Dtsch Med Wochenschr 1908; 34(49): 2118-2120
DOI: 10.1055/s-0028-1135895
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Zur Klinik der Retroflexio1)

August Mayer - Privatdozent und Oberarzt der Klinik
  • Aus der Universitäts-Frauenklinik in Tübingen. (Direktor: Prof. Dr. Sellheim.)
1) Vortrag auf der 80. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Cöln, September 1908.
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Publication Date:
11 August 2009 (online)

Zusammenfassung

1. Kreuz- und Leibschmerzen, Drang nach unten und Blasenbeschwerden haben sich nicht als Zeichen der Retroflexio nachweisen lassen. Die Kreuz- und Leibschmerzen sind oft ein nervöses Symptom oder gehören zu den lokalen Komplikationen. Blasenbeschwerden und Drang nach unten werden hauptsächlich durch den meistens gleichzeitig vorhandenen Descensus verursacht.

2. Descensus resp. Prolaps spielen unter den Komplikationen die wesentlichste Rolle. Mit ihrer Beseitigung schwinden die Beschwerden meistens. Will man daher nicht operieren, so genügt ein einfacher, runder Ring ohne Rücksicht auf die Lageanomalie.

3. Die übrigen lokalen und allgemeinen Komplikationen sind nach den ihnen sonst zukommenden Indikationen zu behandeln. Eine ungemein wichtige Rolle spielt die Obstipation mit der konsekutiven Verdickung der Ligamenta sacro-uterina.

4. Die Retroflexio in sich bedarf fast nie einer Behandlung, besonders nicht bei Nulliparen. Daher kann die Fixation nicht das typische Heilverfahren der Retroflexio sein.

5. Vor grundloser Untersuchung neurasthenischer Individuen, besonders der Nulliparen, ist zu warnen.

Für Einzelfälle der Praxis wird man zuweilen individualisieren müssen. Doch wenn man etwa für die Studenten ein Schema will, dann halte ich es für besser, sie zu lehren, die Retroflexio unbehandelt zu lassen, als durch die so oft grundlos eingelegten Ringe und unzweckmäßigen lokalen Manipulationen die Verantwortung für Fehler gegen die Gesundheit unserer Patientinnen mitübernehmen zu müssen.

Diese Anschauungen wurden versuchsweise auf die Praxis übertragen. Wir sind damit bisher immer ausgekommen. Nach unseren bisherigen Resultaten ist zu hoffen, daß auch weitere Erfahrungen denselben Standpunkt rechtfertigen.

Dabei mag aber das Individualisieren immerhin die schönste Kunst des echten Arztes bleiben.