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DOI: 10.1055/s-0029-1233980
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Sterbehilfe nach Checkliste?
Zu den Fallstricken einer rechtlichen Verankerung der PatientenverfügungEuthanasia „by the book” About the pifalls of regulating living – wills by cawPublication History
Publication Date:
23 July 2009 (online)
Nach jahrelangen Debatten ist es nun so weit – Deutschland hat die Patientenverfügung in das Betreuungsrecht mit aufgenommen. Das Gesetz schreibt vor, dass Patientenverfügungen befolgt werden müssen und dass der Betreuer zu prüfen hat, inwiefern das Verfügte auf die konkrete Situation zutrifft. Nur in Zweifelsfällen soll das Gericht bemüht werden. All das ist erfreulich. Erfreulich vor allem, dass die Modalitäten, die notwendig sind, damit eine Verfügung anerkannt wird, nun klar sind. Hier ist das Gesetz unbürokratisch ausgefallen: keine notarielle Beglaubigung, kein Nachweis einer Beratung, kein Fälligkeitsdatum. Die langen Debatten um das Patientenverfügungsgesetz haben viele Menschen verunsichert; diese Zeit der Ungewissheit ist nun vorbei. Und dennoch ist das Gesetz nicht nur ein Fortschritt, sondern möglicherweise ein Rückschritt zugleich.
Ob das Gesetz möglicherweise eher ein Rückschritt bedeuten wird, hängt ganz davon ab, wie es aufgefasst und umgesetzt werden wird. Das Gesetz kann vor allem dann ein enormer Rückschritt sein, wenn suggeriert wird, dass mit ihm alle Unwägbarkeiten im Umgang mit dem Sterben beseitigt seien. Die Gefahr liegt in der Scheinsicherheit, die es signalisieren könnte. Ein Rückschritt wäre es, wenn das Gesetz suggerierte, dass das Sterben im Vorhinein komplett geplant und kontrolliert werden könnte. Das Scheitern dieses Versuchs wäre vorprogrammiert, weil die beste Verfügung nicht das antizipieren kann, was das Leben an Wendungen für den Menschen bereithält: Wendungen in dem Sinne, dass Situationen eintreten, die man nicht vorhersehen konnte; Wendungen aber auch in dem Sinne, dass Menschen in ihrem Kranksein möglicherweise ganz anders fühlen werden als sie sich als gesunde Menschen vorstellen können.
Viel zu wenig wird bedacht, dass mit dem neuen Gesetz der Mensch ohne großes Aufhebens und ohne sich der Fallstricke bewusst zu sein, mit der Verfügung sein eigenes Todesurteil unterschreiben kann, bei dem sich kaum jemand finden wird, der am Ende noch einmal kritisch nachfragt. Der erste Fall wird kommen, da ein vollkommen zufriedener Patient frühzeitig stirbt, nur weil er unter dem allgemeinen Credo „Ein Leben in der Angewiesenheit auf Andere ist grundsätzlich nicht lebenswert” zur Verfügung gegriffen hatte. Ist dieser Mensch heute vollkommen zufrieden, aber nicht urteilsfähig, muss er nun Glück haben, dass jemand aus dem Umfeld tatsächlich bemerkt bzw. bemerken will, dass man einen Menschen sterben lässt, der sich seines Lebens erfreut. Das Gesetz schreibt zwar vor, dass auch ein natürlicher Wille als neue Äußerung gelten soll, aber es ist kaum zu erwarten, dass unter dem Machbarkeitssog, den das Gesetz zugleich ausübt, dies tatsächlich ernst genommen werden wird.
Angehörige werden sich oft genug nicht trauen, das Zutreffen des Verfügten in Frage zu stellen, und vor allem Ärzte werden nicht den Mut haben, die Gültigkeit der schriftlichen Patientenverfügung zugunsten des natürlichen Willens anzuzweifeln. Zu sehr befinden sich Ärzte in der Defensive. Gerade dies hat die Diskussion um das Gesetz sehr deutlich zum Vorschein gebracht: Latent steckte hinter der Diskussion der Vorwurf: Wenn man keine Verfügungen ausstellt, werden die Ärzte ihre Patienten in paternalistischer Manier sinnlos an Maschinen hängen und sie eines würdevolles Sterbens berauben. Dass mit dem Gesetz nun genau die entgegen gesetzte Gefahr lauert, wird kaum realisiert: Ärzte werden sich bedingt durch das Gesetz moralisch weiter zurückziehen und alles tun, um dem Klischee des Paternalisten zu entkommen. Damit werden sie sich zunehmend zu unengagierten Vollstreckern von Verfügungen wandeln, und dies nicht zugunsten, sondern auf Kosten von einigen kranken Menschen, von denen man nur noch die Verfügung anschauen und nicht mehr die aktuelle Regung wahrnehmen wird.
Es ist augenfällig, wie begeistert das Gesetz gerade von manchen Ärzten aufgenommen worden ist, und man braucht nicht viel Phantasie um zu realisieren, dass diese Ärzte ein Gesetz, eine Art Richtlinie, nach der der Arzt die Verfügung einfach umzusetzen hat, als Entlastung empfinden. Eine Entlastung, weil sie meinen, sie bräuchten sich – wenn schon eine Verfügung vorliegt – dann nicht weiter für eine gute Entscheidung persönlich zu engagieren, weil doch in dem Schriftstück alles festgelegt sei. Es ist zu erwarten, dass sich ein Automatismus einschleichen wird, nach dem Motto: Liegt eine Verfügung vor, ist alles klar, liegt keine vor, muss man sich in Gesprächen mit den Angehörigen auseinandersetzen. Zwar schreibt das Gesetz vor, dass Angehörigen Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden soll, aber dennoch droht der Schematismus, allein schon deswegen, weil die modernen ökonomisch ausgerichteten Krankenhäuser nicht zuletzt durch das DRG-System immer mehr auf Hochtouren getrimmt werden und immer weniger Ressourcen für das ruhige Gespräch mit den Patienten, mit den Angehörigen freigehalten werden. Das Diktat der Effizienz, das über alle Bereiche der modernen Medizin verhängt wird, lässt genau das verkümmern, was für den Umgang gerade mit Sterbenden unabdingbar notwendig wäre: eine Beziehungsmedizin.
