Thorac Cardiovasc Surg 1960; 8(1): 47-65
DOI: 10.1055/s-0028-1101280
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Unfallmechanismus und Unfallmechanik der Aortenruptur im geschlossenen Thoraxtrauma

Max A. Zehnder
  • Hartford-Hospital, Hartford, Conn. USA und Zürich
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Publication Date:
12 December 2008 (online)

Zusammenfassung

1. Die traumatische Aortenruptur im Verkehrsunfall wird in Zukunft mit zunehmender motorisierter Verkehrsdichte vermehrte medizinische Bedeutung erlangen. Aus einer Zusammenstellung eigener Fälle, ergänzt durch eine Literaturübersicht, fanden sich 45 Verkehrsunfälle unter 49 traumatischen Aortenrupturen.

2. Zum besseren Verständnis und als Unterlage einer klinisch schwierigen Diagnostik ist eine Klärung der zur Ruptur führenden mechanisch physikalischen Vorgänge unumgänglich notwendig, angesichts der sich oft widersprechenden Auffassungen über das traumatische Geschehen innerhalb der sechs anscheinend verschiedenen Gruppen von Unfallmechanismen, die in schematischen Skizzen dargestellt werden.

3. Aus den aus Zerreißproben gewonnenen Daten über Zerreißfestigkeit und Elastizität des anatomischen Substrates wurden nach physikalischen Grundsätzen in errechneter Schätzung die Toleranzgrenzen gegenüber den äußeren Gewalteinflüssen ermittelt. Als Grundlage diente eine Zerreißtoleranz von durchschnittlich 8,8 kg für den Gefäßquerschnitt am absteigenden Aortenbogen. Bezogen auf die Gewichtsmasse des Herzens und der Aorta, die in einem Decelerations Vorgang für die Zugwirkung in Betracht fallen, wird die nötige Kraft auf 77 g eingeschätzt. Aus diesen Werten wurden die kritischen Daten für die verschiedenen Unfallmechanismen errechnet und mit den oft widersprechenden Angaben der Literatur verglichen. Als kritischer Wert ergibt sich für den Verkehrsunfall (horizontale Deceleration) bei einem Bremsweg von 50 cm eine Geschwindigkeit von 300 km pro Stunde, die in Verkehrsunfällen der Straße kaum in Betracht kommen dürfte. Beim Sturz aus der Höhe (vertikale Deceleration) bei einem Bremsweg von 50 cm und darunter ergibt sich eine kritische Höhe von 15 bis 10 Metern für eine reine vertikale Decelerationswirkung und beim Sturz auf den flachen Rücken wegen des kurzen Bremsweges von 10 cm und darunter schon kritische Werte zwischen 5 und 2 Metern.

3. Wichtig erscheint, daß der Straßenkollisionsunfall für den Autofahrer im Gegensatz zu früheren Auffassungen nicht so sehr als reiner Decelerationsunfall, sondern als Thoraxkontusion mit Decelerationsbeteiligung aufgefaßt werden muß. Die von J. P. Stapp im Selbstversuch ertragene Deceleration von 45,4 g widerlegt alle früheren Berechnungen. — Für den Fußgänger hingegen, der im Verkehrsunfall angefahren wird, ist der Decelerationsvorgang im Sturz auf den flachen Rücken infolge des sehr kurzen Bremsweges von wesentlichem Einfluß für die Gefäßruptur, die auch ohne Brustwandfraktur auftritt. Anderseits kann beim direkten Auftreffen von Fahrzeugteilen auf den Brustkorb ein direkter Kompressionsmechanismus ausgelöst werden.

4. Der allen Unfallmechanismen gemeinsame physikalische Vorgang der äußeren Gewaltübertragung auf die Aorta besteht nach Auffassung des Autors in der Hyperflexion des Aortenbogens. Durch die Überbiegung über dem Fulcrum der linksseitigen Hilusstrukturen kommt es zu einer Biegungszerreißung an der Gefäßkonvexität über dem inkompressiblen flüssigen Gefäßinhalt. Dieser Vorgang kann sowohl für die direkte Thoraxkontusion als auch für den indirekt wirkenden reinen Decelerationsvorgang konstruiert werden.

5. Mit dem Verständnis der zur Aortenruptur führenden mechanischen Vorgänge muß die Kenntnis der Symptomatologie und besonders der charakteristischen Röntgenbefunde einhergehen. So wird es in Zukunft gelingen, in den meist verkannten Frührupturen und den oft übersehenen traumatischen falschen Spätaneurysmen die technischen Mittel anzuwenden, die die heutige Gefäßchirurgie zur Verfügung hält in Naht, Resektion und künstlichem Gefäßersatz. Es sollte möglich werden, den oft tragischen Ausgang traumatischer Rupturen rechtzeitig zu verhindern.