Dtsch Med Wochenschr 1924; 50(19): 593-595
DOI: 10.1055/s-0028-1133456
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Ueber Wesen und Ursachen der Homosexualität

F. Kehrer
  • Oberarzt der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Breslau
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. Mai 2009 (online)

Zusammenfassung

An dem Vorkommen einer isolierten Perversion des Geschlechtstriebes, die ausschließlich durch die Keimanlage bedingt ist, meist vor der Pubertät und mehr oder minder unabhängig von psychogenen Einflüssen der Umwelt zum Durchbruch kommt und zeitlebens bestehen bleibt („konstitutionelle” oder „angeborene” Homosexualität), kann wohl nicht mehr gezweifelt werden. Zwischen dieser endogenen und den zufallsmäßigen transitorischen Arten der Homosexualität gibt es alle möglichen Uebergangsformen. Fast alle Formen sind entweder mit anderweitigen psychosexuellen Abnormitäten (Gynandrie oder Androgynie, Transvestitismus) oder psychopathischen Symptomen verknüpft. Ueber die Art dieser Verknüpfung ist bislang nichts Sicheres bekannt. Der endogene Ursachenkomplex ist in einer komplizierten Störung der Anlage des endokrin-zerebralen Apparates zu suchen, innerhalb dessen einer abnormen Anlage der Keimorgane, der Gehirndrüsen (Hypophyse und Epiphyse) und der Nebennieren eine besondere Bedeutung zuzukommen scheint. Für die Theorie Steinachs, daß die ausschließlich konstitutionelle Homosexualität ihre alleinige Ursache in einer zwittrigen Anlage des Zwischengewebes der Keimdrüsen finde, sind keine gesicherten Beweise vorhanden.