Die Gleichzeitigkeit, mit der einerseits Formulare als Lösungen für das Sterben propagiert werden und andererseits die sprechende Beziehungsmedizin strukturell verunmöglicht wird, ist nicht nur Ausdruck der Denkströmung unserer Epoche des homo oeconomicus, sie ist zugleich auch die Aushöhlung einer Kultur des Sterbens [1] . Menschen haben Angst vor dem Sterben, erst recht vor dem Sterben in der Klinik, weil so Mancher erfahren hat, dass viele Ärzte keine guten Gesprächspartner in Sachen Zulassen des Sterbens sind, sondern eher gute Techniker in der Verhinderung des Sterbens. Diese Angst versucht man nun, mit mehr oder weniger selbst geschriebenen Formularen zu bändigen. Formulare, die zur Folge haben werden, dass die Ärzte es noch weniger für notwendig erachten, mit den Menschen, die sie da behandeln zu sprechen. So wird die aus der Beziehungslosigkeit der modernen Medizin resultierende Angst vor dem Sterben paradoxerweise mit einer weiteren Reduzierung der Beziehungsmedizin behandelt.
Ein weiteres Grundproblem, das dieses Gesetz aufwirft, liegt darin, dass auf die Angst der Menschen vor einer Isolierung im Sterben mit einer gesetzlichen Betonung der Autonomie reagiert wird. Verkannt wird hier, dass die Menschen gerade nicht in der Vereinzelung gut sterben können. Sie werden angewiesen sein auf ein Gegenüber, das sie nicht nur fragt: Wie hätten Sie es denn gerne? Vielmehr sind sie angewiesen auf einen mitfühlenden Arzt, der sie bei der Hand nimmt und ihnen Zuversicht und Trost spendet. Das Gesetz betont die Autonomie und suggeriert, dass mit der Autonomie alles gelöst sei. Verkannt wird dabei, dass gerade für so vulnerable Patienten wie es die Sterbenden sind, das Zugeständnis von Unterlassungspflichten nicht ausreicht, um ihnen gerecht zu werden. Damit diese Menschen tatsächlich in ihrem Sinne entscheiden können, brauchen sie eine Atmosphäre des Vertrauens und der Solidarität; sie brauchen die Zusicherung von Zuwendung, das Versprechen, dass jemand da ist, der sich ihrer annimmt. Nur in einer solchen Grundsituation werden wirklich autonome Entscheidungen getroffen werden können. Wer zuerst die Fürsorge abschafft oder zumindest für sekundär erklärt, um dann nach dem Willen der so der Fürsorge Entkleideten fragt, wird keine freien Entscheidungen erwarten können, sondern nur Entscheidungen von angsterfüllten Menschen, die lieber ihr Leben frühzeitig beendet wissen wollen weil sie wissen, dass ihnen in einer fürsorgekritischen Gesellschaft im Sterbeprozess ohnehin nichts Gutes blühen wird. Zwar gibt es auch viele selbstbewusste Patienten, die ihre Verfügung aus der Position der Stärke und nicht der Schwäche ausstellen, und diese sollen ihr Recht auch bekommen, aber die schwachen, verunsicherten und angsterfüllten Patienten sind mit dem Gesetz sicher nicht automatisch besser bedient, sondern nur dann, wenn die Verfügung in die Hände von Menschen fällt, die sich nicht etwa trotz, sondern gerade wegen der Verfügung persönlich engagieren.
Daher bleibt eine Chance: Das Gesetz ist dann kein Rückschritt, wenn es als Auftrag verstanden wird, sich gerade um diejenigen, die eine Verfügung haben, besonders zu kümmern. So muss ausgeschlossen werden, dass da jemand dem Sterben überlassen wird, der eigentlich nur nicht zur Last fallen wollte. Die mögliche Unzulänglichkeit liegt nicht im Gesetzestext selbst, sondern in dem mit dem Gesetz verbundenen Anspruch. Das Sterben ist nicht durch Paragraphen in den Griff zu bekommen, sondern nur durch Menschen zu bewältigen, die sich als mitfühlende Helfer verstehen. Sollte das Gesetz signalisieren, dass man jetzt keine mitfühlenden Helfer mehr braucht, wird man mit Verfügungsbürokraten ein weiteres Stück Kultur des Sterbens abschaffen. Es wird an den Erwartungen der Bürger und nicht zuletzt an der alltäglichen Handhabung von Seiten der Ärzteschaft selbst liegen, ob das Gesetz ein Zugewinn oder eher ein Verlust bedeuten wird.
Autorenerklärung: Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte in Bezug auf das vorliegende Manuskript bestehen.
Literatur
- 1 Maio G. Hauptsache mein Wille geschehe? Der Trend zur Patientenverfügung in seiner ethischen Unzulänglichkeit. Dtsch Med Wochenschr. 2008; 133 2582-2585
Prof. Dr. Giovanni Maio
Institut für Ethik und Geschichte der Medizin,
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
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