Dtsch Med Wochenschr 1908; 34(8): 322-326
DOI: 10.1055/s-0029-1186354
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Ueber Colitis chronica gravis

Th. Rosenheim
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Publication Date:
11 August 2009 (online)

Zusammenfassung

Wir haben es in den vorher geschilderten vier Fällen mit schweren Colitiden zu tun, die sich von Dysenterie durch das Ergebnis der bakteriologischen Untersuchung abgrenzenlassen, was zunächst vom praktisch therapeutischen Standpunkte nicht unwichtig ist, da ja bei der Behandlung der Ruhr verschiedene Mittel (z. B. Ipecacuanha, Simaruba, Jodoformeingießungen) sich gelegentlich bewähren, die hier versagen. Die Schwere der Erkrankung hängt meines Erachtens in unseren Fällen von endogener Autoinfektion resp. -intoxikation ab, ernsten Komplikationen gewöhnlicher katarrhalischer Darmstörungen, die auf den anatomischen Prozeß Einfluß üben, ihn unter Umständen von einfacher Entzündung zu tiefgreifender Ulzeration (Fall 4) zu steigern vermögen und die wir vor der Hand durch unsere Untersuchungen, speziell auch durch die bakteriologische, nur unvollkommen zu analysieren imstande sind. Offenbar können die verschiedensten Mikroben sekundär eine wechselnde, mehr oder weniger ungünstige Einwirkung auf den lokalen Prozeß wie auf den Allgemeinzustand entfalten, und anscheinend beruht die große Variabilität des Krankheitsbildes der Colitis gravis auf der Mannigfaltigkeit der sekundären Infektions- und Intoxikationsmöglichkeiten.

Keiner der hier mitgeteilten Fälle gleicht dem andern, aber allemal handelt es sich um sehr schwere Colonerkrankungen bei jungen Individuen. Das nach vielen Mühen schließlich erreichte therapeutische Resultat ist befriedigend, aber eine vollkommene Heilung wurde bisher nicht erzielt. Das Hauptinteresse beanspruchen die beiden ersten Fälle, deren genaue Beobachtung sich über Jahr und Tag erstreckt; was hier vor allem bemerkenswert erscheint, ist der Verlauf in Schüben: es bestehen kürzere oder längere Intervalle eines leidlichen Befindens, bis dann schließlich doch chronisches Siechtum mit fortschreitendem Kräfteverfall, andauernden Darmstörungen, Fieber, komplizierenden Affektionen (Gelenkschwellungen, Mastdarmfistel) sich etablierte. Aus diesem bedrohlichen Zustand gelingt die Rettung auf verschiedenen Wegen. Einmal bewährt sich die Diät (Milch, Kohlehydrate), dann erweist sich die Kalomelkur nützlich, ein anderes Mal erzielt eine auf den Magen gerichtete energische Therapie Erfolg. So konnte hier der operative Eingriff vermieden werden, der bei den beiden letzterwähnten Patientinnen, um das Leben zu erhalten, geboten war, aber eine völlige Ausheilung auch nicht mehr herbeiführte.

In betreff genauerer Einzelheiten über die diätetische und sonstige Behandlung dieser Colitiden verweise ich auf das oben in den Krankengeschichten Gesagte und auf eine frühere Arbeit in dieser Wochenschrift.[1)] Ich möchte die Aufmerksamkeit nur noch besonders auf die Berücksichtigung der Verhältnisse des Magens und auf die Kalomelkur, wie sie in dieser Art zuerst A. Plehn[2)] speziell für echte Dysenterie empfohlen hat, lenken. Ich glaube, daß man bei unseren Colitiden gemeinhin mit Dosen von 0,02 Kalomel 10—12mal täglich an drei aufeinanderfolgenden Tagen auskommt und daß die sich anschließende Bismutverabreichung (nach Plehn 0,5 Bism. subnitr. od. salicyl. 12 mal täglich bis der Stuhl geformt ist) beschränkt, resp. auch fortgelassen werden kann.

1 Deutsche medizinische Wochenschrift 1906, No. 25.

2 Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene 1898, Bd, 2, und Deutsche medizinische Wochenschrift 1901, No. 29.

1 Deutsche medizinische Wochenschrift 1906, No. 25.

2 Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene 1898, Bd, 2, und Deutsche medizinische Wochenschrift 1901, No. 29.