Psychiatr Prax 2008; 35(6): 307-308
DOI: 10.1055/s-0028-1086194
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Leserbrief
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Mitteilungen des Arbeitskreises der Chefärzte und Chefärztinnen von Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäuser in Deutschland (ACKPA). Psychiat Prax 2008; 35: 205-209

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
30. September 2008 (online)

 

In der Psychiatrischen Praxis vom Mai 2008 hat die ACKPA ein "Positionspapier 2008" veröffentlicht, das sich "mit Perspektiven der Krankenhauspsychiatrie" befasst. Damit steht es auch für eine politische Dimension, denn es werden allgemeine Vorgaben für Psychiatrieplanung dargestellt und bewusst der Kontakt zur politischen Öffentlichkeit gesucht. Dies ist jedoch nicht unproblematisch, da die Vorstellungen über die zukünftige psychiatrische Landschaft in Deutschland bei weitem nicht einheitlich sind. Deshalb soll hier auf die wichtigsten Aspekte hingewiesen werden, die in den Fachgesellschaften kontrovers diskutiert werden.

Das ACKPA-Positionspapier fordert eine psychiatrische Versorgung, die für alle Patienten ohne Ausnahmen und ohne weitere Differenzierung den Prinzipien der wohnortnahen Versorgung und der Durchmischung der Stationen mit verschiedenen Krankheitsbildern folgt.

Zweifellos kann eine wohnortnahe Versorgung für einige schwer und chronisch kranke Patienten hilfreich sein. Für diejenigen, die eine begleitende körperliche Erkrankung haben, mag die räumliche Nähe zu einem somatischen Krankenhaus Vorteile bieten. Aber: Zeigt nicht die Entwicklung der letzten Jahre, dass gerade kleine gemeindenahe Krankenhäuser schließen müssen, weil die Patienten das entfernte Fach- oder Großkrankenhaus vorziehen? Bleiben nicht immer mehr Krankenhäuser nur noch auf wenige Abteilungen beschränkt, nicht selten zuletzt auf Psychiatrie und Geriatrie, während die Zentren der Maximalversorgung sich immer mehr differenzieren und immer weiter entfernt liegen? Konsiliarfragen sind angesichts der allgemeinen Mobilität sehr gut lösbar, zudem haben manche Krankenhäuser der Maximalversorgung mehrere Betriebsstätten, sodass Wege für die Patienten selbst innerhalb eines Krankenhauses nicht zu vermeiden sind. Diese Entwicklung mag vielleicht nicht für alle gut sein, aber die Mehrzahl der Patienten hat sich so entschieden, aus gutem Grund. Nur in der Psychiatrie soll alles anders sein?

Patienten wünschen eine Behandlung ihrer Erkrankung nach hohem wissenschaftlichen Standard. Dies ist jedoch auf gemischten Stationen nicht leistbar, weil die modernen und evaluierten Therapien mittlerweile so hoch differenziert sind, dass nicht ein Team für alle Formen gleichermaßen kompetent sein kann. In der Somatik gibt es die Mindestmengenregel, in der Psychiatrie soll jeder alles können? Die Entwicklung zeigt eindeutig in eine andere Richtung: Für bestimmte Patientengruppen hat sich eine Spezialisierung eindeutig bewährt, z.B. für Drogenabhängige, für schwer Demente, für geistig Behinderte und für Borderline-Patienten, eingeschränkt auch für Patienten der Diagnosegruppen F4-F6, zunehmend auch für Depressive. Die Patienten benötigen nicht nur die Beziehung, die als Basisvariable selbstverständlich sein sollte, sie haben auch ein Recht auf das Fachwissen eines theoretisch und praktisch geschulten Teams und eine ihrem Störungsbild angemessene Stationsatmosphäre - beides ist bekanntlich auf einer Depressionsstation anders als für Patienten einer Borderline-Gruppe. Dabei geht es beim Thema Spezialisierung versus Durchmischung gar nicht einmal um eine Kontroverse zwischen Fachkrankenhäusern und Abteilungspsychiatrie, sondern um ein übergreifendes Thema; denn es gibt sowohl Abteilungen mit spezialisierten Bereichen und Spezialstationen als auch Fachkrankenhäuser, die ein Durchmischungsprinzip vertreten.

Die Psychosomatik ist ein Teil der Psychiatrie, in diesem Punkt sind sich Abteilungen und Fachkrankenhäuser zweifelsfrei einig, nicht jedoch hinsichtlich der Strategie, dies zu erhalten. Die ACKPA äußert hierzu, dass das Vorgehen der Fachkrankenhäuser, spezielle Abteilungen für Psychotherapie einzurichten, die Trennung von Psychiatrie und Psychosomatik zementiere. Ist denn in der ACKPA nicht bekannt, dass viele Patienten auch sehr weite Wege zu einer psychosomatisch-psychotherapeutischen Versorgung nicht scheuen, nur um eine spezialisierte Behandlung zu erhalten? Ist denn die Irritation von z.B. depressiven Patienten angesichts schwer psychotischer oder dementer Krankheitsbilder im selben oder im Nebenzimmer nicht nachvollziehbar? Haben sie nicht auch ein Recht auf ein Stationskonzept, das ihrer Erkrankung entspricht und sind die Fachkrankenhäuser rückständig, die sich der fachlichen Arbeit und den Bedürfnissen der Patienten verpflichtet fühlen? Nein, wir zementieren die Trennung, wenn wir den Patienten nicht in unseren Kliniken das Angebot machen, das sie wünschen und auch benötigen. Patienten (und einweisende Ärzte) werden eine spezifische Behandlung einfordern und an anderer Stelle erhalten. Indem wir ihnen in unseren Kliniken ein adäquates Behandlungsangebot unterbreiten, erleichtern wir den Zugang zur Psychiatrie und Psychotherapie, zugleich wird damit ein wesentlicher Beitrag zur Entstigmatisierung geleistet.

