen den Pornografiekonsum einzustellen. Er habe zudem mit Konzentrationsproblemen und einhergehendem Leistungsabfall im Beruf zu kämpfen.


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Therapieplanung und -ziele

Im Erstgespräch wurden gemeinsam mit dem Patienten im Sinne einer ersten Annäherung die folgenden psychotherapeutischen Therapieziele besprochen:

Zu Beginn der Therapie soll der Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung im Mittelpunkt stehen, da diese die Grundlage für den weiteren Veränderungsprozess bildet. Ein zentraler Aspekt ist hier der Erhalt und die Stärkung der Abstinenzmotivation, die durch die Bearbeitung von Ambivalenzen, die bei Betroffenen der Pornografienutzungsstörung häufig vorkommen, unterstützt wird. Psychoedukation spielt dabei eine wichtige Rolle, indem den Betroffenen Wissen über die Entwicklung der Störung im Kontext der Sensibilisierung des Belohnungssystems vermittelt und so ein individuelles Störungsmodell im Kontext der Pornografienutzungsstörung erarbeitet wird. Die Förderung der Abstinenzerreichung erfolgt über mehrere therapeutische Ansätze: Dazu zählt die psychische Stabilisierung, die durch die Integration alternativer, angenehmer Aktivitäten zum bisherigen Suchtverhalten erreicht werden soll. Weiterhin wird der Umgang mit Verlangen und möglichen Rückfällen thematisiert, wobei Strategien zur Bewältigung des Suchtverlangens im Fokus stehen. Ein weiterer zentraler Baustein ist die Stärkung des Selbstwertgefühls, die durch die Analyse und Veränderung selbstabwertender Gedanken sowie von Selbstvorwürfen gefördert wird. Ergänzend dazu, wird an der Emotionsregulation gearbeitet, um Betroffenen wirksame Mechanismen zur Bewältigung von negativen Emotionen zu vermitteln. Auch die Entwicklung von Problemlösestrategien im Umgang mit alltäglichen Belastungen ist Teil des therapeutischen Vorgehens. Ein weiterer Schwerpunkt der Therapie soll auf der Förderung der sozialen Kompetenz liegen. Hierbei wird insbesondere der Umgang mit Konflikten in der Partnerschaft und die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse klar und konstruktiv zu äußern, trainiert. Diese vielseitigen Ansätze zielen darauf ab, den Betroffenen ganzheitlich zu unterstützen und langfristige Veränderungen in ihrem Verhalten und ihrem Umgang mit der Störung zu ermöglichen.

Als Maßnahmen zur Umsetzung der Therapieziele wurde mit dem Patienten eine regelmäßige Teilnahme an den ambulanten verhaltenstherapeutischen Gruppensitzungen vereinbart. Zudem wurden ergänzende Einzelsitzungen durchgeführt, sowie ein Angehörigengespräch mit der Ehefrau des Patienten und eine rückfallpräventive Boostersitzung am Ende der Therapiemaßnahme. Da der Patient die gesamte Behandlung hinweg in seinem Beruf voll arbeitsfähig blieb, war das ambulante Setting mit dem Therapieangebot am Nachmittag für ihn gut umsetzbar.


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Entwicklung und Veränderung

Der hier beschriebene Patient konnte sich gut in die Gruppe und das ambulante Setting integrieren und nahm regelmäßig und pünktlich an den Gruppen- sowie Einzelsitzungen teil. Der Patient war zu Beginn der Behandlung noch nicht abstinent, erreichte die Abstinenz jedoch nach zwei Monaten. Als Vorteil der Abstinenz identifizierte der Patient unter Zuhilfenahme eines Arbeitsblattes, dass sich die gemeinsame Sexualität mit seiner Partnerin normalisiere und wieder intensiver erlebt wird. Das Paar konnte Zärtlichkeiten und inniges Beieinandersein wieder erleben. Er stellte nach Erreichung der Abstinenz zudem fest, mehr Zeit für andere Aufgaben zu haben und letztlich beruflich wieder leistungsfähiger zu sein. In den begleitenden Einzelgesprächen wurde der Aufbau der therapeutischen Beziehung vorangetrieben, sodass sich der Patient offen über seine Pornografie-Nutzungsstörung und den daraus folgenden Konsequenzen äußern und dem Therapeuten alle relevanten Facetten seines Innenlebens mitteilen konnte. Zur Sprache kamen dabei auch die zuvor konsumierten Inhalte (sadomasochistische Phantasien), die im therapeutischen Gespräch mit seiner Unsicherheit gegenüber Frauen klärend in Verbindung gebracht werden konnten. Die vor und nach der Behandlung erhobenen psychometrischen Daten zeigen eine Verbesserung in der Symptomschwere des Patienten. Die Werte des Screeninginstruments (AICA-S, [1]), einem etablierten Kurzfragebogen zur Erfassung von Verhaltensabhängigkeiten, haben sich von anfänglichen 17 Punkten (pathologische Nutzung) auf 13 Punkte (problematische Nutzung) in der Selbstauskunft gesenkt. Bei der Sheehan Disability Scale (ein Selbstbeurteilungsverfahren zur Erfassung funktioneller Beeinträchtigungen, SDS; [2]) konnten insgesamt leichte Verbesserungen verzeichnet werden. Die Beeinträchtigungen im Arbeitskontext sanken leicht von 8 auf 7 Punkte, Beeinträchtigungen bei der Freizeitgestaltung blieben bestehen, die Beeinträchtigungen im Familienleben nahmen leicht ab von 7 auf 6 Punkte.

