Dtsch Med Wochenschr 1908; 34(29): 1259-1261
DOI: 10.1055/s-0028-1135614
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Die spezifische Behandlung der Lungentuberkulose1)

 Ritter - leitendem Arzt
  • Aus der Hamburgischen Heilstätte Edmundsthal
1) Nach einem im Aerztlichen Verein in Hamburg am 4. Februar 1908 gehaltenen Vortrage.
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Publication Date:
11 August 2009 (online)

Zusammenfassung

Wir haben im Tuberkulin ein Mittel in der Behandlung der Tuberkulose, das in den an und für sich schon günstigen Fällen den Dauererfolg sichert, in den prognostisch zweifelhaften Fällen oft eine Wendung zum Besseren einleitet und in manchen schweren Fällen eine große Widerstandskraft gegen die Erkrankung herbeiführt.

Natürlich — ein Allheilmittel gegen Tuberkulose ist auch das Tuberkulin nicht. Es gibt leider zahlreiche Fälle, die trotz rechtzeitiger und richtiger Anwendung des Tuberkulins rettungslos zugrunde gehen, ebenso wie man auch ohne Tuberkulin in der Behandlung der Lungentuberkulose überraschende Erfolge erleben kann. Die vielbesprochenen „Tuberkulin-Schädigungen” lassen sich aber nach unseren Erfahrungen bei einiger Vorsicht und genauer Beobachtung der Kranken völlig vermeiden.

Von jeder Tuberkulin-„Begeisterung” weiß ich mich dabei frei, weil ich die Nachteile des Tuberkulins genau genug kenne, vor allem die Mängel und Schwierigkeiten seiner Dosierbarkeit, seine Unwirksamkeit gegen die Bazillen selbst und die nicht ganz zu vermeidenden unangenehmen — nicht schädlichen — Nebenwirkungen. Aber so lange uns die Wissenschaft kein Mittel in die Hand gibt, das alle diese Mängel vermeidet, sind wir berechtigt, in gewissem Sinne sogar verpflichtet, von Tuberkulin einen möglichst ausgiebigen Gebrauch in der Behandlung der Lungentuberkulose zu machen.

Freilich für die allgemeine Praxis dürfte es sich nur — wenigstens für die Kreise der unbemittelten und minder bemittelten Bevölkerung — mit den wesentlichen, schon erwähnten Einschränkungen eignen. Desto ausgiebigeren Gebrauch sollte man aber in den Anstalten von ihm machen.

Gerade in der Verbindung der hygienisch-diätetischen Behandlung mit der Anwendung spezifischer Mittel, wie sie nur in geschlossenen Anstalten möglich ist, liegt meines Erachtens ein besonderer Vorteil der Heilstätten. Ihr Wert kann daher durch die allgemeine Einführung spezifischer Mittel in der Behandlung der Lungentuberkulose nicht sinken, sondern nur steigen.