Weiterhin fordert die ACKPA den völligen Verzicht auf geschützte Stationen; dabei wird die Folge eines solchen Verzichtes nicht einmal im Ansatz diskutiert. Es geht doch nicht um die Frage, ob man überhaupt Patienten in ihrer Freiheit beeinträchtigen darf, dazu sind wir eindeutig vom Gesetzgeber verpflichtet. Es geht darum, ob man es vorzieht, Menschen in einem Zimmer einzusperren oder ihnen eine ganze Station einschließlich Garten zu bieten. Durch den Verzicht auf eine geschlossene Aufnahmestation könne man, so die ACKPA, Verlegungen vermeiden, was den therapeutischen Prozess unterstütze. Damit verkennt die ACKPA, dass die therapeutischen Anforderungen im Rahmen des Genesungsprozesses sehr unterschiedlich sind. Die geschützte Station ist sozusagen die Intensivstation des psychiatrischen Krankenhauses, die wichtigste Therapie dieser Station ist die Krisenintervention (z.B. die Überwindung einer suizidalen Krise), die längerfristige Therapie hat jedoch andere Ziele. So werden einige Patienten nach Überwindung der Krise auf eine offene Station verlegt, andere direkt von der geschützten Station entlassen (ähnlich wie in der inneren Medizin). Zudem werden in den Kliniken, die geschützte Stationen vorhalten, die meisten Patienten ohnehin auf offenen Stationen aufgenommen.

Dass sich die ACKPA gegen die stationäre Versorgung von forensischen Patienten in ihren Fachkrankenhäusern ausspricht, ist nachvollziehbar. Die in der Regel größeren Fachkrankenhäuser haben zumeist eher die räumlichen und fachlichen Voraussetzungen, um diese schwierige, jedoch auch wichtige Patientengruppe zu betreuen. Die Begründung, dass der Sicherungsbedarf der Abteilungen die Versorgung nicht zulasse, verwundert, denn die rechtlichen Voraussetzungen sind in beiden Versorgungstypen gleich. Die Behauptung jedoch, dass "die Integration von Maßregelvollzugseinrichtungen in räumlicher Nähe zu psychiatrisch-psychotherapeutischen Großkrankenhäusernzur Folge (hat), dass psychisch kranke Menschen in der Öffentlichkeit mit Straftätern identifiziert werden", ist geradezu zynisch. Nicht, indem wir sie ausgrenzen, haben die psychisch kranken Rechtsbrecher eine Chance zur Reintegration, sondern indem wir sie in unsere Kliniken integrieren und damit den ersten Schritt in die Gesellschaft begleiten. Die Erfahrungen einer Reihe von Fachkrankenhäusern, aber auch einiger Abteilungen zeigt, dass die Stigmaproblematik im psychiatrischen Alltag praktisch keine Rolle spielt. Verwunderlich ist zudem, dass sich die Abteilungen später die ambulante Betreuung der forensischen Patienten zutrauen - wo wollen sie denn ihr Fachwissen erwerben, das für die sehr schwierige ambulante Versorgung Voraussetzung ist?

Diese wenigen Beispiele zeigen, wie unterschiedlich die Anforderungen an eine sinnvolle psychiatrische Versorgung gesehen werden können, zwischen den Gruppen der Abteilungen und der Fachkrankenhäuser, aber auch innerhalb der Gruppen. Ohnehin verwischen sich die Grenzen zwischen Fachkrankenhäusern und Abteilungen zunehmend: Erstere werden immer kleiner, Abteilungen werden teilweise zu Fachkrankenhäusern, wenn somatische Bereiche geschlossen werden. Auf diesem Hintergrund ist es sehr bedauerlich, dass vonseiten der ACKPA ein Positionspapier veröffentlicht wird, welches fachlich fragwürdig ist und vor allem keine gemeinsamen Perspektiven bietet. Wenn Abteilungen und Fachkrankenhäuser wieder in ihren seit Jahren mit denselben Argumenten geführten Streit verfallen, kann niemand ernsthaft glauben, dass von ihnen irgendein Fortschritt zu erwarten ist. Die Psychosomatiker werden sich freuen nach dem Motto: Wenn zwei sich streiten...

Nein, verehrte Kollegen von der ACKPA, wir haben nicht die Zeit für Diskussionen von gestern, sondern gebrauchen dringend das fachliche Gespräch hinsichtlich gemeinsamer politischer Ziele!

Heinrich Schulze Mönking, Telgte

eMail: h.schulze.moenking@srh-telgte.de