Dtsch Med Wochenschr 1915; 41(19): 555-558
DOI: 10.1055/s-0029-1191125
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Infektions- und Immunitätsgesetze bei materner und fötaler Lues

J. Trinchese - Leiter des Laboratoriums
  • Aus dem Serologischen Laboratorium des Ostkrankenhauses in Berlin. (Dirig. Aerzte: Prof. Kromayer und Dr. v. Chrismar.)
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Publication Date:
15 July 2009 (online)

Zusammenfassung

I. Das Collessche Gesetz ist hinfällig, d. h. eine Immunisierung der Mutter vom Foetus aus im Sinne des Gesetzes ist unmöglich, weil

1. eine paterne Uebertragung der Lues nicht vorkommt,

2. der Foetus keine immunisierenden Stoffe erzeugt.

II. Das Profetasche Gesetz ist hinfällig, d. h. eine Immunisierung des Foetus von der Mutter aus im Sinne des Gesetzes kommt nicht vor, weil die Plazentarwand für die Reaktionsstoffe des mütterlichen Organismus nicht durchlässig ist.

III. Je früher der Foetus infiziert wird, um so rascher verläuft die Syphilis nach Art einer Sepsis, die innerhalb sechs Wochen zum Tode des Foetus führt.

IV. Bis gegen den achten Monat hin bildet der Foetus keine Reagine, d. h. sein Blut reagiert negativ nach Wassermann, trotz positiver Reaktion der Mutter und massenhafter Spirochätenansammlung in allen seinen Geweben.

V. In den letzten Monaten der Schwangerschaft fängt der Foetus an, sich gegen das Syphilisgift zur Wehr zu setzen, schwache und inkonstante Reagine zu bilden, d. h. positiv nach Wassermann zu reagieren.

VI. Erfolgt die Infektion des Kindes in den letzten Wochen vor der Geburt, so können sowohl klinische syphilitische Symptome vollkommen fehlen, als auch die Wa.R. negativ sein, da die Inkubationszeit für beide Erscheinungen noch zu kurz ist. Das sind die früher als „immun” betrachteten Kinder; sie geben das Material zu den „spät” syphilitischen Kindern ab.

VII. Wenn es auch vorkommt, daß latentluetische, vielleicht sogar floridluetische Mütter gesunde Kinder gebären, so ist (in Konsequenz von VI) weder das Fehlen luetischer Erscheinungen, noch eine negative Wa.R. bei der Geburt ein sicherer Beweis dafür, daß das Kind tatsächlich gesund ist.

VIII. Es ergeben sich bei der Geburt des Kindes einer syphilitischen Mutter folgende Möglichkeiten:

1. Das Kind ist klinisch syphilisfrei und hat negative Wa.R.

2. Das Kind ist klinisch syphilisfrei und hat positive Wa.R.

3. Das Kind hat klinisch Syphilis und positive Wa.R.

4. Das Kind hat klinisch Syphilis und negative Wa.R.

In der angegebenen Reihenfolge werden diese Möglichkeiten für die Prognose des Lebens des Kindes immer ungünstiger, sodaß die vierte Möglichkeit meistens den Tod des Kindes bedeutet.