Zentralbl Chir 2008; 133(6): 611-613
DOI: 10.1055/s-0028-1098736
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Die Tumorstammzelle und die Karzinogenese

The Tumor Stem Cell and the CarcinogenesisF. Stelzner1
  • 1Nach einem Vortrag, Bochum, Viszeralchirurgischer Kongress, 13. September 2007
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Publication Date:
17 December 2008 (online)

In unserer Mitteilung zur Zellvermehrungsselbstkontrolle (ZVK) haben wir ausführlich die sich wandelnden genomischen Ähnlichkeiten disseminierter Tumorzellen erörtert [12].

Die Mutationstheorie K. H. Bauers [1] eröffnete einen fruchtbaren Denkweg, klonale Evolution (1976), Tumorstammzelle (2002) [12]. Der Mutationsgedanke konnte aber erst jetzt durch die Möglichkeit, an Chromosomen zu arbeiten (2001 / 2002), realisiert werden [12].

Die UICC-TNM-Tumor-Klassifikation ist Standard [2] [7]. Ihre Genauigkeit ist vor allem heute, wo mit der operativen Chirurgie adjuvante und neoadjuvante Konzepte sich bewährt haben, unverzichtbar.

Die seit langem bekannte und mit sehr großen Zahlen vor allem einer Forschungsgruppe (St. Marks) verbundene Klassifikation Dukes A, B, C (Staging) scheint uns für die hier erörterten Grundsatzfragen wegen ihrer Einfachheit geeigneter. Sie widerspricht der Standardklassifikation (UICC-TNM) nicht [2] [3] [7] ([Abb. 1]).

Abb. 1 Mit dem unterschiedlichen Erscheinungsbild (Querschnitt) eines Rektumkarzinoms am OP-Präparat kreiert Dukes [2] ein Staging – A, B, C, in dem aber unterschiedlich häufige Gradings versteckt sind. Dukes-A-, B-, C-Gruppen haben – operiert – eine unterschiedliche Prognose. Das Erscheinungsbild hängt vom Entdeckungszeitpunkt ab? Gradings sind stabil.

Aus der Gegenüberstellung der beiden Einteilungen kann die Übereinstimmung leicht überprüft werden (Seite 59 in [7]).

Jede von abdominal das Rektum mobilisierende Operationstechnik kann die angestrebte blutsparende Entfernung des Mesorektums gar nicht verfehlen (Obduzentengriff). Sie dringt dazu schon seit Miles 1908 [7] [14] hinter der dorsalen Grenzlamelle zum Beckenboden vor [13] [14] [15] ([Abb. 2]).

Abb. 2 a–ca Schema der Denonvilliers-Faszie, der Grenzlamellen und der Beckenfaszie. Die Beckenorgane sind herausgenommen. Blick in das kleine Becken. 1. Fascia diaphragmatica pelvis superior, 2. hintere Grenzlamelle, 3. vordere Grenzlamelle des Urogenitalsystems, 4. vordere Rektumgrenzlamelle. Sie besteht aus vier Lagen (4–7) (Denonvilliers-Faszie). Das Mesorektum, seitlich faszienlos ist als Homing-Areal krebsarretierend [12].
Bei der Frau sind nach Tobin ähnliche Strukturen zwischen der Scheidenhinterwand und der Mastdarmvorderwand angelegt [13] [14].
b MR 4 mm [6]. Querschnitt durch das Becken (3 Tesla, T4-gewichtet).
KW am 17.9.1949 geboren, MR, 6.9.2005 [6]. Rektumkarzinom, durch die Darmhinterwand bis ins hier sehr mächtige Mesorektum ausbrechend (T3). Zwischen Urogenitalsystem und Rektumvorderwand die vordere Grenz-lamelle (Denonvilliers-Faszie) (4). Die hintere Grenzlamelle (2) umhüllt den dorsalen Teil des hier sehr starken mesorektalen Fettkörpers. Sie schlägt sich zur inneren Beckenfaszie (1) seitlich um. So bildet sich das „spatium retrorektale“. Hier beginnt die extrafasziale Rektummobilisation von abdominal. Seitlich, rechts und links grenzt der perirektale Fettkörper an die Levatormuskulatur, die von der innere Beckenfaszie (1) bedeckt wird. Hier gibt es keine Hüllfaszien wie 2 und 4 in [Abb. 2 a].
c Längsschnitt-MR, K. W. stenosierendes Rektumkarzinom [6]. Vor dem Kreuzbein verläuft die dorsale Grenzlamelle (2). Sie endet am Beginn des kloakogenen Segmentes (siehe auch a). Das kloakogene Segment ist Mesolos. Es hat keine Lymphknoten. Alle seine Gefäße verlaufen intramural [16].

