Gesundheitswesen 2009; 71: S56-S58
DOI: 10.1055/s-0029-1216387
Ethik der Kosten-Nutzen-Bewertung

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ethische Fragen der Umsetzung von Kosten-Nutzen-Bewertung aus Sicht einer Krankenkasse

Ethical Questions on the Application of Cost-Utility Analysis from the View Point of a Health Insurance CompanyE.S. Dietrich 1 , H. Strutz 1
  • 1WINEG – Wissenschaftliches Institut für Nutzen und Effizienz der Techniker Krankenkasse im Gesundheitswesen, Hamburg
Further Information

Publication History

Publication Date:
14 July 2009 (online)

Zentrale Bewertungen und Beschlüsse sind unabdingbar

Mit fortschreitender Verbesserung der Medizin und dem technologischen Fortschritt erweist sich das Ziel der Gesundheitsversorgung, die Gesundheit der Menschen zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern [1], als Sisyphusarbeit. Gleichzeitig vergrößert sich die Kluft zwischen dem medizinisch Machbaren und dem Finanzierbaren.

In der Vergangenheit wurden medizinische Neuerungen in der Regel als Zusatzleistungen (add-ons) in die Leistungskataloge der Krankenkassen aufgenommen. Man hoffte dabei den Mehrbedarf, der aus der Morbiditätsentwicklung, einer leitliniengerechten Therapie und Innovationen resultiert, durch das Ausschöpfen vorhandener Einsparreserven kompensieren zu können. Mit Rationalisierungsmaßnahmen wie einem wirksamen Qualitätsmanagement, Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen durch institutionalisierte Kooperationen, Fallmanagern u. ä. sollten Einsparungen erzielt werden, ohne dabei die Versorgungsergebnisse zu beeinträchtigen. Nicht zuletzt jedoch, in Anbetracht kontinuierlich steigender Beitragssätze, wächst die Erkenntnis, dass allein durch eine Rationalisierung des Systems nicht die erhofften Gelder freigesetzt werden können, die zur Finanzierung neuer und effektiver Maßnahmen benötigt werden.

Mit der aktuellen Gesundheitsreform und der Einführung des Gesundheitsfonds ab 2009 bestimmen nicht länger die Ausgaben der Krankenkassen die Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel, vielmehr wird das künftige Budget durch die Politik festgelegt werden. Begründete Befürchtungen bestehen, dass dies zu Einschnitten bei den Leistungen, eventuell verbunden mit steigenden Zuzahlungen durch die Versicherten, führen wird [2]. Vor allem werden neue Maßnahmen künftig vorrangig als Ersatztechnologien in das System zu integrieren sein. Die Notwendigkeit, dem Bürger auch unter zunehmend engen finanziellen Rahmenbedingungen eine „ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche” Versorgung zu gewährleisten [3], erfordert begründete Entscheidungen hinsichtlich der Finanzierung bzw. Nichtfinanzierung von Leistungen. Dies bedeutet zum einen, dass die Debatte um notwendige und sinnvolle Rationierungsmaßnahmen künftig offen und transparent geführt werden muss und zum anderen, dass für die Gewährleistung einer gerechten, einkommensunabhängigen Verteilung medizinischer Leistungen zentrale Bewertungsregeln unerlässlich sind. Diese bilden die Grundlage für Finanzierungsentscheidungen und entlasten so das Arzt-Patienten-Verhältnis.

