Dtsch Med Wochenschr 1912; 38(45): 2113-2117
DOI: 10.1055/s-0029-1189938
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Erfahrungen über aseptische und antiseptische Wundbehandlung

P. Sick
  • Aus der Chirurgischen Abteilung des Diakonissenhauses in Leipzig
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Publication Date:
22 June 2009 (online)

Zusammenfassung

Es gibt keine volle Asepsis der Operationswunden und der umgebenden Haut, auch bei Heilung per primam; wir brauchen antiseptische Maßnahmen für die Ligaturen (Jodkatgut, Sublimatseide), nehmen besser statt durchgreifender Hautzwirnnähte Michelklammern und halten es für nützlich, ein nicht reizendes austrocknendes Antisepticum (empfehlenswert besonders Noviformgaze), wenigstens in den bekannten unsicheren Gegenden, auf die Nahtlinie luftdurchlässig zu fixieren. Durch diese geringen, mit strenger Indikation angewendeten Mengen eines Dauerantisepticums wird nicht geschadet, sondern nur genützt. Dagegen sind die früher verwandten antiseptischen Spülungen oder gar antiseptische Puderung frischer Wunden schädlich. (Ob wir z. B. in den Joddämpfen ein auch für frisch verletzte Gewebe unschädliches und nützliches Antisepticum bekommen, bleibe noch dahingestellt.)

Ganz anders verhalten sich ältere Wunden von acht bis zehn Stunden an, ferner infizierte Wunden und Entzündungsherde; sie schließen sich durch einen natürlichen Schutzwall von hyperämischem, in Quellung und Zellteilung befindlichem Gewebe vom übrigen Organismus ab; die Eiterbakterien durchdringen diesen Wall so schwer wie die Aetzmittel. Die passenden Antiseptica können daher lokal und am besten in Dauerwirkung eine Abnahme der Virulenz und eine Wachstumshemmung der Infektionserreger herbeiführen. Typisch wirkt so die auf infizierte Wunden und inzidierte Phlegmonen übertragene „Mikulicztamponade” der Bauchhöhle; die unterste antiseptische Mullage, die tagelang Hegen bleibt, regt außerdem den Saftstrom aus dem Körpergewebe in die Wundoberfläche an, das Sekret wird in die oberen, schmerzlos wechselbaren aseptischen Mulleinlagen aufgesogen, durch Entfernung oder schon durch das Eintrocknen unschädlich gemacht; während von unten stets neue Schutzkräfte nachrücken. Die Wundbakterien werden so zwischen zwei Feuer genommen, und mit wenigen bekannten Ausnahmen (Tetanus, Rotz, Lyssa) wird ihre Wirksamkeit als Infektionserreger vernichtet.

Für verschiedene Arten der Infektion und die wiederum verschieden reagierenden Gewebe sind auch eine Anzahl im Einzelfall mehr oder weniger spezifisch wirkende Antiseptica notwendig, deren genauere Prüfung nach dieser Richtung noch aussteht; in praxi kommt man wohl mit dem stärkeren Jodoform und Isoform (auch Vioform) und dem milderen Wismutpräparat Noviform aus oder mit einer ähnlichen Auswahl. Es muß von Fall zu Fall durch Beobachtung und zunehmende praktische Erfahrung entschieden werden, welches Antisepticum die Wundheilung am sichersten unterstützt und nach keiner Richtung schadet.