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DOI: 10.1055/s-0029-1225924
© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG
Phytotherapie in den medizinischen Leitlinien: Beispiele aus der Gastroenterologie
Publication History
Publication Date:
03 July 2009 (online)
Die Zahl der pflanzlichen Drogen zur Behandlung von gastrointestinalen Funktionsstörungen und Erkrankungen ist beachtlich. Ihre Wirkung bei guter Verträglichkeit ist oft unmittelbar erfahrbar, das erklärt auch die lange Tradition ihrer Anwendung und ihre Beliebtheit bei den Patienten.
In der Ära der medizinischen Leitlinien sollte man allerdings immer wieder prüfen, ob sie dort entsprechend des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes auch berücksichtigt werden. Ich habe deshalb, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die aktuellen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) hinsichtlich ihrer Empfehlungen zur Phytotherapie bei verschiedenen gastrointestinalen Erkrankungen bzw. bei entsprechenden Symptomen von häufigen Erkrankungen durchgesehen.
Ganz allgemein fällt auf, dass nicht alle Leitlinien im vergangenen Jahr aktualisiert worden sind, einige stammen aus dem Jahr 2004. Somit konnten aktuellere Forschungsergebnisse, z.B. auch aus dem Bereich der Phytotherapie, noch nicht berücksichtigt werden. Andererseits finden sich in diesen Leitlinien viele Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie, die das Evidenzniveau III nicht überschreiten. Schließlich scheinen viele medizinische Fragestellungen noch nicht bearbeitet worden zu sein. Die anfängliche Begeisterung für Leitlinien ist offenbar inzwischen der nüchternen Erkenntnis gewichen, dass der hohe Arbeitsaufwand, der für derartige Leitlinien erforderlich ist, nicht immer Ergebnisse erbringt, die diesen rechtfertigen. Dies gilt in besonderer Weise für häufige Symptome mit Spontanremission und funktionelle Störungen, bei denen die Anzahl klinischer Studien in der Regel gering ist.
Nachfolgend stelle ich Ihnen einige von mir aufgesuchte Leitlinien vor, in denen ich nach Hinweisen auf den Einsatz für Phytotherapie gesucht habe.
Die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen gibt in ihren Leitlinien „Gastroösophageale Refluxkrankheit”, „Helicobacter pylori und gastroduodenale Ulkuskrankheit” und „Behandlung von Gallensteinen” keine Empfehlungen zur Phytotherapie. In ihrer Leitlinie zur Colitis ulcerosa wird Plantago ovata im Abschnitt „Ernährung” eine mögliche remissionserhaltende Wirkung zugesprochen, da in einer klinischen Studie eine äquipotente Wirkung von Plantago ovata und Mesalazin beschrieben wurde ([1]). Als Alternative zur Primärbehandlung werden Weihrauchpräparate und Plantago ovata dagegen abgelehnt. In der Leitlinie dieser Gesellschaft zum Morbus Crohn ist zu finden, dass Boswellia serrata im akuten Schub einer Therapie mit Mesalazin zur Reduktion der Krankheitsaktivität nicht unterlegen ist, dass das betreffende Präparat aber in Deutschland nicht zugelassen ist und dass Mesalazin schwach wirksam ist. Die Deutsche Morbus Crohn / Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) e.V. äußert sich in ihrer Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn in laienverständlicher Form in gleicher Weise. In der entsprechenden Leitlinie zur Colitis ulcerosa wird Plantago ovata dagegen nicht erwähnt. Dieses Beispiel illustriert übrigens sehr gut das Dilemma, in dem sich Ärzte und Patienten befinden können, wenn sie sich nach den Empfehlungen der Leitlinien richten wollen.
In den Leitlinien der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung zur Obstipation im Kindesalter bzw. zur akuten infektiösen Gastroenteritis wird Phytotherapie nicht erwähnt.
In der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zum Parkinson-Syndrom, das bei einem Drittel der unter 60-jährigen und zwei Dritteln der über 60-jährigen Parkinson-Patienten mit Erkrankungen der intestinalen Funktion, insbesondere Obstipation, einhergeht, wird darauf hingewiesen, dass die Standardtherapie diese in der Regel verstärkt und dass dadurch die Bioverfügbarkeit der Medikamente herabgesetzt wird. Als Therapie wird die Steigerung der Einnahme von Flüssigkeiten und Ballaststoffen empfohlen. Hinweise auf Phytotherapie finden sich nicht.
Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft empfiehlt in ihrer Leitlinie zu Diabetes mellitus im Alter bei Stuhlinkontinenz zur symptomatischen Therapie die Gabe von Quellstoffen und Antidiarrhoika (nicht weiter ausgeführt), bei Obstipation sollen (nicht weiter ausgeführte) Laxanzien verwendet werden.
Die Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik weist in ihrer Leitlinie zur somatoformen autonomen Funktionsstörung (ICD-10 F45.3) darauf hin, dass bei diesbezüglichen Störungen des Gastrointestinaltrakts nicht generell Quellstoffe verordnet werden sollten. Bei Vorliegen einer Obstipation wird u.a. Ispaghula empfohlen, bei Diarrhö dagegen ausschließlich chemisch definierte Substanzen. Für die somatoforme autonome Funktionsstörung des unteren Gastrointestinaltrakts (F45.32) wird angegeben, dass Pfefferminzöl wahrscheinlich wirksam ist, jedoch kein ausreichender empirischer Beleg vorliege.
Als Fazit ergibt sich bedauerlicherweise, dass Phytotherapeutika bisher nur ausnahmsweise in den Leitlinien erwähnt werden. Es besteht jedoch die berechtigte Hoffnung, dass die Patienten diese auch weiterhin in der Selbstmedikation von Verdauungsstörungen häufig verwenden, da sie eine rasche Besserung ihrer Symptome verspüren. Von den behandelnden Ärzten müssten die entsprechenden Empfehlungen ausgesprochen werden. Für Ärzte und Patienten gilt in gleicher Weise, dass sie immer wieder seriös über den neuesten Erkenntnisstand informiert werden müssen. Dafür werde ich mich auch weiterhin einsetzen.
Literatur
- 1 Fernandez-Banares F, Hinojosa J, Sanchez-Lombrana JL, et al.. Randomized clinical trial of Plantago ovata seeds (dietary fiber) as compared with mesalazine in maintaining remission in ulcerative colitis. Spanish Group for the Study of Crohn’s Disease and Ulcerative Colitis (GETECCU). Am J Gastroenterol. 1999; 94 427-433