References

  • 1 , Ziel der Krankenversicherung gem. § 1 SGB V ist es, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern.
  • 2 , Vgl. u. a. Jörg-Dietrich Hoppe in: Berliner Zeitung 29.12.2007
  • 3 , § 12 Abs. 1 SGB V (Wirtschaftlichkeitsgebot)
  • 4 , Vgl. der Philosoph Stefan Gosepath in: Freitag 05, 2.2.2007
  • 5 Schulenburg Graf v d JM, Greiner W, Jost F. et al . Deutsche Empfehlungen zur gesundheitsökonomische Evaluation – dritte und aktualisierte Fassung des Hannoveraner Konsens.  Gesundh ökon Qual manag. 2007;  12 285-290
  • 6 Greiner W. Die Berechnung von Kosten und Nutzen im Gesundheitswesen. In: Schöffski O, Schulenburg Graf v. d. JM, Hrsg. Gesundheitsökonomische Evaluationen. Berlin u. a.: Springer 2002: 165-169
  • 7 Antes G, Jöckel KH, Kohlmann T. et al. .Kommentierende Synopse der Fachpositionen zur Kosten-Nutzen-Bewertung für Arzneimittel. Freiburg u. a. 2007: 53-59
  • 8 McGregor M, Caro J. QALYs: Are they helpful to Decision Makers?.  Pharmacoeconomics. 2006;  24 947-952
  • 9 , Studie des WINEG (Wissenschaftliches Institut der Techniker Krankenkasse für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen) 2008, Nutzbarkeit aktueller pharmakoökonomischer Studien für leistungsrechtliche Entscheidungen. Zusammenfassung der Studie unter: http://www.wineg.de
  • 10 McGregor M, Caro J. QALYs: Are they helpful to Decision Makers?.  Pharmacoeconomics. 2006;  24 947-952
  • 11 Sassi F, Archard L, Le Grand J. et al . Equity and the economic evaluation of healthcare.  Health Technology Assessment. 2001;  5 1-138 , Dort durchgeführte Projekte ergaben, dass keine der existierenden Bewertungsmethoden – insbesondere die Kosten-Nutzen- und Kosten-Effektivitäts-Analyse – soziale Werte und Distributionsgesichtspunkte mit berücksichtigen
  • 12 McGregor M. Cost-utility analysis: Use QALYs only with great caution. In: CMAJ. 2003 168: 433-434
  • 13 Schöffski O, Greiner W. Das QALY-Konzept, In: Schöffski O und Schulenburg Graf v. d. JM (Hrsg). Gesundheitsökonomische Evaluationen. Berlin u. a.: Springer 2002: 383-388
  • 14 So wurde beispielsweise in den Niederlanden bei der Einführung des Medikaments Risperidon entschieden, dass die zusätzlichen Kosten – im Vergleich zur Standardtherapie immerhin mehr als doppelt so hoch – durch potenzielle Einsparungen in anderen Bereichen des Gesundheitswesens gerechtfertigt waren.  , Vgl. van Oostenbruggen MF, Jansen RB, Mur K, Kooijman H, M. Penny and pound wise: pharmacoeconomics from a governmental perspective Pharmacoeconomics. 2005;  23 219-226
  • 15 Dietrich ES. Effects of MCE's technology appraisals on prescribing and net ingredient costs of drugs in tha LHS in Engalnd. International Journal of Technology Assessment in Health Care (im Duck) .  http://
  • 16 Zentner A, Velasco-Garrido M, Busse R. Methoden zur vergleichenden Bewertung pharmazeutischer Produkte. , TU Berlin/DIMDI, Hrsg. 2005; 
  • 17 Singer P, McKie J, Kuhse H. et al . Double jeopardy and the use of QALYs in health care allocation.  Journal of Medical Ethics. 1995;  21 144-150
  • 18 , Nationaler Ethikrat, Infobrief November 2006
  • 19 Stolk EA, van Donselaar G, Brouwer WB. et al . Reconciliation of economic concerns and health policy: illustration of an equity adjustment procedure using proportional shortfall.  Pharmacoeconomics. 2004;  22 1097-1107
  • 20 Bleichrodt H, Diecidue E, Quiggin J. Equity weights in the allocation of health care: the rank-dependent QALY model.  Journal of Health Economics. 2004;  23 157-171
  • 21 Stolk EA; Pickee SJ, Ament AH, Busschbach JJ. Equity in health care prioritisation: an empirical inquiry into social value.  Health Policy. 2005;  74 343-355

Korrespondenzadresse

Dr. rer. nat. E. S. Dietrich

Health Econ A6

Postfach 1510

CH-4001 Basel

Email: edietrich@healthecon.com