Sprache · Stimme · Gehör 2008; 32(3): 115-122
DOI: 10.1055/s-0028-1086009
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Partner im Dialog – Eine Einzelfallstudie zur laut- und gebärdensprachlichen Entwicklung eines Kindes mit CHARGE-Syndrom

Partners in Dialogue – A Single Case Study Referring to the Development of Spoken and Sign Language of a Child with CHARGE SyndromeU. Horsch 1 , A. Scheele 1
  • 1Pädagogische Hochschule Heidelberg, Fakultät I, Heidelberg
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. Oktober 2008 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Die Zunahme an seltenen Syndromen ist eine häufige Ursache von schwerer Behinderung. Eines dieser Syndrome ist das CHARGE-Syndrom mit einer Prävalenz von 1:12 000, für das im deutschsprachigen Raum ein eklatanter Forschungsbedarf besteht. Nachfolgend werden ausgewählte Ergebnisse einer Einzelfallstudie zur dialogischen Entwicklung zwischen einem Vater und seinem 2,5-jährigen Sohn mit CHARGE-Syndrom über den Zeitraum eines Jahres vorgestellt. Der Fokus liegt hierbei auf der laut- und gebärdensprachlichen Entwicklung im Dialog.

Methode: Für den Zeitraum eines Jahres werden monatlich im natural setting Videoaufzeichnungen erstellt, die mittels computerbasierter Analysen hinsichtlich ausgewählter vorsprachlicher und sprachlicher Elemente des Dialogs zwischen Vater und Sohn mit CHARGE-Syndrom evaluiert werden.

Ergebnisse: Die Auswertung der Daten zeigt, dass der kindliche Einsatz von Gesten, Gebärden und Lautsprache in einem engen Zusammenhang steht, wobei das Kind der Lautsprache und den Gesten den Vorrang gegenüber der Gebärdensprache gibt. Ebenso zeigt sich, dass für einen gelungenen Dialog die väterliche Haltung zum Kind ausschlaggebend ist, die von einem partnerschaftlichen Miteinander, vom Ernst nehmen des Kindes und dem Folgen seiner Interessen geprägt ist.

Schlussfolgerungen: Die Studie enthält erste wichtige Hinweise hinsichtlich der Entwicklung und Bedeutung vorsprachlicher und sprachlicher Elemente im Dialog zwischen Vater und Sohn mit CHARGE-Syndrom. Es bedarf jedoch weiterer forschungsbasierter Daten, um Eltern und Kindern mit CHARGE-Syndrom ein pädagogisches Follow-up im Rahmen frühpädagogischer Angebote geben zu können.

Abstract

Background: The increasing possibilities of medical care effects rare syndromes as reasons for severe disabilities. One of these rare syndromes is CHARGE Syndrome with a prevalence of 1:12 000. In Germany there is no research referring this syndrome. In the following, selected results of a twelve months long single case study referring dialogical development between a father and his 2.5 years old son with CHARGE Syndrome are presented. The focus is especially on the development of spoken and sign language within the dialogue between the two partners.

Methods: Particular emphasis will be placed on prelingual and lingual elements of the dialogue between father and son with CHARGE Syndrome. The data is evaluated over a period of 1 year in the natural setting and gets computerised analysed.

Results: The analysis of the data shows, that the use of gestures, signs and spoken language by the child is linked to each other and that the child prioritises spoken language and gestures in contrast to sign language. Mainly the results demonstrate that the fathers attitude towards his son and here especially the dialogue as real partners, where the son is taken seriously and where the father pursues the child`s interests, is an indicator for a successful dialogue.

Conclusion: The study contains first important hints referring development and meaning of prelingual and lingual elements in the dialogue between a father and his son with CHARGE Syndrome. Still, more research is needed in order to provide parents and their children with CHARGE Syndrome a pedagogical follow-up in the context of early education.

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1 Frühe Dialoge beschreiben die Entwicklung des Prozesses von Angebot und Antwortverhalten zwischen Kind und Erwachsenem in den ersten Lebensjahren. Form und Inhalt Früher Dialoge sind so geschaffen, dass auch frühe Bildungsprozesse hier verortet werden können, welche auf lange Sicht hin die Grundlage bilden, in der Gesellschaft selbst bestimmt, sich selbst und anderen gegenüber verantwortlich und zugleich Sinn erfüllt leben zu können. Basale dialogische Fähigkeiten, die diese Kompetenzen sichern, wie bspw. eine partnerschaftliche Sichtweise, einander zuhören, miteinander verhandeln usw. werden in den Frühen Dialogen zwischen Kind und Eltern erworben und weiter entwickelt.

2 t30 bedeutet Testzeitpunkt 30, d. h. zum Zeitpunkt des Tests – in diesem Fall der Videoaufnahme – war das Kind 30 Lebensmonate alt.

3 Unter Gesten werden erlernte zeichenhafte Bewegung bestimmter Körperteile, so genannte lexikalisierte Gesten bzw. Zeigegesten (Deixis) bzw. ikonische Gesten über die nonverbale Kommunikation stattfindet (z. B. Nicken, Kopfschütteln, Zwinkern, Achselzucken, Nachahmung einer Handlung) gefasst. Bei den Gebärden ist handlungsleitend, inwiefern eine Bewegung des Kindes u. a. im Ausführungsort, in der Ausführungsweise, in der Mimik, dem Mundbild und in der Körperhaltung einer Gebärde ähnelt und damit eine Vorstufe zur Gebärde darstellt (Protogebärde), die neben der Produktion einer Gebärde (Kriterien s. o.) unter dem Sammelbegriff Gebärde erfasst wird.

4 Der Name wurde von den Autoren geändert.

5 Ratingskala: 1=nie, 2=vereinzelt, 3=selten, 4=mehrfach, 5=regelmäßig, 6=leicht unterdurchschnittlich, 7=leicht überdurchschnittlich, 8=überdurchschnittlich, 9=vermehrt, 10=eher häufig, 11=häufig, 12=sehr häufig, 13=immer.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. U. Horsch

Pädagogische Hochschule Heidelberg

Fakultät I – Sonderpädagogik

Pädagogik der Hörgeschädigten/Frühpädagogik

Zeppelinstraße 3

69121 Heidelberg

eMail: ursulahorsch@aol.com