Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0028-1083093
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Psychosozialer Notfall – Erregungszustände, Aggression und gewalttätiges Verhalten im Notarzt– und Rettungsdienst
Agitation, agression and violence in emergency medicinePublication History
Publication Date:
31 July 2008 (online)
Zusammenfassung
Erregungszustände unterschiedlichen Schweregrads finden sich bei 15–25 % aller psychisch auffälligen Patienten im Notarztdienst. Hinzu kommen Einsätze als Folge von Gewalt. Aggression gegen Rettungskräfte ist jedoch selten. Der vorliegende Beitrag beschreibt die Ursachen von Aggression, benennt Phasen von Erregungszuständen und gewalttätigem Verhalten und stellt stadienabhängige Maßnahmen zur Deeskalation und zum Krisenmanagement dar. Erforderlich ist ein entschlossenes und ruhiges, situationsangemessenes aber auch rasches und koordiniertes Handeln unter Einschluss einer Pharmakotherapie.
Abstract:
A state of agitation occurs in 15–25 % of all patients with mental disorder who are seen by pre–hospital emergency physicians (EPs) in the German emergency medical system. Additionally, there is an unknown number of calls due to injury subsequent to violence. Aggression against EPs and paramedics, however, is rare. This paper gives an overview on the models for the onset of aggression, the single stages of agitation and violence, and the stage–dependent steps for de–escalation and crisis intervention in the emergency situation. Action has to be determined but unexcited and, depending on the situation, swift but well coordinated, including psychopharmacotherapy.
Schlüsselwörter:
Erregung - Aggression - Deeskalation - Krisenintervention - Pharmakotherapie
Keywords:
Agitation - Agression - Violence - De–escalation - Crisis intervention - Rapid tranquilisation
Kernaussagen
-
Aggression ist bei psychiatrischen Patienten häufig zu finden, echte Gewalttätigkeit gegen Notarzt– oder Rettungsdienstfachpersonal ist jedoch selten.
-
Im Einsatz ist auch mit Aggression durch Angehörige zu rechnen und auf im Vorfeld stattgefundene Gewalttätigkeit zu achten.
-
Insbesondere bei der Kombination von Substanzmittelabusus oder akuter Intoxikation mit einer weiteren psychiatrischen Erkrankung ist von einem erhöhten Maß an Gewaltbereitschaft auszugehen.
-
Aggression und Gewalttätigkeit haben sehr verschiedene Ursachen. Wenn ein Gespräch möglich ist, sollte danach gesucht werden. Dies gelingt am besten, wenn versucht wird, die Perspektive des Patienten einzunehmen. Das Anbieten einer Lösung für ein aggressionsauslösendes Problem kann den Patienten wirksam beruhigen.
-
Unmittelbar nach Eintreffen am Einsatzort muss beurteilt werden, ob vom Patienten oder dessen sozialem Umfeld eine Gefährdung ausgeht bzw. wie hoch diese ist.
-
Erregung und Aggression durchlaufen Stadien. Es hilft, den Ablauf eines Erregungszustands zu kennen, um Interventionsmöglichkeiten besser und effektiver einzusetzen.
-
Es empfiehlt sich meist, das diagnostische Gespräch in einer „reizabgeschirmten” Umgebung durchzuführen z.B. in einem separaten Raum ohne Durchgangsverkehr.
-
Sicherheit geht vor – auch die eigene! Deshalb aggressiven Patienten nie allein gegenüber treten, zunächst einen ausreichenden Abstand einhalten, alle Gegenstände entfernen, die sich als Waffe eignen, einen Fluchtweg offen lassen und frühzeitig Ordnungskräfte hinzuziehen.
-
Sollten Deeskalation und Krisenintervention nicht erfolgreich sein, ist ein entschlossenes und koordiniertes Vorgehen erforderlich.
-
Häufig kann erst durch eine geeignete psychopharmakologische Intervention („Rapid Tranquilisation”) eine Beruhigung des Patienten erreicht werden.
