Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/a-2517-0031
Den Tod wieder ins Leben holen …

Diesen Slogan hört und liest man inzwischen häufig als erklärtes und notwendiges Ziel für unsere Gesellschaft. Aber brauchen wir das wirklich? Umgibt uns der Tod nicht tagtäglich und zu jeder Stunde? Wir sind mit schlimmsten Foto- und Filmdokumentationen aus Kriegsgebieten konfrontiert, erfahren von Folterungen und bestialischen Tötungen, sehen Bilder von hungernden Kindern. Damit nicht genug, bieten Analogfernsehen und Streamingdienste unzählige Krimis (dabei kommt ein Toter selten allein), Horrorfilme, Thriller, Dystopien … Wem das noch nicht genug ist, der kann ungezählte, z. T. höchst grausame Videospiele „spielen“, wo die „Opfer“ reihenweise umgenietet werden müssen, sobald sie auftauchen. Der Zugriff auf Sterben und Tod 24/7 müsste doch ausreichen.
Ja, es ist richtig, dass diese Art von Tod mit dem Slogan natürlich nicht gemeint ist! Denn bei diesen Toten kann man sich distanzieren, sie sind weit weg, im Film, im Spiel eben, man kann sie jederzeit abschalten.
Nein, es geht darum, wie wir mit dem Tod umgehen, wenn es wirklich ernst wird und er uns nahekommt, wenn es nicht mehr in unserer Macht steht, ihn abzuspalten oder abzuschalten. Dann nämlich, wenn nahe Zugehörige mit zum Tode führender Erkrankung kämpfen oder er einem selbst bevorsteht.
War es vor 4 Generationen noch selbstverständlich, dass betagte oder kranke Familienmitglieder im Haushalt blieben und versorgt wurden bis zum Tod und der Aufbahrung, so sterben heute knapp 50 % im Krankenhaus und ein weiteres Drittel in einer Pflegeeinrichtung. Dies geschieht häufig allein und ohne dass Enkel und Urenkel dies miterleben, sich verabschieden und verarbeiten können. Insofern ist es sehr wünschenswert, sich diesem je einzigartigen Geschehen wieder anzunähern.
Die „modernen“ Versuche einer Annäherung allerdings machen sprach- und fassungslos – gerade vor dem Hintergrund, dass entsprechende Initiativen und Institutionen Werbeagenturen beauftragen, um Veranstaltungs- und Vortragsreihen, einzelne Angebote und Hilfestellungen aufmerksamkeitswirksam an den Nutzer zu bringen.
Hier einige krasse Beispiele für das Anliegen, „den Tod aus der Tabuzone zu holen“ und ihm „mit Leichtigkeit und Humor zu begegnen“:
-
„Aktionswoche ‚Moin, Tod!‘“ (Moin ist die freundliche norddeutsche Begrüßung zu jeder Tageszeit).
„… (unsere Stadt) hat in dieser Woche dem Tod ein herzliches „Moin“ entgegengeschickt – und gezeigt, wie wertvoll es ist, das Leben und den Tod gemeinsam zu reflektieren und zu feiern.“ -
„Death Café – Den Tod aus der Ecke holen“ mit dem Bild einer Skeletthand, die zur Tasse greift.
-
„Festival der Endlichkeit“.
-
PubQuiz „LEBEN und TOD“ + Party für Studenten“ (Zitat aus der Ankündigung: „Wir versprechen Euch einen Abend voller Spannung, Witz und kniffliger Fragen rund um die Themen Leben und Tod. Kommt vorbei … und habt eine Menge Spaß.“
-
Poetry Slam „Keiner kommt hier lebend raus“.
-
„Impro-Show zum Thema Leben und Tod“.
-
Stadtführung „Die Wahrheit über den Tod“ (Zitat aus der Ankündigung: „… – denn in Zeiten von Internet und Mikrowelle wirkt der Tod doch etwas altbacken und von der Zeit überholt“).
-
„Die Sargbar“ (Ankündigung: „… Death Positiv laden zum offenen Gespräch an ihrer Sargbar ein.“ Death Positiv sind zwei Kommunikationswissenschaftlerinnen, die „einen leichtfüßigen Umgang“ mit dem Tod vermitteln möchten.)
