Der Klinikarzt 2008; 37(12): 561
DOI: 10.1055/s-0028-1119358
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Und wo bleibt der Respekt?

Matthias Leschke
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. Dezember 2008 (online)

Durch die Jahrhunderte unserer Geschichte wurde dem Arzt ganz selbstverständlich hoher Respekt entgegengebracht. Seiner Kunst war es vielleicht vergönnt, den Tod für eine Weile hinauszuzögern. Wenn dies misslang, tat das dem Respekt gegenüber dem Heilkundigen keinen Abbruch. Der Respekt, die Achtung vor unserem Berufsstand – lange Zeit parallel mit dem des Lehrers und Geistlichen – zog sich bis in die Hälfte des letzten Jahrhunderts hinein.

Heute ist uns Ärzten der Respekt abhanden gekommen, jene innere Haltung der Patienten ihrem Arzt gegenüber. Ein schleichender Prozess, den wir nicht wahrgenommen haben – oder nicht wahrnehmen wollten. Jetzt ist es geschehen. Stattdessen schlägt uns Misstrauen entgegen. Politik, Kassen und Medien springen mit uns um, als seien wir potenzielle Betrüger. Haben wir jemals dagegen den Aufstand geprobt? Auf die Straßen gehen die Kollegen wegen ihrer Entlohnung. Und das wiederum fügt sich bestens ins Bild der Allgemeinheit: Ärzte denken und handeln auch nichts anders als Banker, Makler oder sonst ein bürgerlicher Beruf. Den Lehrer hat es ebenso arg gebeutelt. Er gilt als Mitverursacher des nationalen Bildungsnotstandes. Der Pfarrer ist auch nicht mehr das, was er einst war. Und wir Ärzte sind inzwischen völlig entmythologisiert.

Doch wozu brauchen wir Respekt? Reicht es nicht, dass wir unsere Leitlinien verinnerlicht haben, dass wir die aktuellste Medizintechnik beherrschen und die internationale Literatur herbeten können? Eigentlich müssten wir es wissen: Medikamente und operative Eingriffe allein garantieren keine Heilung. Weshalb wirken auch Tabletten ohne Inhaltsstoffe? Weshalb heilt eine Arthroskopie, die nur zum Schein durchgeführt wird? Die traditionelle Kunst des Arztes bestand immer auch darin, allein durch Überzeugung und durch das intensive Gespräch die Selbstheilungskraft des Kranken zu aktivieren. Eine solche Placebowirkung hat, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, viel mit Magie zu tun, mit einer starken Ausstrahlung der ärztlichen Persönlichkeit. Und da kommt wieder dieser Begriff ins Spiel: Respekt. Wenn man unseren Patienten jeglichen Respekt vor unserem Wirken raubt, wird die ärztliche Kunst zum Kunsthandwerk.

Die Respektlosigkeit haben wir Ärzte uns aber teilweise selbst eingebrockt. Es sind nicht die schwarzen Schafe, die sich überall tummeln. Es ist vielmehr der Paradigmenwandel im ärztlichen Geschäft, den wir selbst nolens volens herbeigeführt haben. Wenn einzelne Arztgruppen in publico aufeinander losgehen um ihres Einflusses oder ihrer Einkünfte willen, wenn wir unsere Patienten nur noch apparativ traktieren und ihnen Einfühlungsvermögen und Gespräche verweigern, wenn wir uns zwingen lassen, an der Bürokratisierung des Medizingeschäfts und der absurden Mangelverwaltung mitzuwirken – wer sollte uns dann noch Respekt entgegenbringen?

Mit deutscher Gründlichkeit haben wir unser Gesundheitswesen getreu der Gesetzesvorgabe „wirtschaftlich, angemessen, notwendig und zweckmäßig” zu kurieren, desavouiert. Aus Australien kamen die Fallpauschalen („diagnosis related groups”; DRGs), doch irgendwie funktioniert es dort besser: Ärzte, die aus Deutschland nach Australien flüchteten, schwärmen davon, dort als Arzt noch mit Respekt behandelt und nicht von aggressiven Patienten gefordert, von Gesetzten erwürgt und von Plausibilitätsprüfungen gemartert zu werden.

Was bleibt uns also? Resignation auf der ganzen Linie? Nein! Besinnen wir uns auf die alten Tugenden unserer ärztlichen Kunst! Lassen wir das ärztliche Gewissen in uns dominieren! Widersetzen wir uns souverän dem heute alles dominierenden merkantilen Denken, das nichts mit unserer Pflicht zu tun hat, kranken, leidenden Menschen ärztlich beizustehen. Seien wir wieder Arzt und dann lange nichts anderes.

Prof. Dr. Matthias Leschke

Esslingen