Psychiatrie und Psychotherapie up2date 2010; 4(1): 37-52
DOI: 10.1055/s-0029-1220384
Affektive Störungen

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Grübeln und sich Sorgen: Neuere Forschungsergebnisse und Psychotherapieansätze

Angela  Rischer, Erika  Wieser, Johannes  Kornhuber
Further Information

Publication History

Publication Date:
02 September 2009 (online)

Kernaussagen

  • Auch gesunde Personen grübeln und machen sich Sorgen; sie können diese wiederkehrenden Gedanken jedoch wieder ohne anhaltende, tief greifende Stimmungseinbußen beenden. Bei Depression und Generalisierter Angststörung tritt häufig lang anhaltendes Gedankenkreisen, Grübeln und sich Sorgen auf, das sich verheerend auf Stimmung und Konzentration auswirkt und verhindert, dass die einfachsten Aufgaben in Angriff genommen werden können.

  • In mehreren großen, gut kontrollierten Längsschnittstudien wurde gefunden, dass depressives Grübeln einen Prädiktor für eine depressive Episode darstellt. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, z. B. im Rahmen von Anpassungsstörungen oder anderen psychiatrischen Störungen darauf zu achten, in welchem Umfang der Patient grübelt, welche positiven Erwartungen er dem Grübeln zuschreibt und welche Copingstrategien er anwendet. In der psychotherapeutischen Behandlung kann depressives Grübeln den Behandlungserfolg deutlich schmälern und verzögern, nicht zuletzt deshalb gilt es, bereits zu Beginn der Psychotherapie auf die Veränderung von Grübelgedanken hinzuwirken. Auch bei gebesserten Patientinnen und Patienten sollte im Verlauf auf „riskantes” oder heimliches Grübeln geachtet werden.

  • Sorgengedanken treten ebenfalls im Alltag auf, sie stellen aber in ihrer exzessiven Ausprägung auch das Hauptkriterium bei der häufig übersehenen Generalisierten Angststörung (GAS) dar. Diese Patientengruppe klagt eher über ständige Anspannung, Nervosität und Schlafstörungen als über die Sorgen, wobei sich die Beschwerden auch unter Medikation meist nicht dauerhaft bessern. Sorgen haben die Funktion, ein noch nicht eingetretenes Problem im Vorfeld lösen zu helfen. Diese Funktion erfüllen sie bei GAS-Patienten jedoch nicht: Die erwarteten Schwierigkeiten treffen nicht ein und der gedankliche Problemlöseprozess kommt nicht zu einem Ende, vielmehr entstehen Katastrophenszenarien, die so ängstigend sind, dass sie wiederum nicht zu Ende gedacht werden. Die Patienten springen regelrecht von Sorge zu Sorge, und gewinnen den Eindruck, dass eine große Anzahl von Problemen gelöst werden müsste. Wachsende Hilflosigkeit und chronischer Stress sind die Folge. Damit wird die Entwicklung einer späteren depressiven Episode begünstigt.

  • Die Sorgen der Angstpatienten lassen sich vom depressiven Grübeln teilweise abgrenzen. Bei depressiven Patienten hingegen verschwimmt die (bei Gesunden noch intakte) Grenze zwischen grübel- und sorgenspezifischen Emotionen, Bewertungen und Copingstrategien.

  • Die Vermeidung unangenehmer Gefühlszustände scheint sowohl bei Rumination als auch bei Worry eine entscheidende aufrechterhaltende Rolle zu spielen: So können intensiver Zorn, Angst, „echte” Traurigkeit erfolgreich vermieden werden, was Rumination und Worry negativ verstärkt. Außerdem müssen durch diese wiederkehrenden negativen Gedanken die persönlichen negativen Grundannahmen über sich und die Umwelt nicht infrage gestellt werden; damit ist es auch nicht nötig, eine anstrengende Änderung der Situation (mit der Gefahr des Scheiterns) anzugehen. Dies stellt ebenfalls aufrechterhaltende Verstärkungsbedingungen dar. Darüber hinaus haben Personen mit exzessiven Sorgen im Rahmen einer Generalisierten Angststörung auch positive Erwartungen, z. B. „Wenn ich mir Sorgen mache, kann ich vielen Gefahren vorbeugen oder zukünftige schlimme Ereignisse besser bewältigen.”

  • Die meisten neueren Therapieansätze versuchen deshalb, sowohl die Funktionalität der wiederkehrenden negativen Gedanken mit dem Patienten zu überprüfen als auch in einer wiederholten Exposition die Annahmen über die Gefährlichkeit und Unkontrollierbarkeit zu korrigieren und die emotionale Vermeidung durch bildhafte, realistische Imagination gezielt zu durchbrechen.

  • Sowohl bei Worry als auch bei Rumination kommt es also darauf an, eine bislang vermiedene emotionale Erfahrung statt der meist gedanklich verbal und automatisiert eingesetzten Gedankenketten zu machen.

