Klin Padiatr
DOI: 10.1055/a-2511-8499
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Die weiße Lunge: Sonographische Diagnose des Atemnotsyndroms bei einem Frühgeborenen

The white lung: Ultrasound diagnosis of neonatal respiratory distress syndrome
Eileen Rossow
1   Department of Pediatrics, AKK Altona Childrenʼs Hospital, Hamburg, Germany
,
Irene Zeile
2   Neonatology and Pediatric Intensive Care Medicine, AKK Altona Childrenʼs Hospital, Hamburg, Germany
,
Philippe Stock
3   Pediatrics, AKK Altona Childrenʼs Hospital, Hamburg, Germany
› Author Affiliations

Einführung

Das Atemnotsyndrom des Neugeborenen beruht auf einem primären Surfactantmangel in einer anatomisch unreifen Lunge. Ohne Surfactant ist die Compliance vermindert, was zu einer Minderbelüftung der Lungen durch diffuse Atelektasen führt. Damit beginnt ein Circulus vitiosus, der zu einer fibrinösen Exsudation in die Alveolen mit der Bildung einer hyalinen Membran und weiterer Störung der Surfactantsynthese führt. Die Inzidenz des Atemnotsyndroms liegt in der 34. Schwangerschaftswoche noch bei etwa 10% (Hibbard J et al., JAMA 2010; 304: 419–425) und steigt mit zunehmender Unreife. Die Diagnose wird bei Frühgeburtlichkeit primär klinisch mit Tachydyspnoe und respiratorischer Partialinsuffizienz unter CPAP-Atemunterstützung gestellt, sowie klassischerweise durch ein Röntgenbild bestätigt und dabei in vier Schweregrade eingeteilt.

Die Lungensonographie ist fester Bestandteil in der Notfall- und Intensivmedizin zur Abklärung von Pleuraergüssen oder Pneumothoraces. Zunehmend gewinnt sie in der Pneumologie für die direkte Darstellung von konsolidiertem Lungengewebe an Bedeutung (Dietrich C et al. Ultraschall in Med 2023; 44: 582–599). In der Neonatologie zeigen sich weitgehende Bestrebungen auch das Atemnotsyndrom sonographisch zu diagnostizieren (Sefic I et al., J Ultrasound 2023; 26: 435–448). Viel diskutiert ist der Lungenultraschall Score, der 6 Lungenabschnitte auf einer 4-stufigen Skala (0: normal, 1: interstitielles Syndrom, 2: schweres interstitielles Syndrom, 3: Lungenkonsolidierung) beurteilt (Brat R et al., JAMA Pediatr 2015; 169 online). Damit besteht ein effektives Werkzeug zur frühen, individuell angepassten Therapieentscheidung über eine Surfactantgabe (Capasso L et al., Pediatr Pulmonol 2023; 58(5):1427–1437), was auch bei einem Gestationsalter von>34 SSW bestätigt wurde (De Luca D et al., JAMA Netw Open 2024, 7: e2413446). Empfehlungen zur schonenden Geräteeinstellung in der Neonatologie liegen vor (Wolfram F et al., Ultraschall in Med 2023; 44: 516–519). Dieser Fall zeigt wie die Lungensonographie zunehmend Anwendung in der Neonatologie findet und soll dem Wissenstransfer zur Bildinterpretation mit einem eindrucksvollen Befund dienen.

Anamnese und Befunde

Wir berichten über den Fall eines eutrophen männlichen Frühgeborenen, welches mit 32 vollendeten Schwangerschaftswochen und einem Geburtsgewicht von 1970 g bei vorzeitigem Blasensprung und unaufhaltsamen Wehen ohne präpartale Lungenreifeinduktion spontan geboren wurde. In der Erstversorgung hat sich das Frühgeborene unter CPAP-Atemunterstützung (PEEP 5 cmH2O, FiO2 max. 0,5) mit einem APGAR von 8/9/9 gut adaptiert. Das Kind wurde am CPAP übernommen und zeigte im weiteren Verlauf eine persistierende Tachydyspnoe mit einer Atemfrequenz von etwa 80/min. Im Röntgenbild präsentierte sich ein Atemnotsyndrom Grad III ([Abb. 1a]).

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Abb. 1 Vergleich der röntgologischen und sonographischen Befunde: Das Röntgenbild zeigt ein Atemnotsyndrom Grad III, welches durch ein positives Bronchopneumogramm sowie nicht mehr scharf abgrenzbare Herzschatten und Zwerchfellkuppen gekennzeichnet ist. Sonographisch präsentiert sich eine flächige hyperechogene Schallreflexion unterhalb der Pleuralinie (>), die nur von den dorsalen Schallauslöschungen (**) der Rippen (*) unterbrochen wird. Dieses Bild einer weißen Lunge zeigt sich ubiquitär, sowohl rechts (b) und links (c) parasternal als auch dorsal links- (d) und rechtsseitig (e). Dies entspricht einem schweren interstitiellen Syndrom.

Mit etwa 36 Stunden entwickelte das Neugeborene einen kontinuierlich steigenden Sauerstoffbedarf mit einer FiO2 von 0,3 auf letztlich 0,7. Sonographisch konnte ein Pneumothorax ausgeschlossen und das Atemnotsyndrom mit konfluierenden B-Linien über allen Lungenabschnitten, die sich als weiße Lunge darstellten, diagnostiziert werden ([Abb. 1b–e]). Im Lungenultraschall Score entspricht dies einem schweren interstitiellen Syndrom.


