Zusammenfassung
Nach dem klinischen, bakteriologischen und hämatologischen Befunde handelte es sich um eine Streptokokkenseptikämie. Sie hatte, augenscheinlich infolge des therapeutischen Eingriffs, einen eigenartigen und doch durchsichtigen Verlauf. Eigenartig war einmal der außerordentlich starke Fieberanstieg nach der Kombination von Höchster multivalentem Antistreptokokkenserum mit frischem, normalem Menschenserum, während die Injektion reichlicher Mengen von Antistreptokokkenserum, selbst intravenös, schwächere Fieberreaktion im Gefolge hatte. (Auf den relativ erheblichen Temperaturabstieg, der am 22. VI. nach der alleinigen Injektion von Höchster Serum eintrat, sei noch besonders hingewiesen.) Ferner ist sehr beachtenswert die multiple Abszeßbildung, die sich unmittelbar an die Kombinationsbehandlung angeschlossen hatte. (Es braucht nicht besonders darauf hingewiesen zu werden, daß die Injektionen streng aseptisch ausgeführt worden sind und daß eine Verunreinigung durch unreine Instrumente nicht in Frage kommt.)
Was den Fieberanstieg betrifft, der offenbar durch das Zusammentreten der Streptokokken als Antigen, des polyvalenten Streptokokkenserums als Ambozeptor und des normalen Menschenserums als Komplement hervorgerufen worden ist, so ist er demjenigen zu vergleichen, der, nach der Erklärung v. Wassermanns, durch die Injektion von Tuberkulin in den tuberkulösen Organismus entsteht. Bekanntlich nimmt v. Wassermann an, daß die spezifische Reaktion des tuberkulösen Gewebes nach Injektion des Tuberkulins dadurch zustandekommt, daß der von den Tuberkelbazillen infizierte Organismus in den Tuberkelknoten spezifische Ambozeptoren gegen diesen Bazillus gebildet hat. Das als Antigen wirkende Tuberkulin wird aus dem Blute in das tuberkulöse Gewebe — Ambozeptor — hineingezogen. Durch die Verbindung dieser beiden homologen Substanzen werden die komplementtragenden Leukozyten, welche die Gewebe einzuschmelzen vermögen, an dieser bestimmten Stelle des Körpers konzentriert.
Das therapeutische Eingreifen ging in unserem Falle von der Annahme aus, daß 1. der Organismus der Kranken nicht genügend Ambozeptoren gegen den infizierenden Streptokokkus produziert hat, daß ferner (2.) unter den Streptokokken, mittels deren als Höchster Antistreptokokkenserum gebildet wird, sich auch solche Stämme befinden, deren bindende Seitenketten zu dem hier infizierenden Streptokokkus passen, und endlich (3.), daß das Serum der Mutter der Kranken dasjenige Komplement enthalte, welches — dem der kranken Tochter am meisten ähnlich — geeignete haptophore Gruppen zur Bindung der Ambozeptoren besitzt.
Was das plötzliche Auftreten der Abszeßbildungen betrifft, so war der Streptococcus „pyogenes” vor der Behandlung mit dem Normalserum ein „apyogener” gewesen. Erst nach der Injektion des spezifischen Antikörpers wurde er wirklich ein „Eitererreger” Aus dem negativen Chemotropismus der Leukozyten, die offenbar wegen der großen Giftigkeit des Mikroorganismus sich an denselben nicht heranmachen konnten, wurde nach der Versorgung des Organismus mit reichlichen Ambozeptoren und genügend Komplement ein positiver. Dieser Vorgang von größter therapeutischer Wichtigkeit ist wohl so zu erklären, daß die virulenten Streptokokken zwar imstande sind, sich die komplementhaltigen Leukozyten vom Halse zu halten. Dem gemeinsamen Angriff des gelösten Komplements und des spezifischen Ambozeptors in genügender Menge können sie jedoch nicht widerstehen. Sie werden mit spezifischem Ambozeptor beladen und durch das Komplement geschwächt. Die weniger giftig gewordenen Streptokokken wirken jetzt positiv chemotropisch auf die zelligen Komplementträger, die granulierten Leukozyten, und diese können jetzt ihre phagozytotische Kraft den Streptokokken gegenüber in Anwendung bringen.
Durch die obige Erklärung v. Wassermanns für die Tuberkulinwirkung wird auch das reichliche Auftreten von Abszessen bei unserer Kranken, und zwar vornehmlich gerade an den Stellen der Ambozeptorinjektion, klargestellt. Bei der Tuberkulose sammeln sich, nach seiner Auffassung, in den Tuberkelknoten die spezifischen Ambozeptoren gegen den Tuberkelbazillus besonders an. In unserem Falle bildeten die subkutanen und intramuskulären Einspritzstellen sowie die eingestochenen Venenwände die Ambozeptordepots. Diese ziehen die Antigene, bei der Tuberkulose das Tuberkulin, in unserem Falle die Streptokokken, aus dem Blute zu sich hin. Die Stelle, an der sich beide homologe Substanzen verbinden, ist die Anlockungsstelle für die leukozytären Komplementträger.
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß, wie ich gezeigt habe (11), eine ähnliche Ansammlung von Eiterkörperchen auch bei anderen Zuständen als bei Tuberkulose und bei Streptokokkensepsis entstehen kann. Stellt man bei Kranken, die an Syphilis oder an Nierenschrumpfung, aber auch bei solchen, welche an Krebs oder an schwererer Anämie leiden, in der Weise einen spezifischen Ambozeptor her, daß man deren Blutserum bei 56° C inaktiviert und es wiederholt Kaninchen einspritzt, so kann man lokale Eiterungen erhalten, wenn man den Kranken diesen „Autoserumambozeptor”, inaktiviert, zusammen mit menschlichem Normalserum injiziert. Bei Schrumpfniere können dadurch, wie ich in einem Falle von Heilungsversuch zu meiner unangenehmen Ueberraschung erfahren mußte, sehr umfangreiche Bindegewebseinschmelzungen in dem zur gleichzeitigen Injektion gewählten Körperteil — Arm — entstehen.