Dtsch Med Wochenschr 2009; 134(15): 733
DOI: 10.1055/s-0029-1220220
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Chronische Herzinsuffizienz, quo vadis?

Chronic heart failure: quo vadis?H. Drexler1 , E. Erdmann2
  • 1Abteilung Kardiologie und Angiologie, Medizinische Hochschule Hannover
  • 2Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin, Herzzentrum der Universität zu Köln
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Publication Date:
01 April 2009 (online)

Dieses anlässlich der 75. Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) konzipierte Schwerpunktheft widmet sich dem Hauptthema der Tagung: der chronischen Herzinsuffizienz, einem Syndrom mit vielfältigen Ursachen, unterschiedlichen Pathomechanismen und vielen therapeutischen Optionen. – Warum, so könnte man fragen, wird dieses Syndrom als Hauptthema unserer Jahrestagung gewählt, wo doch Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen und die differenzierten diagnostischen Verfahren und Interventionen scheinbar im Mittelpunkt der Kardiologie stehen?

Sicherlich sind zu Zeiten von DRGs und gedeckelten Budgets die Fälle, die Prozeduren, und überspitzt gesagt, die Stückzahlen höchst relevant. Die Ausgaben für Patienten mit koronarer Herzkrankheit sind rund dreimal höher als diejenigen für chronische Herzinsuffizienz. Die Betreuung von Kranken mit Herzinsuffizienz ist sehr zeitaufwendig, wird aber vom Gesundheitssystem weder in Deutschland noch anderswo gut honoriert. Die Erfolge bei der Herzinfarktbehandlung sind, auch was die Reduktion der Mortalität angeht, enorm. Die Prognose von Patienten mit koronarer Herzkrankheit ist gut; die Möglichkeiten der apparativen Diagnostik sind in den letzten Jahren in Deutschland deutlich verbessert worden, sie beherrschen oft den kardiologischen Alltag. Aber inzwischen stirbt infolge der besseren Herzinfarktbehandlung die Mehrzahl der Patienten nicht mehr akut daran, sondern an den Langzeitfolgen, das heißt an der chronischen Herzinsuffizienz, die sich erst im Verlauf einstellt.

Wenn wir heute die Sterblichkeit an kardiovaskulären Erkankungen reduzieren wollen, dann sind verstärkte Anstrengungen bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz notwendig. Hier können und müssen wir noch viel erreichen, denn die Prognose des herzinsuffizienten Patienten ist viel schlechter als z. B. für Patienten mit Darmkrebs, während, notabene, die Prognose für Patienten mit Koronarstenosen mit und ohne Stents im Vergleich ausgezeichnet ist! Courage lässt grüßen – eine Studie, die gezeigt hat, dass eine konservative medikamentöse Therapie prognostisch nicht schlechter sein muss als die aggressive und teure Koronarintervention. Nicht von ungefähr hat die zentrale Forschungssteuerung der USA bereits vor Jahren den Schwerpunkt der kardiovaskulären Forschungsthemen und damit die finanzielle Unterstützung weg von der koronaren Herzkrankheit hin zur Herzinsuffizienz vollzogen.

Die Kosten, ärztlichen Anstrengungen und die diagnostischen Möglichkeiten bei koronarer Herzkrankheit sind erheblich, die Fallzahlen gigantisch und die Ausgaben riesig. Hingegen sind unsere diagnostische Sicherheit bei chronischer Herzinsuffizienz und die Methoden, die therapeutischen Maßnahmen zu beurteilen, ziemlich begrenzt. Wir meinen, dass es jetzt höchste Zeit ist, sich mehr mit der chronischen Herzinsuffizienz zu beschäftigen, besonders mit der Forschung auf diesem Gebiet. So hat die I-PRESERVE Studie eindrucksvoll gezeigt, dass wir die Pathophysiologie der diastolischen Herzinsuffizienz (definiert als Herzinsuffizienz mit erhaltener systolischer Funktion) schlecht verstehen und dementsprechend keine evidenzbasierte Therapie anbieten können. Obwohl zur Zeit auf diesem Gebiet noch mehrere Therapiestudien laufen, müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, dass wir bislang im Prinzip nur neutrale Ergebnisse (also keine Therapieerfolge!) gesehen haben. Neue Konzepte zur Aufdeckung der Entstehung und Progression der Erkrankung sind gefragt. Trotz aller Fortschritte beim Verständnis molekularer Mechanismen ist deren Translation in die Klinik noch unabsehbar. Translationale Forschung ist heute zum Modewort geworden, doch entsprechendes Know-how und die spezielle Infrastruktur scheinen in Deutschland zu fehlen. Auch ist es an der Zeit, verstärkte Anstrengung zur Versorgung in der Breite zu unternehmen – vielleicht durch eine echte Versorgungsforschung und/oder durch Netzwerkbildung?

Es ist zu hoffen, dass sich die Kardiologen, jenseits von DRGs und Fallpauschalen, mehr dem Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz widmen, Netzwerke bilden, die technischen Optionen nutzen, aber auch zusammen mit den Zentren aussagekräftige klinische Studien in Deutschland federführend vorantreiben. Unsere vielen Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz werden es uns danken. Schon mit der konsequenten Anwendung der Leitlinien zur Diagnostik und Therapie (siehe ESC Guidelines; Eur Heart J 2008) könnte die Sterblichkeit signifkant vermindert werden! Wenn die Frühjahrstagung und das vorliegende Schwerpunktheft das Interesse an dem uns alle angehenden Syndrom Herzinsuffizienz wieder beflügeln, wenn die Artikel und die Themenauswahl dazu beitragen, sich vertiefend mit diesen Patienten zu beschäftigen, dann hätten sie das Ziel seiner Initiatoren erreicht.

Prof. Dr. Helmut Drexler

Abteilung Kardiologie und Angiologie, Medizinische Hochschule Hannover

Carl-Neuberg-Str. 1

30625 Hannover