Literatur

  • 1 Borcovec T D, Ray W, Stöber J. Worry: A cognitive phenomenon intimately linked to affective, physiological, and interpersonal behavioral processes.  Cognitive Therapy and Research. 1998;  22 561-576
  • 2 Nolen-Hoeksema S. Responses to depression and their effects on the duration of depressive episodes.  Journal of Abnormal Psychology. 1991;  100 (4) 569-582
  • 3 Nolen-Hoeksema S. The role of rumination in depressive disorders and mixed anxiety / depressive symptoms.  Journal of Abnormal Psychology. 2000;  109 (3) 504-511
  • 4 Teismann T. et al . Bedeutung von Rumination und Ablenkung für den Therapieerfolg depressiver Patienten.  Verhaltenstherapie. 2008;  18 (4) 215-222
  • 5 Salkovskis P M. Psychological approaches to the understanding of obsessional problems. In: Swinson RP et al., eds Obsessive-Compulsive Disorder: Theory, Research, and Treatment. New York; Guilford Press 1998: 33-50
  • 6 Beck A T. et al .Kognitive Therapie der Depression. München; Psychologie Verlags Union 1992
  • 7 Becker E, Margraf J. Generalisierte Angststörung. Ein Therapieprogramm. Berlin; Springer 2002
  • 8 Clark D A, Rhyno S. Unwanted Intrusive Thoughts in Nonclinical Individuals: Implications for Clinical Disorders. In: Clark DA, ed Intrusive thoughts in clinical disorders. Theory, Research, and Treatment. New York; Guilford Press 2005: 1-29
  • 9 Rischer A. Sorgen und Grübeln: Zwei Seiten derselben Medaille? Ein Konzeptvergleich von Worry und Rumination in einer multizentrischen Studie an Patienten mit Depression und einer nichtklinischen Vergleichsstichprobe. Bamberg; Univ. of Bamberg Press 2008
  • 10 Papageorgiou C, Wells A. Process and Meta-Cognitive Dimensions of Depressive and Anxious Thoughts and Relationships with Emotional Intensity.  Clinical Psychology and Psychotherapy. 1999;  6 156-162
  • 11 Hoyer J, Becker E S, Roth W T. Characteristics of worry in GAD patients, social phobics, and controls.  Depression and Anxiety. 2001;  13 (2) 89-96
  • 12 Linden M, Hautzinger M. Verhaltenstherapiemanual. 6. Aufl. ed. Heidelberg; Springer 2008
  • 13 Stöber J. Besorgnis: Ein Vergleich dreier Inventare zur Erfassung allgemeiner Sorgen.  Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie. 1995;  16 (1) 50-63
  • 14 Kühner C, Huffziger S, Nolen-Hoeksema S. Response Styles Questionnaire – Deutsche Version. Göttingen; Hogrefe 2007 1
  • 15 Watkins E, Moulds M, Mackintosh B. Comparisons between rumination and worry in a non-clinical population.  Behaviour Research and Therapy. 2005;  43 (12) 1577-1585
  • 16 Freeston M H. et al . Cognitive intrusions in a non-clinical population. II. Associations with depressive, anxious, and compulsive symptoms.  Behaviour Research and Therapy. 1992;  30 (3) 263-271
  • 17 Wells A, Matthews G. Modelling cognition in emotional disorder: The S-REF model.  Behaviour Research and Therapy. 1996;  34 (11–12) 881-888
  • 18 Papageorgiou C, Wells A. Depressive rumination: nature, theory and treatment. Chichester, England; John Wiley & Sons 2004
  • 19 Lyubomirsky S, Caldwell N D, Nolen-Hoeksema S. Effects of ruminative and distracting responses to depressed mood on retrieval of autobiographical memories.  Journal of Personality and Social Psychology. 1998;  75 (1) 166-177
  • 20 Nolen-Hoeksema S, McBride A, Larson J. Rumination and psychological distress among bereaved partners.  Journal of Personality and Social Psychology. 1997;  72 855-862
  • 21 Halligan S L, Michael T, Clark D M. et al . Posttraumatic stress disorder following assault: the role of cognitive processing, trauma memory, and appraisals.  Journal of Consulting Clinical Psychology. 2003;  71 (3) 419-431
  • 22 Lyubomirsky S, Tkach C. The Consequences of Dysphoric Rumination. In: Papageorgiou C, Wells A, eds Depressive Rumination: Nature, Theory and Treatment. Chichester, England; Wiley & Sons 2004: 21-41
  • 23 Pine D S. et al . The risk for early adulthood anxiety and depressive disorders in adolescents with anxiety and depressive symptoms.  Archives of General Psychiatry. 2005;  55 56-64
  • 24 Teasdale J D, Barnard P J. Affect, Cognition, and Change: re-modelling depressive thought. Hillsdale NJ; Lawrence Erlbaum 1993
  • 25 Segal Z, Williams J M, Teasdale J D. Mindfulness Based Cognitive Therapy for Depression: A New Approach for Preventing Relapse. New York; Guilford Press 2002
  • 26 Teasdale J D. et al . Prevention of relapse / recurrence in major depression by mindfulness-based cognitive therapy.  Journal of Consulting and Clinical Psychology. 2000;  68 (4) 615-623
  • 27 Wells A. Cognitive Therapy of Anxiety Disorders: A Practice Manual and Conceptual Guide. Chichester, UK; John Wiley & Sons 1997
  • 28 Wells A. Emotional Disorders and Metacognition: Innovative Cognitive Therapy. Chichester, UK; John Wiley & Sons 2000
  • 29 Wells A. Metacognitive therapy: Cognition applied to regulating cognition.  Behavioural and Cognitive Psychotherapy. 2008;  36 (6) 651-658
  • 30 Schmelzer D, Rischer A. Über Kooperation zur Selbstregulation. In: Hermer M, Röhrle B, Hrsg Handbuch der therapeutischen Beziehung, Band 1, Allgemeiner Teil. Tübingen; dgvt-Verlag 2008: 379-422

Dr. phil. Dipl.-Psych. Angela Rischer

Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik

Schwabachanlage 6

91054 Erlangen

Phone: 0049-9131-85-36155

Fax: 0049-9131-85-34500

Email: angela.rischer@uk-erlangen.de