Der Klinikarzt 2008; 37(12): 573
DOI: 10.1055/s-0028-1119359
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Diabetes mellitus – eine klinische und gesellschaftspolitische Herausforderung

Helmut Gohlke
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Publication Date:
12 December 2008 (online)

Der Diabetes mellitus von der Prävention bis zum Insulinmanagement ist das Schwerpunktthema dieses Heftes – ein Thema, das mit der epidemieartigen Zunahme der Adipositas und des Typ–2–Diabetes besondere Bedeutung erlangt. Wird hier nicht gezielt durch strukturelle Maßnahmen gegengesteuert, werden in der nächsten Generation enorme zusätzliche Belastungen auf unser Gesundheitssystem zukommen. Denn Diabetiker, die einer medikamentösen Therapie bedürfen, haben ein vergleichbares Risiko wie Patienten, die bereits einen Herzinfarkt erlitten haben (Schramm TK et al. Circulation 2008; 117: 1945–1954).

Sicher ist eine genetische Prädisposition zur Entwicklung eines Diabetes gegeben, dies muss aber nicht zwangsläufig zur Ausbildung des Diabetes führen. Um schon in Kindergarten und Schule die Freude an der Bewegung zu fördern, ist ein Umdenken auf der gesellschaftspolitischen Ebene notwendig. Immerhin: Erste zaghafte Ansätze hierzu sind inzwischen zu sehen (Gruhl U et al., siehe S. 574).

Bei Prädiabetikern mit gestörter Glukosetoleranz haben Lebensstiländerungen ebenso wie medikamentöse Prävention und präventive Therapieformen in der Zwischenzeit die Schwelle zur evidenzbasierten Medizin überschritten (Hanefeld M et al., siehe S. 582). Die allein auf den Blutzucker zentrierte Therapie stößt aber schnell an ihre Grenzen: Als Kardiologe sieht man häufig Patienten, die ihren Blutzucker extrem sorgfältig mit hohen Insulindosen unter Inkaufnahme einer starken Gewichtszunahme kontrollieren. Eine solche Therapie bedingt allerdings eine Abnahme der Insulinempfindlichkeit, der wiederum mit einer Steigerung der Insulindosis begegnet wird – ein Circulus vitiosus. Das Körpergewicht müsste als zusätzliche Dimension des Diabetesmanagements stärker betont werden, sodass aus der Glukosetriade mit dem Nüchtern–, dem postprandialen Blutzucker und dem HbA1c ein Diabetesquartett würde.

Bezieht man neuere Therapieansätze wie die Nutzung des Inkretineffekts als Basis für neue Antidiabetika wie Inkretinmimetika bzw. GLP–1–Analoga (GLP = „glucagon–like peptide”) oder DPP–4–Hemmer (DDP = Dipeptidyl–Peptidase–4) und die selektive Blockade von Rezeptoren des Endocannabinoidsystems ein, könnte dies substanzielle Verbesserungen bewirken (Blüher M, siehe S. 588). Auf den Paradigmenwechsel bei der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 zugunsten einer frühzeitigen Diagnostik und einer Insulinbehandlung, die eine Hyperinsulinisierung und eine Gewichtszunahme vermeidet, geht ein eigener Beitrag ein (Schumm–Dräger PM, siehe S. 594).

Doch wo ist die Grenze für die optimale Blutzuckereinstellung? Will man das Beste für den Patienten erreichen, muss das Blutzuckermanagement bei Diabetikern durch ein Lipid–, Blutdruck– und Gewichtsmanagement ergänzt werden. Demzufolge ist ein stärkerer Austausch zwischen Diabetologen und Kardiologen dringend geboten, und die Autoren und der Gasteditor hoffen, dass dieses Heft die Kommunikation anregt und dadurch einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der Prävention und des Managements des Diabetes auf allen Ebenen leistet. Wie allerdings die Motivation für körperliche Aktivität bei Diabetikern gesteigert werden kann, um das gesamte Potenzial der Verbesserungsmöglichkeiten auszuschöpfen, bleibt weiter offen und der individuellen Überzeugungskraft des behandelnden Arztes vorbehalten.

Prof. Dr. Helmut Gohlke

FACC, FESC, Bad Krozingen (Gasteditor)