Ernährung & Medizin 2009; 24(2): 55
DOI: 10.1055/s-0029-1233320
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Protein-Intoleranzen Gluten und Histamin – alles gut? Leider nein!
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Publikationsdatum:
26. Juni 2009 (online)

„Glutenfrei” ist heute in aller Munde. In Supermärkten, Drogerien und sogar auf Tiernahrung stolpern wir über diesen Begriff. Auf der anderen Seite lesen interessierte Verbraucher immer häufiger auf Lebensmitteln „…kann Spuren von Gluten enthalten”. Was hat es damit auf sich? – Benötigen wirklich so viele Menschen eine Ernährung ohne Gluten? Ist das Getreideeiweiß wirklich für fast die Hälfte der europäischen Bevölkerung unverträglich, wie kürzlich in einem Buch zu lesen war?

Sicher und bewiesen notwendig ist glutenfreie Ernährung bei der Diagnose Zöliakie/Sprue. Hier hat sich bis heute nichts geändert: Glutenhaltige Nahrungsmittel müssen vom Speiseplan gestrichen werden, damit sich die Darmschleimhaut regenerieren kann. Die glutenfreie Ernährung sollte dann für den Rest des Lebens beibehalten werden. Aber schon bei mancher Diagnose liegt der Fehler. Viele Menschen mit diffusen Symptomen werden auf IgG4-Antikörper untersucht. Die Ergebnisse sind oft niederschmetternd: zahlreiche Nahrungsmittelunverträglichkeiten stehen in langen Listen, darunter häufig auch Gluten, oft kombiniert mit anderen Verboten weiterer Grundnahrungsmittel. Viele beginnen schon vor einer Ernährungsberatung mit einer sehr einseitigen Kost. Eine fachgerechte Diagnostik der Zöliakie wurde vorab meist nicht durchgeführt. Die ist bei einer bereits begonnenen Diät erst wieder nach erneuter Gluten-Belastung zuverlässig. Die Betroffenen haben für ihren Bluttest oft viel Geld bezahlt und sehen in dessen Ergebnis eine bewiesene Unverträglichkeit. Je nachdem, wie viele Nahrungsmittel als unverträglich deklariert werden, ist die daraus folgende Ernährung alles andere als bedarfsdeckend und oft eine Einschränkung der Lebensqualität.

Tatsächlich hat der Nachweis einer echten Zöliakie in den letzten Jahren zugenommen. Die Symptome werden immer unspezifischer – den klassischen Zöliakie-Patienten mit Durchfall als Leitsymptom gibt es kaum noch. Die Lebensmittelindustrie reagiert auf die gestiegene Nachfrage nach glutenfreien Produkten, in der Allergie-Lebensmittelkennzeichnung hat Gluten seinen festen Platz. Jede Ernährungsfachkraft sollte entschieden darauf hinarbeiten: Zuerst die Diagnose, dann die Diät! Alleine die Aussage „aber wenn ich alles weglasse, geht es mir besser” kann nicht Grundlage für drastische Ernährungseinschränkungen sein. Ob es tatsächlich neben der Zöliakie eine „Glutenunverträglichkeit” gibt, ist zur Zeit noch umstritten. Ähnlich problematisch stellt sich der Nachweis einer Histamin-Unverträglichkeit dar.

So bleibt uns Fachkräften nur, genauestens die Ergebnisse der aktuellen Forschungen zu verfolgen und für die Patienten verständlich zu vermitteln, um ihnen sinnlose Diäten zu ersparen und sie in tatsächlich notwendigen Umstellungen sicher zu beraten.

Andrea Hiller

Diätassistentin, allergologische Ernährungstherapie VDD