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DOI: 10.1055/s-0029-1216388
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln – an internationalen Standards messen
Cost-Utility Analysis of Drugs – Comparison with International StandardsPublication History
Publication Date:
14 July 2009 (online)
![](https://www.thieme-connect.de/media/gesu/2009S01/lookinside/thumbnails/10.1055-s-0029-1216388-1.jpg)
Einleitung
Steigenden Möglichkeiten der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und steigenden Bedarfen aufgrund der Alterung der Bevölkerung stehen in der GKV nur begrenzt wachsende Mittel gegenüber. Daher ist es unvermeidlich zu priorisieren, wie die knappen Ressourcen eingesetzt werden. Aus ökonomischer Sicht sollte dabei der Kosten-Nutzen-Relation von medizinischen Maßnahmen ein wichtiger Stellenwert zukommen. Der Grund ist klar: Werden die begrenzten Mittel vorwiegend für solche Verfahren eingesetzt, bei denen mit vergleichsweise wenig Aufwand „viel Gesundheit” erzielt werden kann, kann der Gesundheitszustand der Bevölkerung stärker verbessert werden, als wenn die gleichen Mittel eher für Maßnahmen mit geringen gesundheitlichen Erträgen eingesetzt werden.
Dabei trifft zu: Nicht mehr alles zu zahlen, was nützt, sondern auf die Kosten-Nutzen-Relation zu schauen, bedeutet einen Schritt in Richtung expliziter Rationierung. Da die Menschen aber auch andere Bedürfnisse haben als Gesundheit, ist eine solche Abwägung unvermeidbar. Sie gilt auch als ethisch vertretbar, wenn sie prozedural und in inhaltlicher Hinsicht angemessen durchgeführt wird. So ist die Kosteneffektivität auch in der Einschätzung der Zentralen Ethikkommission eines der maßgeblichen inhaltlichen Kriterien – neben medizinischer Bedürftigkeit und erwartetem medizinischen Nutzen. Im Übrigen gilt: Je stärker auf explizite Rationierung verzichtet wird, tritt an ihre Stelle implizite Rationierung – etwa durch Arzneimittelrichtgrößen oder Regelleistungsvolumina für die niedergelassenen Ärzte.
Nicht überraschend nähert sich daher auch Deutschland einer stärker ökonomischen Betrachtung neuer medizinischer Interventionen. Die Gründung des Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) im Jahre 2004 ist hier ein wichtiger Meilenstein. Zu den Aufgaben des Institutes gehört es, Nutzen und Wirtschaftlichkeit medizinischer Maßnahmen im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu untersuchen. Im GMG hatte der Gesetzgeber allerdings noch Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen durch das IQWiG bei Arzneimitteln ausdrücklich ausgenommen – dort durften nur reine Nutzenbewertungen durchgeführt werden. Mit der Gesundheitsreform aus 2007 – dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – hat der Gesetzgeber nun Kosten-Nutzen-Bewertungen für Arzneimittel in den Aufgabenkatalog des IQWiG aufgenommen.
Ausdrücklich nennt das Gesetz als Zweck solcher Kosten-Nutzen-Bewertungen die Festsetzung von Erstattungshöchstbeträgen durch den neuen Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Bereits seit 1989 bestehen bekanntlich Festbeträge für Arzneimittel, bei denen der Gemeinsame Bundesausschuss von einer Austauschbarkeit aufgrund gleicher Wirkstoffe oder gleicher Wirkprinzipien ausgeht. Bei neuen, patentgeschützten Arzneimitteln, für die ein Einbezug in eine Festbetragsgruppe nicht in Betracht kommt und die einen Zusatznutzen gegenüber der bisherigen Therapie aufweisen, war der Hersteller bislang in der Preisgestaltung frei – nur in wenigen Ausnahmefällen hat der Gemeinsame Bundesausschuss, gestützt auf die Kompetenz, die Wirtschaftlichkeit zu beurteilen, hier etwa durch Therapiehinweise faktisch Beschränkungen vorgenommen. In der Zukunft sollen regelhaft die pharmazeutischen Hersteller für Arzneimittel, die zwar einen Zusatznutzen aufweisen, jedoch zugleich keinen bedeutenden therapeutischen Durchbruch darstellen, nur noch begrenzt höhere Erstattungen durch die Krankenkassen einfordern dürfen. Grundlage dafür soll die Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG sein. In Fällen, in denen bislang keine Standardtherapie zur Verfügung steht, ein neues Arzneimittel also eine dramatische Verbesserung bedeutet, bleiben die Krankenkassen auch in Zukunft verpflichtet, den vom pharmazeutischen Hersteller festgesetzten Preis ohne nähere Prüfung zu bezahlen.
Rechtlich bislang ungeklärt ist, ob die Kosten-Nutzen-Bewertungen auch im Rahmen der Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses als Entscheidungsgrundlage für Ausschlüsse aus der Erstattung wegen Unwirtschaftlichkeit dienen können. Bislang konnte der G-BA Arzneimittel nur ausschließen, die keinen höheren Nutzen, aber einen höheren Preis haben. Einige vertreten die Auffassung, mit dem neuen Instrument könnten im Rahmen des geltenden Rechts nunmehr auch Arzneimittel mit geringfügig höherem Nutzen bei deutlich höherem Preis ausgeschlossen werden. Diese Argumentation stützt sich insbesondere auf das „Clopidogrel”-Urteil des Bundessozialgerichts vom 31.5.2006. Darin führt dieses aus, „dass nicht jeder noch so geringe Nutzungsvorteil bei hohen Kostendifferenzen wirtschaftlich ist, dass aber bei deutlichen Nutzungsvorteilen auch durchaus höhere Kosten in Kauf genommen werden müssen”[1]. Die Kosten-Nutzen-Bewertung ist nun genau das Instrument, mit dem ermittelt werden kann, ob Nutzenvorteil und Kostendifferenz in einem vertretbaren, nämlich wirtschaftlichen, Verhältnis zueinander stehen.
1 BSG-Urteil vom 31.5.2006, B 6 KA 13/05 R, Randziffer 71
2 Vgl. etwa Siegel et al., in: Gold et al.: Costeffectiveness in health and medicine. 1996: 276ff, hier: 287.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. J. Wasem
Universität Duisburg-Essen
Schützenbahn 70
45127 Essen
Email: juergen.wasem@medman.uni-due.de