Der Klinikarzt 2008; 37(11): 507
DOI: 10.1055/s-0028-1104751
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Prävention und Krankheitsbehandlung: Ein gesundheitspolitisches Dilemma

Adolf Grünert
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Publikationsdatum:
19. November 2008 (online)

Zurzeit findet mal wieder das Feilschen um die Bemessung und Verteilung finanzieller Ressourcen zur Ausstattung des Gesundheitsfonds statt. Dieser soll zunächst die im Gesundheitswesen vermuteten Gesamtbelastungen an Kosten für zu erbringende ärztliche und medizinische Leistungen abdecken. Man hört jedoch kein Wort zu der Art und dem Erfordernis der zu finanzierenden Leistungen und deren kostenbasierter Berechnung. Ganz zu schweigen etwa von dringend notwendigen Diskussionen und einer Bewertung der angenommenen und den Schätzungen der zugrunde zu legenden Gesundheitsleistungen.

Zur medizinischen Absicherung der Gesundheit müssen sich die ärztlichen Leistungen zunehmend auf Prävention und Lebensstilfragen konzentrieren. Denn zweifellos kann die Vermeidung einer Krankheit weitaus leichter finanziert werden als die Krankheit selbst. So einfach dieser Zusammenhang auch erscheinen mag liegt darin doch der Kern des Problems: Nicht nur unser kausal bestimmtes medizinisches Verständnis von Krankheit, sondern auch der gesamte Ausbildungskanon ist auf die Vermittlung eines Medizinverständnisses der mit exakten Methoden analysierten und präzisierten Krankheiten ausgelegt. Hierbei wird der Prävention nur wenig Raum zugestanden.

Eine große Ausnahme sind die Infektionskrankheiten. Hier gibt es 3 große Felder der Prävention: den primären, den sekundären und den tertiären Sektor. Die klassische Medizin als die Kunst der Krankheitserkennung und –behandlung ist naturgemäß kaum in der primären und sekundären Prävention tätig. Im Rahmen der primären Prävention bemüht man sich vor allem um die Ursachenermittlung für potenzielle Störungen – nicht nur im medizinischen Bereich –, während sich die sekundäre Prävention um die Zusammenhänge und Auswirkungen der Ursachenfaktoren bei der Entstehung von Störungen kümmert.

Hoffnung machen in dieser Entwicklung die von der Forschungsförderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) formulierten Ziele: Im Sektor der Prävention und Gesundheitsförderung soll eine eigenständige 4. Säule des Gesundheitswesens verankert und gesundheitsrelevante Bereiche mit rund 20 Millionen Euro gefördert werden. Dies wird in Zukunft das Tätigkeitsprofil der Ärzte sowohl in der Ausbildung als auch in der täglichen Arbeit mit allen fachlichen und finanziellen Konsequenzen bestimmen und verändern. Noch ist die Situation aber so, dass wir zwar akute Gesundheitsstörungen häufig effektiv behandeln können, nachhaltige Erfolge im Bereich der durch die veränderten Lebensgewohnheiten mit nahezu lückenloser Überversorgung in den Industriestaaten zunehmenden chronischen Krankheiten wie Diabetes, Herz–Kreislauf–Störungen sowie physischen und psychischen Degenerationen lassen aber auf sich warten.

Vor diesem Hintergrund ist es plausibel und begrüßenswert, in den Forschungsschwerpunkten des BMBF mit den geförderten Forschungs– und Behandlungszentren sowie den Kompetenznetzen in der Medizin geeignete Instrumente aufzubauen. Diese Gesundheitsforschung, die weit über den klassischen Bereich ärztlicher Tätigkeit hinausgeht, wird zwischen 2006 und 2010 mit rund 800 Millionen Euro vom BMBF gefördert. Dies lässt hoffen, auch im Bereich der chronischen Erkrankungen präzisere Erkenntnisse der Krankheitsursachen, der Prävention und Vorsorge zu ermöglichen sowie den schnelleren Transfer von Forschungsergebnissen in die Behandlung betroffener Menschen und die Erstellung eines leistungsfähigen und effizienten Gesundheitswesens gewährleisten zu können.

Prof. Dr. mult. Adolf Grünert

Ulm