In den verhaltenstherapeutisch orientierten Gruppengesprächen identifizierte der Patient auslösende und aufrechterhaltende Bedingungen seines online Pornografiekonsums und lernte diese im Alltag besser wahrzunehmen und suchtgefährdende Situationen besser zu erkennen. Klärungsorientiert wurde hierzu auch die Biographie und die frühe Entwicklung der Pornografie-Nutzungsstörung reflektiert. Biographische wichtige Punkte waren dabei der Erstkontakt mit dem pornografischen Material, die Veränderung des konsumierten pornografischen Materials über die Zeit, aber auch die angespannte Familiendynamik in der Kindheit des Patienten, sowie zusätzlich eine als traumatisch erlebte Intim-Operation im Jugendalter des Patienten. Techniken zur Verhinderung des Suchtverhaltens (sinnesbezogene Skills zur Reduktion des Suchtverlangens) wurden genauso wie die Gegenkonditionierung (Masturbation ohne pornografische Vorlage/ Bildmaterial) geübt. Kritische Faktoren für die Entwicklung von Verlangen nach Pornografiekonsum waren für den Patienten insbesondere partnerschaftliche und berufliche Stresssituationen, in denen er üblicherweise durch den Konsum zuvor eine Stressreduktion herbeigeführt hätte. Im Verlauf der Therapie gelang es nur teilweise ein Verständnis für den Zusammenhang von intrapsychischen, sozial-beruflichen und partnerschaftlichen Problemen und dem Suchtverhalten zu etablieren. Dennoch konnte der Patient die Abstinenz vom Online pornografischen Material für einen Zeitraum von 4 Monaten mit Ausnahme von sehr seltenen Rückfallsituationen bis zum Ende der Therapie stabil erhalten. Der Patient gewann zunehmend an Selbstsicherheit und einem Stärkegefühl gegenüber dem Suchtverhalten im Verlauf der Therapie.

In den Gruppensitzungen wurde das Verständnis von offener Kommunikation zwischen den Patienten und ihren Partnerinnen (reine Männergruppe) durch Übungen und Probehandlungen etabliert. Diese Interventionen wurden von dem Patienten als besonders hilfreich erlebt. Durch den Therapeuten wurde angeregt, sich in der Beziehungsgestaltung zu üben, sich offener zu äußern und eigene Bedürfnisse anzusprechen und gleichzeitig empathisch auf die Wünsche der Partnerin einzugehen. Im Verlauf zeigte sich, dass es dem Patienten zunehmend besser gelang, in der Beziehung offener zu kommunizieren, was zu einer subjektiv erlebten höheren Zufriedenheit und Ausgeglichenheit in der Partnerschaft führte. Insgesamt betrachtet, konnte der Patient eine Abstinenz vom Online-Sexsuchtverhalten aufbauen und festigen. Dies gelang ihm durch einen deutlichen Zuwachs an Selbstreflexion und eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Konsumverhalten und den assoziierten Themenbereichen. Es gelang ihm dadurch, im Rahmen seiner Partnerschaft offener und ehrlicher auf seine Partnerin zuzugehen und gleichzeitig an Konfliktfähigkeit zu gewinnen. Dies bildet eine gute Grundlage für ein dauerhaftes Fortbestehen der Abstinenz auch über den Zeitraum der Therapie hinaus. Wir empfahlen dem Patienten, nun nach erfolgreichem Erreichen der Abstinenz, eine Paartherapie gemeinsam mit seiner Partnerin zu beginnen.

Fazit

Die Fallbeschreibung zeigt, wie Betroffene durch Psychoedukation, Abstinenzförderung, Selbstreflexion und soziale Kompetenzentwicklung unterstützt werden können. Der Patient konnte durch die verhaltenstherapeutischen Ansätze eine Abstinenz ggü. dem Konsum von pornografischem Material aufbauen, Partnerschaftsprobleme konstruktiver angehen und an Selbstsicherheit gewinnen, was prognostisch eine stabile Basis für nachhaltige Veränderungen schafft.


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Publication History

Article published online:
06 February 2025

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  • Literatur

  • 1 Wölfling K, Müller KW, Beutel M.. Reliability and validity of the scale for the assessment of Pathological Computer-Gaming (AICA-S). Psychother Psychosom Med Psychol 2011; 61: 216-224 doi: 10.1055/s-0030-1263145
  • 2 Sheehan DV, Giddens MJM, Lisensi PP.. Sheehan disability scale (SDS). International Clinical Psychopharmacology 1983; 11: 89-95