Die 5-Jahres-Lokalrezidivrate nimmt trotz TME mit steigendem Malignitätsgrad des Tumorkomplexes zu (u. a. Hohenberger I–III von 3 auf 9–14 %. [2] [16]. Damit ist der Operationstechnik allein eine Grenze gesetzt und sehr niedrige Lokalrezidivzahlen sind ein Auswahleffekt, auf den Nicholls schon 1988 hingewiesen hat [10].

Der Tumorkomplexmalignitätsgrad ist eine Summe seines Gradings und Stagings [3] [5].

1. Die Grundlage der Malignombeurteilung, hier im Rektum, ist die Tumorreife, das Grading. Dukes hat zuerst 4 Grade und gesondert das Kolloidkarzinom vorgeschlagen. Später hat Dukes 3 Reifegrade (Zellbilder) verwendet: Low-Grade, Average-G. und High-G. [3] [5]. In seinen Stagings (Erscheinungsbilder) stecken die Gradings (Zellbilder) ([Abb. 1]).

In der Praxis wird bei ungleicher Gradingverteilung der höchste Grad für die Gesamtwertung genommen.

Diese Gruppen treten in statistisch signifikant unterschiedlicher und in sich unveränderlicher Häufigkeit auf. Sie haben eine unterschiedliche Prognose. In jeder Gruppe gibt es chirurgische „Heilungen“ [5] [12] ([Abb. 1]).

Die Wahrscheinlichkeitsverteilung dieser unterschiedlich aggressiven stabilen Tumorarten verteilt sich nach der Galton'schen (1822–1911) Regel: „Bestimmte erbliche Eigenschaften schwanken um einen Mittelwert“ ([Abb. 3]).

Abb. 3 Bei der Vererbung kontinuierlich variabler Merkmale ergibt sich eine Wahrscheinlichkeitsverteilung nach der Galton (1822–1911) Regel: „Bestimmte erbliche Eigenschaften schwanken stetig um einen Mittelwert!“ Diese Malignitätsvariabilität kann nur über Mutationen in der Stammzelle ablaufen. Damit ist auch beim Rektumkarzinom die Karzinogenese als mikroevolutionärer Prozess erwiesen. Auch sie ist mit einer multifaktoriellen genetischen Variabilität verbunden.

Bei der Vererbung kontinuierlich variabler Merkmale ergibt sich eine eingipfelige Verteilungskurve (Gauss'sche Glockenkurve). Sie ist eine Folge des Zusammenspiels vieler Gene, wie man das auch experimentell zeigen kann.

In der von Frank [4] 1999 veröffentlichten Untersuchung ist das Malignitätsgrading bei Chorionkarzinom-Trophoblast-Hybriden [4, Fig. 1] durchaus auf den Menschen übertragbar.

Genau so verhalten sich die Gradings (Zellbilder) der Rektummalignome. Sie müssen über Mutationen (erbliche Neuschöpfungen) der Stammzelle entstanden sein. Dieser Prozess gleicht einer Evolution. Mit anderen Worten, die Grade gehen nicht auseinander hervor! Sie existieren stabil nebeneinander [12]. Die gleichen Häufigkeitsverteilungen der Malignitätsgrade finden sich z. B. auch beim Ösophagus- und beim Magenkrebs in einer Galtonkurve.


2. Diese mikroskopische Klassifikation wurde für die Praxis mit dem makroskopischen Erscheinungsbild des Malignoms in Verbindung gebracht. Man spricht von Staging, das ist Stadium, Stufe, Phase. Das Wort kann missdeutet werden, denn die Stages gehen ebenso wenig wie die Grade auseinander hervor, obwohl sie klinisch miteinander zusammenhängen.

Stages sind nebeneinander stehende Malignomerscheinungsbilder, in denen die Gradings in unterschiedlicher Häufigkeit in jedem Tumor unvermischt vorkommen ([Abb. 1]). Aus kleinen Menschen werden keine großen [12].

Den Beweis dafür sehen wir in der überraschenden Tatsache, dass bei der Krebsentstehung mit weniger als 3-monatlicher Symptomdauer und mit einer über 12-monatlichen die Häufigkeit der Stufen (Stages) gleich bleibt [9]. Aus gutartigeren Komplexen werden keine bösartigeren mit der Zeit. Die Prognose ist festgelegt ([Abb. 1]).

Auch wir sehen die Bedeutung des Stagings für das Lokalrezidiv gegeben, allerdings werden ein niederes Grading, ein hohes Staging in der Praxis sehr viel seltener erreicht (Dukes). Die Prognose ist bei Dukes A, bei den 3,9 % High-Grade trotz kurzer Anamnese schlechter und bei Dukes C mit 10,6 % Low-Grade trotz langer Anamnese besser.