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Therapie und weiterer Verlauf

Das Neugeborene hat dann eine endotracheale Gabe von porcinem Surfactant (ca. 120 mg/kg) unter Spontanatmung erhalten. Innerhalb weniger Stunden reduzierte sich der Sauerstoffbedarf. Das Atemmuster ist im Verlauf ruhiger geworden. Eine CPAP-Atemunterstützung war letztlich noch bis zum 10. Lebenstag notwendig. Der sonographische Befund normalisierte sich ([Abb. 2b] ).

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Abb. 2 Vergleich der sonographischen Befunde im zeitlichen Verlauf: a) Vor der Surfactantgabe lassen sich apikal vermehrte B-Linien (▽) nachweisen, die noch einzeln voneinander abgrenzbar sind. Sie verlaufen von der Pleuralinie (>) senkrecht in die Tiefe und entstehen durch vermehrte pulmonale Flüssigkeit. In den basalen Lungenabschnitten auf der rechten Bildseite präsentiert sich das Vollbild einer weißen Lunge, welches aus der Konfluenz der B-Linien (}) entsteht. Schallkopfnah zeigen sich sowohl kompakte Rippenstrukturen (*) mit dorsaler Schallauslöschung (**) als auch chondrale ultraschalldurchlässige Rippen (○) ohne Schallauslöschung. b) Am 8. Lebenstag zeigt sich eine Normalisierung des Befundes bei eupnoeischer Spontanatmung zum Ende der CPAP-Therapie. Es sind noch vereinzelte B-Linien (▼) in physiologischer Anzahl am linken Bildrand zu erkennen. A-Linien (►) als Wiederholungsartefakte der Pleuralinie sind wieder erkennbar. Sie wurden zuvor von den B-Linien überlagert.

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Sonographische Bildmerkmale des Atemnotsyndroms und ihre Entstehung

Lange galt die pneumatisierte Lunge als sonographisch unzugänglich, da es aufgrund der hohen Impedanzänderung zur kompletten Schallreflexion an der Luftgrenze kommt und das Lungengewebe dadurch nicht direkt einsehbar ist. Diese Reflexion an der Lungenoberfläche führt zu der bildlichen Darstellung der Pleuralinie als stark echoreiche Kontur, die im Normalbefund atemabhängig an der Thoraxwand gleitet. Die Lunge selbst lässt sich dennoch über verschiedenen Artefakte der Pleurareflexion sonographisch beurteilen. A-Linien sind echogene horizontale Spiegelartefakte, die auf Grund der mehrfachen Reflexion zwischen der Pleura und dem Schallkopf entstehen und die Pleuralinie mehrfach in der Tiefe imitieren ([Abb. 2b]). Sie sind physiologisch und mit einer gewissen Unschärfe vorhanden.

B-Linien sind hyperechogene vertikale Spiegelartefakte, die senkrecht von der Pleuralinie aus zum unteren Bildrand ziehen und sich mit dem Pleuragleiten mitbewegen. Sie entstehen an dichten Grenzflächen zwischen Alveolarluft und vermehrter pulmonaler Flüssigkeit. Bei der ständigen Hin- und Rückreflexion auf kleinstem Raum werden einzelne zurückreflektierende Schallimpulse zeitlich verzögert vom Schallkopf empfangen. Durch die zeitliche Diskrepanz und dem damit berechneten Weg bei angenommen einmaliger Reflexion wird eine senkrechte hyperechogene Struktur virtuell simuliert. Physiologischerweise können ein bis zwei B-Linien pro Interkostalraum vorliegen, insbesondere bei Erwachsenen in den basalen Lungenabschnitten (Horn R et al., Ultraschall in Med 2024; 45: 118–146). Zeigen sich vermehrte B-Linien liegt ein interstitielles Syndrom vor. Auch das Atemnotsyndrom kann sonographisch anhand der zunehmenden B-Linien beurteilt werden (Schwarz S, Ultraschall in Med 2023; 44: 15–35). Das Bild einer weißen Lunge aus flächig konfluierenden B-Linien, wie wir es in diesem Fall sehen, ist in jedem Alter pathologisch ([Abb. 2a]). Bei der Interpretation von Artefakten wird empfohlen bildharmonisierende Software zu deaktivieren (Jaworska J et al., Diagnostics 2020; 10: 935).


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Kernaussagen

  • Der dargestellte Fall demonstriert den Stellenwert der Lungensonographie als valide Entscheidungshilfe in der Diagnostik und individuellen Therapieführung des neonatalen Atemnotsyndroms. Die Relevanz der Lungensonographie als strahlenfreie, effiziente und bettseitige Echtzeit-Bildgebung nimmt in diversen Disziplinen zu.

  • Die Pleuralinie ist eine stark echoreiche Linie, die an der Oberfläche der pneumatisierten Lunge durch Totalreflexion entstehet. Die verschiedenen Artefakte dieser Reflexion ermöglichen eine sonographische Beurteilung der Lunge. A-Linien sind physiologische horizontale Spiegelartefakte und imitieren die Pleuralinie in der Tiefe.

  • B-Linien sind vertikale Artefakte, die von der Pleuralinie aus gerade in die Bildtiefe ziehen und an nahen Luft-Flüssigkeits-Grenzen entstehen. Sie überlagern die A-Linien. Vermehrte B-Linien weisen auf ein interstitielles Syndrom hin. Bei einem höhergradigen Atemnotsyndrom konfluieren die B-Linine zu einer hyperechogenen Fläche und es entsteht das Bild einer weißen Lunge. Eine sonographisch weiße Lunge ist immer pathologisch.


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Publication History

Article published online:
03 February 2025

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