Dtsch Med Wochenschr 1944; 70(39/40): 563-565
DOI: 10.1055/s-0028-1118997
Berufskrankheiten

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Welchen Wert hat die Bestimmung der organisch gebundenen Sulfate im Urin für den Betriebsarzt bei der Überwachung der Benzolarbeiter?

Bruno Schuler, Gottfried Nöbel
  • Abteilung für Berufskrankheiten der Medizinischen Universitätsklinik Bonn (Direktor: Prof. P. Martini) und der Arztabteilung eines Industriekonzerns (Leitender Betriebsarzt: Dr. W. Vogel)
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Publication Date:
03 June 2009 (online)

Zusammenfassung

1. Eine Ausscheidung organischer Sulfate in vermehrter Menge konnte bei Benzolarbeitern beobachtet werden. Allerdings wurden die erhöhten Werte auch bei sicher gefährdeten Arbeitern nicht regelmäßig gefunden. Bei einmaliger Untersuchung einer gefährdeten Gefolgschaft muß man damit rechnen, daß nur etwa ein Drittel der Werte über der Norm liegen. Auch die über eine Woche in regelmäßigen Abständen vorgenommenen Bestimmungen zeigten, beim sicher gefährdeten Arbeiter, daß zwischen eine Reihe erhöhter Werte eine große Zahl normaler geschoben sein kann.

2. Eine Erklärung dieser normalen Ausscheidungswerte läßt sich aus verschiedenen Überlegungen auf Grund von Angaben des Schrifttums herleiten. Vorsichtigere Arbeitsweise und günstigere Verhältnisse des Arbeitsplatzes (bessere Durchlüftung, wirksamere Absaugung usw.) wirken sich in den Werten aus. Belege dafür enthalten unsere Beobachtungen. Kurzdauernde Retentionen organischer Sulfate, wie sie Gueffroy und Luce fanden, spielen eine Rolle. Der von uns häufig nachgewiesne Anstieg der Werte für den Anteil an organischen Sulfaten während einer Arbeitsschicht, wogegen eine Steigerung der Ausscheidung aufs Wochenende zu fehlte, sprechen dafür.

Gueffroy und Luce konnten zeigen, daß die Ausscheidung des aufgenommenen Benzols nicht nur in Form der organisch gebundenen Sulfate vor sich geht, sondern daß es oft zur Vermehrung des Neutralschwefels im Urin kommen kann, die sie auf die Ausscheidung gepaarter Mercaptursäuren zurückführen. Aus Untersuchungen von Jost ist bekannt, daß der in den Organismus gelangte Teil des aufgenommenen Benzols zu einem Teil als Sulfat, zu einem andern als Glukuronat ausgeschieden wird. Ein weiterer Teil wird nach Spaltung des Benzolrings in Muconsäure verwandelt, die im Organismus völlig verbrannt werden kann und deshalb als Ausscheidungsprodukt bei gewerblicher Benzolaufnahme nicht in Betracht kommt.

Nach diesen Ergebnissen ist sicher, daß aufgenommenes Benzol im Stoffwechsel auf verschiedenen Wegen unschädlich gemacht wird, und daß die Ausscheidung der organischen Sulfate nicht als alleiniger Maßstab einer Gefährdung durch Benzol angesehen werden darf. In den verschiedenen Entgiftungsmöglichkeiten des Stoffwechsels glauben wir, den Grund der häufig so überraschenden Normalwerte bei den Benzolarbeitern sehen zu müssen.

3. Trotz dieser Verhältnisse, die uns vor Beginn unserer Untersuchungen bekannt waren, haben wir die klinische Prüfung des Wertes der Bestimmung der Ausscheidung organischer Sulfate aufgenommen, da ihr trotzdem eine Bedeutung für die Klinik der gewerblichen Benzolvergiftung zukommen konnte.

Daß der Nachweis einer vermehrten Ausscheidung organischer Sulfate niemals als Zeichen einer herannahenden oder beginnenden Benzolvergiftung angesehen werden darf, wie es sich die ersten Bearbeiter der Methode versprachen, wird jetzt von allen Nachuntersuchern anerkannt. Unsere Untersuchungen ergaben erneut eine Bestätigung dieser Ansicht. Die vermehrte Ausscheidung organischer Sulfate kann nur als Mittel zur Erkennung einer Benzolgefährdung angewandt werden.

Der einmaligen stichprobenartigen Untersuchung der Sulfatausscheidung gleichlaufend mit der betriebsärztlichen Überwachungsuntersuchung des Blutbildes kommt nur ein beschränkter, allgemein orientierender Wert zu. Nie besagt der normale Ausfall, daß eine Gefährdung des Arbeiters nicht vorlag. Auch ein einzelner erhöht er Wert kann einmal beim Normalen vorkommen. Damit entfällt jeder Wert der Methode in dieser Ausführung für die Bewertung der persönlichen Gefährdung des einzelnen Arbeiters. Findet man aber innerhalb einer nicht zu kleinen Arbeitergruppe mehrfach erhöhte Werte, so ist eine Gefährdung dieser Gruppe durch Benzol als wahrscheinlich anzunehmen. Die Untersuchung wird am meisten Aussicht auf Erfolg haben, wenn sie am Ende der Schicht durchgeführt wird. Diese Untersuchungsweise kann man z. B. zur Beantwortung der Frage heranziehen, ob bei einer größeren Arbeitergruppe nach Einführung einer neuen Fabrikationsweise Überwachungsuntersuchungen notwendig sind.

Einen Einblick in die Gefährdung des einzelnen Arbeiters gewinnt man nur, wenn man über eine Reihe von Arbeitstagen täglich mehrmals die Ausscheidung prüft. So läßt sich auch der Grad der Gefährdung verschiedener Arbeiter in verschiedenen Betriebsabteilungen abschätzen. Auch zur Kontrolle der Wirksamkeit von Verhütungsmaßnahmen kann man die Methode unter Berücksichtigung der erwähnten Einschränkungen heranziehen.

4. Durch die Notwendigkeit häufiger Einzelbestimmungen wird die Anwendung der an sich einfachen und wenig zeitraubenden Methode, die sich gut zu Serienbestimmungen eignet, so erschwert, daß man ihr die Eignung bei den betriebsärztlichen Überwachungsuntersuchungen zum Zweck der Kontrolle der Gefährdung des einzelnen Arbeiters absprechen muß.

Bei richtigem Einsatz kann man sie aber in besonderen Fällen zur Lösung der Frage, ob eine Benzolgefährdung vorliegt und mithin eine Schädigung zu erwarten ist, heranziehen, solange kein besseres Verfahren gefunden ist, die Aufnahme von Benzol in den Organismus zu überwachen. Immer muß man sich bei der Heranziehung des Sulfatverhältnisses zur Lösung betriebsärztlicher Fragestellungen darüber klar sein, daß dieses Verhältnis nur einen Teilvorgang bei der Benzolentgiftung im Körper spiegelt.