Dtsch Med Wochenschr 1929; 55(42): 1741-1745
DOI: 10.1055/s-0028-1127353
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Das Gastritis-Problem1)

G. v. Bergmann in Berlin 1) Nach einem Vortrag im Verein für Innere Medizin in Berlin am 27. V. 1929.
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Publication Date:
02 June 2009 (online)

Zusammenfassung

Die Bedeutung der Gastritis hat im Wandel der Zeiten größte Schwankungen erfahren. Wenn sie in der Gegenwart wieder eine weit größere Beachtung verdient, beruht dies auf erheblichen methodischen Fortschritten, die noch in der Entwicklung sich befinden. Diese lassen am Lebenden jetzt häufig unzweifelhafte objektive Feststellungen zu, erweisen die große Häufigkeit der Gastritiden chronischer Art, die selbst Jahrzehnte ohne Achylie verlaufen können, zeigen die herdförmige, besonders die Antrumgastritis auf wie die diffusen Formen. Neben morphologischen und sekretorischen Einteilungsprinzipien, die sämtlich für die Klinik nicht durchgreifender Art sind, muß die schroffe Zweiteilung, akut und chronisch, deshalb fallen, weil die häufigste Form sich äußert in akuten Schüben auf der Basis chronischer regenerativer und reparativer Vorgänge. Die anatomischen Kriterien sind mit den klinischen aus prinzipiellen Gründen nicht in Deckung zu bringen: Die Form der chronischen exazerbierenden Gastritis mit ständigen Rezidiven spielt als Begleitgastritis beim Ulkus, bei den Cholezystopathien, bei den Leberaffektionen eine große Rolle, daneben auch als Krankheitsbild für sich. Der Beschwerdekomplex der Exazerbationen hat oft, durchaus nicht immer, größte Aehnlichkeit mit der periodischen Ulkusbeschwerde. Die Gastritis ist oft Ausdruck eines primären Epithelialschadens mit sekundärer Entzündung, ausgelöst weniger vom Reiz ex ingestis als von hämatogenen Noxen, die als unspezifische Reize sowohl bei Infektionskrankheiten als auch bei anderen Zuständen des Zerfalls körpereigener Substanz zustandekommen. In dem Sinne ist das Gastritisproblem Teilproblem entzündlicher Gewebsreaktion und Gewebsdisposition überhaupt.

Erkennt man die noch recht mangelhafte diagnostische Sicherung sehr vieler Fälle, weil keineswegs der methodische Nachweis bisher ideal, ist, führt die Häufigkeit schon jetzt objektiv erkennbarer Gastritiden zu dem logischen Schluß, daß diese Erkrankungsformen weit häufiger bestehen müssen, als die Klinik unserer Tage sie nachzuweisen vermag. Damit liegt Veranlassung vor, Veriegenheitsdiagnosen, wie Dyspepsie, Magenverstimmung u. a. m. zu revidieren unter dem Gesichtspunkt, wie häufig latente Gastritiden erweisbar sind, sei es als Krankheitsbilder für sich, sei es als Begleitzustände bei Ulkus, Magenkarzinom, Phthise, Cholezystopathie, diffusen Leberaffektionen, Enterokolitiden usw.

Der therapeutische Versuch, bei manifesten (objektiv nachweisbaren) und latenten Gastritiden die Behandlung nach Art der Behandlung von Schleimhautentzündungen systematisch durchzuführen, erscheint lohnender, als unter der Annahme einer reinen Funktionsstörung den Magen mit Alkalien zu schädigen, diätetisch nicht zu schonen oder für solche Fälle die psychische Behandlung in den Vordergrund zu stellen.