-
„Speeddating mit dem Tod“, ebenfalls von Death Positiv angeboten.
-
Aus der Ankündigung: „… haben wir das Kartenspiel „Sarggespräche“ entwickelt. (Es) „… soll ein Werkzeug sein, Gedanken, Vorlieben, Geschichten über das Leben und Tod auf unterhaltsame Weise auszutauschen“.
(Diese Veranstaltung kostet übrigens für 2,5 Stunden 330 Euro + Anreise für Schulen, Firmen, Vereine).
Dies sind alles Angebote der „Palliativwoche 2024“ in einer mittelgroßen Großstadt.
Kopfschüttelnd muss man wohl annehmen, dass die Werbetexter und Veranstalterinnen nie erlebt haben, was es bedeutet, seinen Mann, seine Frau 24/7 zu Hause zu pflegen im Angesicht des nahenden Endes; und muss man wohl auch annehmen, dass sie nie eine Totgeburt erlebt oder ein Kind an Krebs verloren haben; muss man wohl annehmen, dass sie nie die Trauer der Angehörigen nach dem Verlust eines geliebten Menschen gefühlt haben. Für all’ diese Menschen müssen solche Formulierungen blanker Hohn sein und ein offener Schlag ins Gesicht! Was wird jemand empfinden, wenn „Witze“, „Leichtigkeit“ und „den Tod feiern“ geboten sind?
Nur Ahnungslose können wohl so „leichtfüßig“ über existenzielle Nöte hinweggehen!
Offenbar soll dem Tod der Schrecken genommen und eine Annäherung ermöglicht werden, gerade für jüngere Menschen, das ist sogar verständlich. Nur werden dazu Bagatellisierung, Ironie, Sarkasmus und Humor eingesetzt – in diesem Zusammenhang also allesamt psychische Abwehrmechanismen! Indem man diese Mechanismen aber bedient, wird genau das Gegenteil erreicht: Eine ernsthafte, wahrhaftige, persönliche Auseinandersetzung wird verhindert!
Abwehrmechanismen können im Umgang mit existenziellen Ängsten und Bedrohungen überaus wichtig sein und haben ihren Stellenwert als Verarbeitungsmöglichkeiten bei schwer kranken und sterbenden Menschen. Doch bei der oben beschriebenen Öffentlichkeitsarbeit soll ja eigentlich anderes bewirkt werden: Nämlich, dass gesunde Menschen wieder lernen und akzeptieren, dass zu jedem Leben auch das Ende gehört; dass sie sich mit dem Verlust ihres Wesens, ihrer Identität und alles Erlebten auseinandersetzen, dass sie sich auf einen selbstbestimmten Weg auf dieses Ende hin vorbereiten und es sich vertraut machen. Es soll Mut gemacht werden für diese Auseinandersetzung und Unterstützung angeboten werden. Es soll vermittelt werden: „Du wirst gesehen, begleitet, du bist nicht allein, egal, wie es Dir gehen wird“ u.v.m.
Dazu bedarf es sicher keiner vermeintlich modernen, lässigen, humorvollen (Lock-)Sprache.
Glücklicherweise überwiegen (noch!) die seriösen Angebote, die ihren Fokus genau auf die letztgenannten Aspekte legen: Palliativstationen und Hospize veranstalten „Tage der offenen Tür“; zahlreiche Literatur wird angeboten (aber auch da ist Vorsicht geboten!), es gibt vielerorts Vortragsveranstaltungen, Seminare und Gruppenangebote, die sich einer professionell begleiteten, ernsthaften und sinnerfüllten Beschäftigung mit der eigenen Lebensgestaltung und der Vorbereitung auf das Ende widmen (übrigens auch während der zitierten Palliativwoche!).
Schon lange Zeit vor der Geburt Jesu mahnte ein Dichter in diesem Vers aus Psalm 90 (Vers 12):
„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“. In diesem schlichten Wunsch steckt die gesamte Aufgabe!
Publication History
Article published online:
04 March 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany