ergoscience 2009; 4(2): 76-77
DOI: 10.1055/s-0028-1109368
Diskurs

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

From an apolitical to a political practice of Occupational Therapy

Von einer unpolitischen zu einer politischen Berufspraxis der ErgotherapieF. Kronenberg1
  • 1University of the Western Cape, Kapstadt (SA)
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Publication Date:
23 April 2009 (online)

„Bama, Bama”, ruft sie aufgeregt, und zeigt mit ihren kleinen Fingern auf den Fernseh-Bildschirm. Sie, das ist Masana, unsere zweieinhalb Jahre alte Tochter im Moment der Live-Übertragung der Amtseinführung von Barack Obama als vierundvierzigster Präsident der Vereinigten Staaten. Ein Grund dafür, dass dieser historische Meilenstein erreicht werden konnte, ist darin zu sehen, dass Millionen von Amerikanern (vor allem viele junge Menschen zwischen 18 und 30) politisch aktiv wurden. Es ist weithin anerkannt, dass dies ein wesentlicher Pfeiler von Obamas siegreicher Kampagne war. Ich persönlich glaube, dass dieses Beispiel auch Hinweise dafür liefert, wie man im Diskurs der Ergotherapie das erwachende Interesse an der Politik und am politischen Engagement fördern kann.

Das Buch „A political practice of occupational therapy” („Ein politisch verstandenes Praktizieren der Ergotherapie”) lädt die Leser ein, sich mit einem eher komplexen und weitestgehend unerforschten Thema innerhalb der Ergotherapie auseinanderzusetzen. Die Publikation ist jedoch „relevant und zeitgemäß”, wie Mieke le Granse in ihrer Rezension in dieser Ausgabe von ergoscience betont (s. S. 85). Zusammenfassend gesagt: Im genannten Buch stehen Politik und politisches Engagement für die Power und die Fähigkeit der Menschen, ihre Zukunft aktiv zu gestalten. Ergotherapie basiert auf der Voraussetzung, dass Partizipation in Form würdiger, bedeutungsvoller Handlungen des täglichen Lebens so grundlegend für die Gesundheit, das Wohlgefühl und die Lebensqualität der Menschen ist wie Essen, Trinken, Dazugehören und Lieben [1]. Allerdings: Wer und was entscheidet, welche und wessen Handlungen würdig und bedeutend sind? Auch was die Ergotherapie ist und was sie nicht ist, ist nicht nur kulturell definiert, sondern sehr häufig Sache politischer Verhandlungen [3]. Die Grundsatzerklärungen der World Federation of Occupational Therapists (WFOT) zur Community Based Rehabilitation (2004) und zu den Menschenrechten (2006) heben hervor, dass die Entwicklung der Fähigkeit und der Power, sein Schicksal zu beeinflussen, ein menschliches Grundbedürfnis ist und deshalb ein Menschenrecht aller, Menschen mit Behinderungen eingeschlossen [9] [10]. Angesichts der Tatsache, dass der WFOT damit zum ersten Mal in seiner über fünfzigjährigen Geschichte in einem weltweiten, von Experten geprüften Verfahren eine offizielle Position von so globaler Relevanz formulierte und statuierte, die über das hinausgeht, was viele als ihre traditionellen beruflichen Belange ansehen, können diese Dokumente wahrlich als epochal angesehen werden.

Handlungsperspektiven und Werte wie soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Bedeutung sind das Herzstück dessen, was wir sind, von wo wir kommen und wofür wir stehen [6]. Doch sollten wir diese Begriffe in sinnvolle Beiträge als Antwort der Gesellschaft auf die Herausforderungen unseres „globalen Dorfes” übersetzen, dann können wir die Ergotherapie nicht mehr als eine „unpolitische” Tätigkeit ansehen (im Sinne von: „kein Interesse an Politik haben” oder „keine politische Relevanz oder Funktion innehaben”). Stattdessen müssen wir uns eine „politische Berufspraxis der Ergotherapie” zu eigen machen. Beim Lesen erscheint der Unterschied zwischen einer „apolitical” und „a political” Berufspraxis minimal, die Verwirklichung des Grundgedankens aber ist alles andere als marginal oder klein. Im Gegenteil: Eine so verstandene therapeutische Tätigkeit erlaubt das Erwachen eines politischen Bewusstseins, das uns den Antrieb gibt, uns mit der politischen Natur dessen, was wir sind, von wo wir kommen und wofür wir einstehen, auseinanderzusetzen, was sich dann in unseren täglichen Handlungen manifestiert.

Eine der Hauptaufgaben beim Herbeiführen einer „politischen Berufspraxis der Ergotherapie” scheint es zu sein, die generelle Antipathie und die Widerstände gegen alles, was mit Politik zu tun hat, zu überwinden. Studenten, Lehrende und Praktizierende scheinen im Großen und Ganzen nicht darauf erpicht zu sein, eine Verbindung zwischen dem, was sie sind und was sie tun, mit politischem Engagement herzustellen. Politik den Politikern zu überlassen sowie anderen Menschen in Machtpositionen – das scheint die vorherrschende Einstellung zu sein. Ein Wechsel der Haltung und der Denkweise ist angebracht, aber wie?

Zwei Erlebnisse in der Ausbildung von Studenten in der nördlichen und südlichen Hemisphäre könnten brauchbare Hinweise liefern. 2007 und 2008 starteten wir das Wahlfach „Politiek Redeneren: Sterker in je Schoenen Staan”. Der Kurs ist Teil eines fünfjährigen Projekts, das zum Ziel hat, die „Fähigkeit des politischen Denkens und politischen Engagements” zu entwickeln und in das Curriculum des Bachelor-Studiengangs zu integrieren [4]. 2007, 2008 und im laufenden Jahr 2009 befassten sich Studenten des vierten Studienjahres an der University of the Western Cape in Cape Town, Südafrika, mit den politischen Dimensionen der menschlichen Handlung und der Ergotherapie. Sie setzten sich kritisch damit auseinander, wie Ergotherapie als relevante Ressource im Post-Apartheid-Kontext greifbarer werden könnte. So unterschiedlich diese 2 Gruppen waren und so verschiedenartig der Kontext, so kam doch in beiden Kursen der gleiche Ansatz zum Tragen: den Studierenden die eingehende Erforschung ihrer politischen Realitäten und ihrer „Erlebnisse im Kleinen” zu erleichtern. Dies ermöglichte ihnen, sich des persönlichen und beruflichen politischen Aktiv-Seins (der Autor nennt dies die „3P-Archäologie”) bewusst zu werden. Die Studenten lernten den strategisch relevanten Unterschied kennen zwischen der Idee Ergotherapie und der Profession Ergotherapie; sie erfuhren, dass eine politische Anwendung Operationalisierungen der Grundwerte beider Interpretationen ermöglichen würde. Eine weitere Erkenntnis war, dass persönliches und professionelles Wissen, Fähigkeiten, Erfahrungen, Netzwerke etc. als Mittel angesehen und genutzt werden können, um Macht und Einfluss auszuüben in „Situationen von Konflikt und Kooperation”, die der niederländische Politikwissenschaftler Cees van der Eijk als das Charakteristikum allen politischen Engagements identifizierte [1]. Trotzdem: Was Professionen wie und wem gegenüber nutzen sollen, bleibt seinerseits ein Thema.

Die hier genannten ersten Umsetzungen könnten als Basis dienen, um Kompetenzen aufzubauen, um sich in der „Politik der Großen” mit ihren Realitäten und Herausforderungen sinnvoll und strategiebewusst zu engagieren. Das Teilen von sozialer Verantwortung verlangt die Entwicklung von Fähigkeiten, um sozialen Herausforderungen entgegentreten zu können. Deshalb müssen wir nicht nur dem Ruf nach evidenzbasierter Praxis antworten, sondern auch lernen, mehr soziale Verantwortung zu übernehmen. Die klassische Ergotherapie-Ausbildung bereitet (noch) nicht darauf vor, obwohl die Werte und die Philosophie der Ergotherapie sowie die Grundsatzpapiere des WFOT (2002) über Community Based Rehabilitation (2004) und Menschenrechte (2006) bzw. das Diversity-Matters-Project der Ergotherapie das Mandat auferlegen, „die Lücken zu schließen” [11]. Ich bin der Meinung, dass „atypische” Manifestationen der Ergotherapie (die über die konventionelle und einheitliche Anwendung hinausgehen) eine hilfreiche Rolle spielen können, wenn es darum geht, eine „politische Berufspraxis” der Ergotherapie zu bewirken, die „sprechende und gehende Evidenz” generiert [5] [1] [11].

Oft streben Studenten und Kollegen, mich eingeschlossen, danach, in etwas involviert zu sein, was größer ist als ihr eigenes Leben und ihre Arbeit. Dies bringt uns zurück zu Barack Obama. Warum finden dieser Mann und seine Botschaft bei solch einer Vielfalt von Menschen weltweit Anklang, unsere zweieinhalbjährige Tochter eingeschlossen? Eine unpolitische Anwendung von Ergotherapie bleibt auf Interventionen auf der individuellen Ebene im Sinne des „Yes, I can” beschränkt; eine politische Anwendung der Ergotherapie hingegen würde kollektives Engagement erzeugen mit entsprechenden sozialen Herausforderungen – im Geiste eines „Yes, we can”. In einer Welt, die geteilter scheint denn je, kommunizierte Obama weltweit die Botschaft der Hoffnung, dass Veränderung und Wandel möglich sind. Dies fordert allerdings vereintes Engagement durch Handlungen. Hierzu können sowohl die Idee der Ergotherapie als auch die Profession Ergotherapie beitragen, indem sie darüber hinausgehen, der Welt, in der wir leben, einen Sinn zu geben, und gemeinsam eine Welt erschaffen, die stärker sinnerfüllt ist – eine Welt, in der soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit sowie ein Handlungsstil, der sich unserer gemeinsamen Humanitas bewusst ist und diese auch zeigt, überwiegen.

Literatur

  • 1 Kronenberg F, Algado S A, Pollard N. Occupational Therapy without borders – learning from the spirit of survivors. Edinburgh; Elsevier 2005
  • 2 Kronenberg F, Pollard N. Overcoming occupational apartheid: Preliminary exploration of the political nature of occupational therapy. Chapter 6. Kronenberg F, Algado, SA, Pollard N Occupational therapy without borders – learning from the spirit of survivors Edinburgh; Elsevier 2005: 58-87
  • 3 Kronenberg F, Pollard N. Plenary Presentation, 2006: Political dimensions of occupation and the roles of occupational therapy.  American Journal of Occupational Therapy. 2006;  60 (6) 617-625
  • 4 Kronenberg F. et al . Politiek redeneren en ergotherapie.  Nederlands Tijdschrift voor Ergotherapie. 2009 (in press); 
  • 5 Kronenberg F, Pollard, Sakellariou D. Occupational Therapies without Borders. Edinburgh; Elsevier 2010 (in press)
  • 6 Thibeault R. Globalisation, universalities and the future of occupational therapy: Dispatches for the majority world.  Australian Occupational Therapy Journal. 2006;  53(3) 159-165
  • 7 Watson R, Swartz L. Transformation through Occupation. London; Whurr 2004
  • 8 World Federation for Occupational Therapists .New Minimum Standards. WFOT 2002
  • 9 World Federation for Occupational Therapists .Position Statement on Community Based Rehabilitation. WFOT 2004
  • 10 World Federation for Occupational Therapists. .Position Statement on Human Rights. WFOT 2006
  • 11 World Federation for Occupational Therapists .Diversity Matters. WFOT 2009 (in press)

Frank Kronenberg

University of the Western Cape, Kapstadt (SA)

Email: frank.kronenberg@gmail.com

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