Mit anderen Worten in allen Stages (Dukes A, B, C) streuen alle High-Grades früher und alle Low-Grades später oder gar nicht. Nur – in A bzw. C sind sie in der Minderzahl. Deshalb ist die Gesamtprognose Dukes A gut und Dukes C schlecht ([Abb. 1]).


3. Das unterschiedliche biologische Verhalten liegt für den Einzelfall im mikroevolutionären Bereich fest. Damit ist, bis heute unsichtbar, auch die Prognose.

Was wir sehen bzw. sehen können ist längst entschieden. Die Entscheidung fällt in einem unanschaulichen Bereich, dem molekularen. Sie ist aber dort berechenbar ([Abb. 3]).

Diese, nicht einfach überschaubare Mengenangabenverteilung verhält sich wie alle Prozesse einer multifaktoriellen genetischen Variabilität stabiler Arten mit variablem Erscheinungsbild.

Damit halten wir die mikroevolutionäre Karzinogenese, in diesem Fall für das Rektumkarzinom, für erwiesen.

Unsere Schlussfolgerung: Qualitätsindikatoren können mit PET / CT und neuem MR besser gefunden werden als am Operationspräparat [17]. Das ist durch die nicht vermeidbare operative Zerstörung der Topografie des fasziösen Skeletts bewiesen [13]. Die neuen MR-Bilder in [Abb. 2 B, C] sind die besseren Qualitätsindikatoren [6]. Im Querschnitt (B) sieht man einen T3-Tumor, der die dorsale Grenzlamelle in diesem besonders mächtigen Mesorektum noch nicht erreicht hat und in C kann man den gleichen T3-Tumor beim gleichen Patienten oberhalb des mesolosen kloakogenen Rektumsegmentes [16] entwickelt sehen. Am Operationspräparat wird eine in vivo und in situ nie existierende Anatomie vorausgesetzt (Mesorektum bis zum Beckenboden und Rundumfaszie). Am Operationspräparat ist die Tumor- und Lymphknotenbeurteilung selbstverständlich, seit 1908 bis heute möglich und bleibend wichtig.

Literatur

  • 1 Bauer K H. Mutationstheorie der Geschwulst-Entstehung. Übergang von Körperzellen in Geschwulst-Zellen durch Gen-Änderung. Berlin: Springer; 1928
  • 2 Bittner R, Burghardt J, Gross E et al. Qualitätsindikatoren bei Diagnostik und Therapie des Rektumkarzinoms.  Zentralbl Chir. 2007;  132 85-94
  • 3 Dukes C E. The pathology of rectal cancer.  Neoplastic Dis. 1966;  3 59-68
  • 4 Frank H G, Funayama H, Gaus G et al. Choriocarcinoma-trophoblast hybrid cells: Reconstructing the pathway from normal to malignant trophoblast – Concept and perspectives: A review.  Trophoblast Research. 1999;  13 11-24
  • 5 Gabriel W B. The principles and practice of rectal surgery. 5th Edition. London: K. Lewis & Co. Ltd.; 1963
  • 6 Jaeger V E, Morakkabati-Spitz N, Willinck W A. Preoperative local staging of rectal cancer.  Eur Radiol. 2007;  17 Suppl. 1 306
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  • 10 Nicholls R J, Lubowski D Z. Treatment of neoplasia in the distal 8 cm of rectum. In: Decosse and Todd, Hrsg. Anorectal surgery etc. London: Churchill-Livingston 1998; 193–208
  • 11 Stelzner F, Friedrichs N. Das Lymphgefäßsystem (LGS I und II) aus chirurgischer Sicht.  Chirurg. 2005;  76 493-500
  • 12 Stelzner F. Zellvermehrungsselbstkontrolle in der Kolorektalregion. Homingareale bei Rektocolonkrebsen.  Chirurg. 2006;  77 1048-1055 1056-1060
  • 13 Stelzner F. Embryologie Anatomie des Kontinenzorgans. In: Lange J, Mölle B, Girona J, Hrsg. Chirurg. Proktologie. Heidelberg: Springer; 2006: 13-61
  • 14 Stelzner F. Die Chirurgie an den visceralen Abschlusssystemen. Stuttgart: Thieme; 1998
  • 15 Stelzner F, Ruhlmann J. PET-Untersuchungen des rückfälligen Rektumkarzinoms.  Chirurg. 2001;  72 537-546 818-821
  • 16 Stelzner F, Biersack H, von Melek D. Unteres kloakogenes Rektumviertel.  Chirurg. 2006;  77 273-280
  • 17 Davey R, Heriot A G, Mackay J. The impact of 18-Fluodeoxyglucose positronemission tomography – computed tomography on the staging and management of primary rectal cancer.  Dis Colon Rectum. 2008;  51 997-1003

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. F. Stelzner

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