Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(37): 1829
DOI: 10.1055/s-0028-1082802
Editorial

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Das Korsett der Inneren Medizin in Form der Gebiete und Schwerpunkte ist zu eng geworden – Ausweg: Interdisziplinarität

The corset of internal medicine by means of fields and specialities has become too light – the answer is interdisciplinaryT. Risler1
  • 1Sektion Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Medizinische Klinik IV, Medizinische Universitätsklinik Tübingen
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Publication Date:
03 September 2008 (online)

Die Innere Medizin hat einen Umfang erreicht, der selbst von ausgewiesenen Spezialisten nicht mehr komplett beherrscht wird. Das gleiche Problem gilt für die Gebiete. Nicht umsonst sind Schwerpunkte definiert worden, die sich auf System- oder Organerkrankungen beschränken. Auch diese Einteilung ist weitgehend obsolet, weil sich viele Erkrankungen nicht an die Organgrenzen halten. Probleme gibt es, wenn in solchen Fällen veraltete, aber immer noch geltende Einteilungen bürokratisch weitergeführt werden. Die Vertreter der Schwerpunkte nehmen den Bereich als ihren wahr. Ihr Gebiet beherrschen sie meist hervorragend. Schwierig wird es, wenn sie in ein für sie „fremdes Gebiet” geraten. Oft sind es neue diagnostische Methoden oder neue Therapieprinzipien, die das eigene Gebiet nicht tangieren. Wie wird damit umgegangen?

Ein oft gehörtes Szenario: Nachlesen ist zu umständlich. Oft wird telefoniert und ein Kollege als Spezialist gefragt, den man für kompetent hält. Davon hängt ab, ob man den Patient selbst weiterbehandelt oder zu einem Kollegen überweist. Dieses Vorgehen ist zum einen riskant, weil die eigene Einschätzung wie auch die des Kollegen fehlerhaft sein können, zum anderen ist es eine einsame Entscheidung, die bei den vielen medizinischen Optionen nicht mehr zeitgemäß ist.

Wir sollten uns an unsere bewährten Traditionen erinnern, die in solchen Fällen ein Konsilium vorsehen. Fachlich involvierte Ärzte kommen zusammen, die aus den unterschiedlichen Perspektiven das Problem beurteilen und dann versuchen gemeinschaftlich die bestmögliche Lösung zu finden. Heraus kommt eine sachkundige Empfehlung, sei es in der Diagnostik oder auch in der Therapie. Eine solche interdisziplinäre Behandlung gibt dem Arzt und dem Patienten die notwendige Sicherheit im weiteren Vorgehen.

Wir Nephrologen sind angewiesen auf die interdisziplinäre Behandlung von Patienten, weil die Nierenerkrankungen nur selten auf die Nieren beschränkt sind. Viele dieser Patienten haben Systemerkrankungen wie die Vaskulitiden (z. B. Lupus erythematosus, Morbus Wegener), sekundäre Glomerulonephritiden (z. B. Hepatitis B und C, Goodpasture-Syndrom) oder den Diabetes mellitus als häufigste Ursache der terminalen Niereninsuffizienz. Von besonders großer Bedeutung ist die Niereninsuffizienz als kardiovaskuläres Risiko. Lange wurde die abnehmende Nierenfunktion lediglich als Risiko des Patienten, früher oder später dialysiert zu werden, angesehen. Heute wissen wir, dass die progressive Niereninsuffizienz mit dem Risiko korreliert, an einem Myokardinfarkt oder Schlaganfall zu sterben, noch bevor das Dialysestadium erreicht ist.

Die Patienten sind oft alt und multimorbide. Sie leiden an Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus und Übergewicht – den Risiken, die es gemeinsam zu behandeln gilt. Oft besteht schon eine Herzinsuffizienz, die die Niereninsuffizienz weiter verschlechtert. Hier müssen wir zusammen mit dem Kardiologen die Therapie entwerfen, die auf Herz- und Nierenfunktion einwirkt.

In diesem Heft der DMW, das anlässlich des Kongresses für Nephrologie 2008 zusammengestellt wurde, haben wir fünf typische klinische Konstellationen ausgewählt, die nur interdisziplinär gelöst werden können:

Niere und Alter Niere und Herz Niere und Gefäße Niere und Diabetes Niere und Hypertonie.

Um Sie in die Materie einzuführen, habe ich einige Fragen zusammengestellt. Wenn Sie die Antworten nicht schon kennen, werden Sie sie in diesem Heft finden.

Altern die Nieren oder ist die Abnahme der Nierenfunktion Folge renaler Erkrankungen? Welche Risiken haben ältere Patienten mit einer Niereninsuffizienz? Wie soll man eine Herzinsuffizienz bei verminderter Nierenfunktion behandeln? Warum stirbt der Patient mit einer leichten Niereninsuffizienz (CKD2) mit einer KHK eher am Herzinfarkt, während der Patient an der Dialyse (CKD5) mit einer KHK eher am plötzlichen Herztod stirbt? Geht das metabolische Syndrom unweigerlich in eine diabetische Nephropathie über? Ist ein Blutdruck von 140/80 mm Hg bei einer Patientin mit einer Niereninsuffizienz zu hoch?

Wir freuen uns, Sie beim Kongress für Nephrologie vom 27. – 30.9.2008 in Tübingen zu treffen. Wenn Sie Fragen haben, nachdem Sie dieses Heft gelesen haben, fragen Sie die Autoren. Sie werden alle in Tübingen sein.

Prof. Dr. med. Teut Risler

Sektion Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Medizinische Klinik IV, Medizinische Universitätsklinik

Otfried-Müller-Str. 10

72076 Tübingen

Phone: 07071/29 83172

Fax: 07011/29 3174