-
Ergänzendes Material
- Supporting Information_Literature
- Supporting Information_Tables
Literatur
- 1 Behrendt H, Schmiedel R.. Die aktuellen Leistungen des Rettungsdienstes in der Bundesrepublik Deutschland im zeitlichen Vergleich (Teil II). Notfall Rettungsmed. 2004; 1 59-69
- 2 Pajonk FG, Moecke H.. Psychiatrische Notfälle in der Notfallmedizin – Definition, Häufigkeit, Epidemiologie. In: Madler C, Jauch KW, Werdan K, Siegrist J, Pajonk FG, Hrsg. Das NAW–Buch. Akutmedizin der ersten 24 Stunden. 3. Aufl. Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag 2005
- 3 Püschel K, Cordes O.. Gewalt gegen Ärzte. Tödliche Bedrohung als Berufsrisiko. Deutsches Ärzteblatt. 2001; 98 153-157
- 4 Pajonk FG.. Der aggressive Patient im Rettungsdienst und seine Herausforderungen. Notfall Rettungsmed. 2001; 3 206-216
- 5 Wagner U.. Gefahren der Einsatzstelle. Notfall Rettungsmed. 2002; 5 146-147
- 6 Selg H, Mees U, Berg D.. Psychologie der Aggressivität. 2., überarbeitete Aufl. Göttingen: Hogrefe 1997
- 7 Köck P, Ott H.. Wörterbuch für Erziehung und Unterricht. 5. Aufl. Donauwörth: Ludwig Auer 1994
- 8 Sanguinetti VR. et al. . Retrospective study of 2200 involuntary psychiatric admissions and readmissions. Am J Psychiatry. 1996; 153 392-396
- 9 Kho K. et al. . Prospective study into factors associated with aggressive incidents in psychiatric acute admission wards. Br J Psychiatry. 1998; 172 38-43
- 10 Breakwell G.. Aggression bewältigen. Umgang mit Gewalttätigkeit in Klink, Schule und Sozialarbeit. Bern: Hans Huber Verlag 1998: 56
- 11 Rupp M, Rauwald C.. Von der Aggressivität zur Eskalation. Klärung einiger Grundbegriffe. In: Ketelsen R, Schulz M, Zechert C, Hrsg. Seelische Krise und Aggressivität. Der Umgang mit Deeskalation und Zwang. Bonn: Psychiatrie Verlag 2004: 12-26
- 12 Hewer W.. Erregungszustände, aggressives und fremdaggressives Verhalten. In: Hewer W, Rössler W, Hrsg. Das Notfallpsychiatriebuch. München: Urban & Schwarzenberg 1998: 90-111
- 13 Kardels B, Kinn M, Pajonk FG.. Erregungszustände, aggressives und fremdgefährdendes Verhalten. In: Kardels B, Kinn M, Pajonk FG, Hrsg. Akute psychiatrische Notfälle – Ein Leitfaden für den Notarzt– und Rettungsdienst. Stuttgart: Thieme 2008: 53-64
- 14 Dubin WR, Feld JA.. Rapid tranquilization of the violent patient. Am J Emerg Med. 1989; 7 313-320
- 15 Pajonk FG, Stoewer S, Kinn M. et al. . Psychopharmakotherapie in der Notfallmedizin. Notfall Rettungsmed. 2006; 9 393-402
- 16 Petermann F, Döpfner M, Schmidt MH.. Ratgeber aggressives Verhalten. Göttingen: Hogrefe 2001
- 17 D'Amelio R, Pajonk FG.. Psychiatrische Notfälle. In: Lasogga F, Gasch B, Hrsg. Notfall–Psychologie. Lehrbuch für die Praxis. Heidelberg: Springer 2008: 331-345
Prof. Dr. med. Frank G. B. Pajonk
Dipl. Psych./Psych. Psychotherapeut Roberto D'Amelio
Email: pajonk@klinik-dr-fontheim.de
Email: Roberto.D.Amelio@uks.eu
- LiteraturverzeichnisTabelle 4: Kriterien zur Abschätzung einer erhöhten Fremdgefährdung