Der Klinikarzt 2008; 37(11): 517
DOI: 10.1055/s-0028-1104752
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Garantiert schmerzfrei?

Winfried Hardinghaus
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Publication Date:
19 November 2008 (online)

Garantiert dämpfen Endorphine rasch den akuten Schmerzreiz. Ist der aber sehr stark und anhaltend, gerät das System in ein neuronales Dauerfeuer und aus den Fugen. Selbst schwache Reize oder Berührungen führen dann zu großen Schmerzen. Bleiben diese oder kommen sie ständig wieder, ist es vorbei mit ihrer Warn– oder Schutzfunktion, das Schmerzgedächtnis wird selbstständig und aus dem akuten ein chronifizierter Schmerz. Neuroplastie heißt das Schlagwort.

Wenn die Behandlung eines auslösenden somatischen oder psychosomatischen Faktors allein nicht ausreicht oder abgeschlossen ist, erlangen chronische Schmerzen einen eigenständigen Krankheitswert. Auf „Praxisdeutsch”: Anziehen, Waschen, Bücken, Sitzen oder Stehen werden zur Tortur, der Teufelskreis aus Depression, Erschöpfung, Schlaf– und Appetitlosigkeit nimmt seinen Lauf. Die Folgen sind soziale Isolation, Berufs– oder Erwerbsunfähigkeit und auf die Gesamtheit der Patienten gesehen Folgekosten in Milliardenhöhe.

Millionen Deutsche leiden derzeit – oft unnötig – unter chronischen Schmerzen, darunter sicher die Hälfte aller Krankenhauspatienten. Mindestens 10  % unserer Patienten kann nicht mit Analgetika allein geholfen werden, wobei vor allem Kopf– und Rückenschmerzgeplagte ständig zur verordneten Tablette greifen. Auch in der Klinik kann das zur Verzweiflung führen: Die Zeit, bis ein Schmerzpatient auf Nachfrage eine wirksame Tablette erhält, dauert garantiert eine halbe Stunde. Mancher bereits so Frustrierte meldet sich erst gar nicht. Andere wiederum wollen nachts die sowieso schon überlasteten Schwestern schonen und glauben dazu noch, dass Schmerzen „normal” sind (Untersuchungsergebnisse der Initiative „Schmerzfreies Krankenhaus”).

Voraussetzung für die Gewährleistung einer dauerhaften Schmerzlinderung ist also einmal mehr eine vertrauensvolle interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Pflegenden und anderen Berufsgruppen. Deshalb hat der klinikarzt neben die ärztliche Kunst der medikamentösen Schmerztherapie (Nauck und Eulitz) 2 Beiträge zur Rolle der Pflege (Nestler) bzw. Physiotherapie (Nieland) gesetzt. Symptomkontrolle gilt für alle Beteiligten gleichermaßen (Osterbrink und Haas). Und dass die Schmerztherapie bisweilen ungewohnte Pfade beschreitet, um im Einzelfall weiterzukommen, zeigt sehr schön die Darstellung der Spiegeltherapie von Schwarzer, Glaudo und Maier.

Durch multimodale Behandlungskonzepte können Schmerzen heute auf ein erträgliches Maß reduziert oder als Krankheit sogar geheilt werden. Kutzer konstatierte in einem jüngsten Beitrag in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift (Dtsch Med Wochenschr 2008; 133: 317–320) sogar das Patientenrecht auf Schmerzfreiheit, welches vom Arzt zu garantieren ist, „wenn er sich nicht wegen Verletzung des Arztvertrages schadensersatzpflichtig oder wegen Körperverletzung durch Unterlassen strafbar machen will.” – Noch Fragen?

Prof. Dr. Winfried Hardinghaus

Osnabrück (Gasteditor)