Einleitung: Die Tuberkulose wurde in der Zeit des Nationalsozialismus als eine der größten gesundheitlichen Bedrohungen empfunden. Viele nationalsozialistische Gesundheitspolitiker drängten darauf, eine schnelle und kostengünstige medikamentöse Therapie oder eine Impfung zu entwickeln, jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Mit der Entwicklung der Röntgendiagnostik und deren Einsatz in Reihenuntersuchungen konnte die Erkrankung immer zuverlässiger festgestellt werden so dass die Zahl der Personen, bei denen die Erkrankung diagnostiziert wurde, wuchs. Größere Heilungschancen resultierten daraus jedoch nicht. Diese Diskrepanz zwischen Diagnostik und Therapie erzeugte einen enormen Druck auf die Erkrankten selbst. Material und Methoden: Die Situation der Tuberkulosekranken und ihre schrittweise Stigmatisierung lassen sich auf normativer Ebene gut nachvollziehen. Durch eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen ist die Ausgrenzung der Tuberkulosekranken lückenlos dokumentiert. Weitere gedruckte Quellen in Form der zeitgenössischen Forschungsliteratur sind ausgesprochen dicht und verhältnismäßig gut zugänglich, darunter die wichtigsten Fachzeitschriften und Handbücher. Ein zentraler Bestand archivalischer Quellen sind die Akten des Reichstuberkuloseausschusses, die sich im Bundesarchiv Berlin befinden. Eine gute Ergänzung bildet der Bestand des Reichsgesundheitsamtes. Ergebnisse/Diskussion/Schlussfolgerungen: Im Nationalsozialismus setzte eine beispiellose Stigmatisierung und Verfolgung eines Teils der Tuberkulosekranken als „Asoziale“ und „Gemeinschaftsfremde“ ein. Diese umfasste die gesamte Bandbreite gesundheitspolitischer Zwangsmaßnahmen von Eheverbot, Zwangssterilisierung, Zwangsasylierung bis hin zum Krankenmord. Eine der wichtigsten Änderungen der Tuberkulosebekämpfung im Nationalsozialismus war die Zuordnung der Fürsorgestellen zu den staatlichen Gesundheitsämtern. Die von den dort tätigen Amtsärzten umgesetzen Maßnahmen einer negativen Eugenik bezogen häufig tuberkulosekranke Menschen ein. Wichtig für die Weichenstellung war die Klärung der Frage nach einer Erblichkeit der Tuberkulose. Ausgrenzung und Verfolgung betrafen vor allem die Kranken, die sich den unsicheren und langwierigen Therapien, die häufig große Risiken bargen, verweigerten, sich unangepaßt verhielten bzw. von der Norm abweichende Lebensentwürfe hatten. Zu beachten ist dabei ausserdem, dass erst nach Kriegsbeginn die Möglichkeiten der finanziellen Absicherung von Heilstättenbehandlung und Familienunterhalt entscheidend verbessert wurden.
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