Gesundheitswesen 2010; 72(1): 17-22
DOI: 10.1055/s-0029-1237738
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gesundheitswunsch und Gesundheitsrealität – Psychologische, soziale und gesellschaftliche Aspekte des Gesundheitsverhaltens

Health Wishes and Health Reality – Psychological, Social and Community Aspects of Health BehaviourC. Klotter1
  • 1HS Fulda Fachbereich Oecotrophologie
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Publication Date:
04 November 2009 (online)

Zusammenfassung

Wenn die Frage gestellt wird, welche Determinanten die Gesundheit am stärksten beeinflussen, dann ist die Antwort relativ einfach. Es sind die sozialen Determinanten wie Bildung, Einkommen und Arbeitsplatz. Umstritten ist allerdings, ob soziale Faktoren mit oder ohne psychosoziale Vermittlung den Gesundheitsstatus beeinflussen. Im Rahmen der Gesundheitspsychologie werden Modelle diskutiert, die erklären sollen, welche psychologischen Variablen das Gesundheitsverhalten beeinflussen. Hintergrund dieser Modelle ist das Ideal des bürgerlichen Subjekts, wie es die Philosophie der Aufklärung konzipiert hat. Gesundheit ist nicht nur etwas Natürliches, sie wird auch beeinflusst durch den sozialen Status. In den oberen sozialen Schichten ist Gesundheit ein positiver Wert, in den unteren gilt Gesundheit als weniger bedeutsam. Die Vertreterinnen und Vertreter der höheren sozialen Schichten versuchen, ihre Idee von Gesundheit den unteren sozialen Schichten aufzuerlegen. Gesundheit wird zur Pflicht. Menschen, die sich vermeintlich offenkundig gesundheitsabträglich verhalten, wie Raucher und Adipöse, werden stigmatisiert, weil sie angeblich gegen zentrale Werte der abendländischen Kultur verstoßen. Im Rahmen von Gesundheitsförderung wird mehr oder weniger explizit Gesundheit auch als Pflicht begriffen, ohne zu reflektieren, dass die Pflicht zur Gesundheit das Gegenteil provozieren kann. Wenn Gesundheit zu Anteilen als individuelle Wahl begriffen werden kann, dann sollte diese individuelle Wahl respektiert werden. Sie ist nicht nur ein Teil der individuellen Freiheit, sondern auch der erste Schritt zur Gesundheitsförderung.

Abstract

The question which determinants have the strongest influence on health, may be answered easily: social determinants like education, income, workplace. But it is not so clear whether social factors with or without a psychological mediation influence the health status. Within the topic of health psychology, models are discussed which should explain whether psychological variables determine health behaviour. The background for these models is the ideal of the civil subject who was formulated by the philosophy of enlightenment. Health is not only a question of nature, it is also influenced by the social status. The representatives of the higher social classes assess health as a positive value. In the lower social classes, health is not so important. The representatives of the higher social classes attempt to impose their ideas of health on the people of the lower classes. Health becomes a duty. People who seem to damage their health, like smokers or obese people, are stigmatised because it seems to be as if they injure important values of the western civilisation. Within health promo­tion, more or less explicitly health is perceived as a duty, without reflecting that health as a duty may provoke the opposite result. If health may in part be recognised as an individual choice, then this choice should be respected. It is not only an element of individual freedom but also the first step to health promotion.

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